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Julia Felfeli studierte im Bachelor Psychologie in Tübingen mit Schwerpunkten auf Wissens-, Kommunikations- und Medienpsychologie sowie klinischer Psychologie. Auch ihren Master absolvierte sie in Tübingen mit Schwerpunkten auf allgemeiner Psychologie und Medienpsycholgie. Seit Dezember 2016 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialpsychologie der Zeppelin Universität.
Wie bewerten Menschen ihre eigenen Leistungen und Fähigkeiten? Betrachtet man die Forschungserkenntnisse aus den Bereichen Psychologie und Ökonomie, dann ist davon auszugehen, dass sie sich selbst mehr schlecht als recht einschätzen können. Um genauer zu sein: Sie überschätzen oft ihr eigenes Handeln, was in der Fachliteratur auch overconfidence genannt wird (zu Deutsch eben Selbstüberschätzung). Psychologische Forschungen zeigen beispielsweise, dass Studierende ihre Leistungen in Klausuren oder Ärzte die Genauigkeit ihrer Diagnosen überschätzen – und nahezu allen Menschen ist gemein, dass sie überschätzen, wie viel Kontrolle sie besitzen und mit welcher Geschwindigkeit sie ihre Arbeit erledigen können. Ökonomische Forschungen dagegen betrachten insbesondere das Investitionsverhalten sowohl im experimentellen Kontext als auch in Unternehmen. Dabei stellt sich heraus, dass Selbstüberschätzung zu einem gesteigerten Investitionsverhalten in experimentellen Markteintrittsspielen und bei Unternehmern zu einem gesteigerten Handeln führt – und das bei niedrigerer Rendite.
Selbstüberschätzung ist jedoch nicht bei allen gleich ausgeprägt. Forschungen haben bereits mehrfach belegt, dass ein deutlicher Unterschied zwischen Männern und Frauen hinsichtlich ihrer Selbsteinschätzung vorherrscht. Männern tendieren dabei eher zu overconfidence (also einer Überschätzung der eigenen Leistung), wohingegen Frauen eher zu underconfidence (also einer Unterschätzung der eigenen Leistung) neigen. Diese Unterschiede finden sich sowohl im Aktienhandel (zwischen männlichen und weiblichen Unternehmern) als auch in Bezug auf das eigene Wissen – und sie erklären, warum Frauen weniger oft in Wettbewerben antreten als Männer.
Da Selbstüberschätzung per Definition fehlerhaft und ungenau ist, ist es nicht verwunderlich, dass sie zu Problemen wie unzureichender Motivation und Vorbereitung sowie schlechter Reaktivität auf korrektives Feedback führt. Eine mögliche Interventionsmaßnahme zur Korrektur von Selbstüberschätzung besteht in monetären Anreizen, die in der Forschung bereits vielfach untersucht, jedoch ist die Befundlage derzeit noch nicht eindeutig.
Die hier vorgestellte Forschungsarbeit untersuchte in zwei Studien, wie sich zum einen monetäre Anreize auf die Selbsteinschätzung auswirken und ob sie unterschiedliche Effekte auf Männer und Frauen ausüben. Zum anderen wurden anhand von Reaktionszeiten Rückschlüsse auf die Prozesse, die der Selbstüberschätzung zugrunde liegen, gezogen: Dabei sprechen kurze Reaktionszeiten für einen automatischen und lange Reaktionszeiten für einen kontrollierten Verarbeitungsprozess. In einer ersten Studie beantworteten Studierende allgemeine Wissensfragen und bewerteten für jede Frage, wie sicher sie sich bezüglich der Korrektheit ihrer jeweiligen Antwort sind. Eine Hälfte der Studierenden erhielt einen Bonus für jede korrekt beantwortete Frage. Es zeigte sich, dass Männer (wie erwartet) ihre Leistung überschätzten und Frauen ihre Leistung tendenziell unterschätzen.
Der Bonus für korrekte Antworten zeigte keine Wirkung auf die Selbsteinschätzung der Studienteilnehmenden: Die Tatsache, dass gute Leistungen monetär honoriert werden, reicht anscheinend nicht aus, um die eigenen Leistungen realistisch einzuschätzen. Die Reaktionszeiten der Teilnehmenden verdeutlichten, dass diejenigen, die ihr Urteil schnell abgaben, eher dazu tendierten, sich zu überschätzen – wohingegen Teilnehmende, die sich mit ihrem Urteil ausreichend Zeit ließen, eine realistischere Leistungseinschätzung ablieferten. Dieser Effekt zeigte sich hauptsächlich bei Männern, was wiederum ein erster Indikator dafür ist, dass der Selbstüberschätzung bei Männern ein automatischer Prozess zugrunde liegt.
In einer zweiten Studie wurde nicht die Anzahl richtiger Antworten mit einem Bonus belohnt, sondern eine realistische Einschätzung der eigenen Leistung (unabhängig davon, ob diese gut oder schlecht ist). Hierfür konnte die eine Hälfte der Teilnehmenden einen niedrigen Bonus und die andere Hälfte einen hohen Bonus gewinnen. Zusätzlich zum erwarteten Geschlechterunterschied erzielte der monetäre Anreiz diesmal eine Wirkung. Studienprobanden, die die Möglichkeit hatten, einen hohen Bonus zu erreichen, zeigten sich weniger selbstbewusst in ihrer Einschätzung. Daraus ist zu schließen, dass die Selbsteinschätzung unsicherer beziehungsweise realistischer wird, wenn es „wirklich um etwas geht“.
Die präsentierte Forschungsarbeit ist ein guter Indikator für die künftige Entwicklung von Interventionsmaßnahmen gegen Selbstüber- beziehungsweise Selbstunterschätzung. Denn beide Fälle wirken sich negativ aus: Überschätzung führt zu Überforderung und Nicht-Erfüllung von Ansprüchen und Erwartungen, Unterschätzung zu vergeudetem Potenzial durch Zurückhaltung. Unsere Studien haben gezeigt, dass sowohl monetäre Anreize für realistische Einschätzungen als auch ausreichend Zeit zur Evaluation der eigenen Leistungen und Fähigkeiten der Selbstüberschätzung entgegenwirken können.
Titelbild:
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Bilder im Text:
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Beitrag (redaktionell unverändert): Julia Felfeli
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm