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Markus M. Müller hat seit 2009 die Honorarprofessur für Politik- und Verwaltungswissenschaften inne. In seinen Forschungsschwerpunkten befasst sich Müller mit den Regierungssystemen Deutschlands, der USA, Großbritanniens sowie mit Internationaler Politik, insbesondere international vergleichender Wirtschaftspolitik.
Die Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft entwickelten Ludwig Erhard und eine Reihe weiterer Wissenschaftler im Wesentlichen bereits in den 1940er Jahren. Sie wurden nach Gründung der Bundesrepublik zu einer Visitenkarte des neuen Staates, ihre Gültigkeit blieb jedenfalls im herrschenden Diskurs nie ernsthaft herausgefordert.
Wir neigen dazu, diesen ordnungspolitischen Rahmen für eine ewig gültige, weil im ökonomischen und sozial-ethischen Kern richtige und seither auch funktionierende Ordnung zu halten. Doch bringen die Veränderungen einer digitalisierten Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftswelt einige Anfragen an wichtige Fundamente Erhardscher Ordnungspolitik hervor, namentlich an Art und Umfang der Eigentumsrechte, hier vor allem des Urheberrechts, sowie die Konzeptionalisierung von Sozialstaatlichkeit, die in ihrem Subsidiaritätskern absehbar herausgefordert sein wird.
Zum Urheberrecht: Es gehört in modernen auf permanente technologische, kreative Innovation ausgerichteten Volkswirtschaften zu den wichtigsten Eigentumsrechten. Urheber- und natürlich auch der Patentschutz gehören nach allgemeiner Auffassung zu den entscheidenden Transmissionsriemen zwischen Erfindung und Entwicklung einerseits sowie wirtschaftlichem Nutzen und Anreiz zu fortlaufender Innovationstätigkeit andererseits.
Ohne auf rechtliche Details oder auch bereits heute bestehende Durchsetzungsprobleme im Weiteren einzugehen, wird man bei nüchterner Betrachtung der durch die Digitalisierung im Bereich Wissen und Entwicklung entstandenen Dynamik feststellen müssen, dass bereits die Grundlagen unseres Konzepts von Urheberschaft ins Wanken geraten sind.
Nehmen wir als Beispiel die Plattform Wikipedia. Hier schreiben konkurrierende Autorinnen und Autoren an gleichen Beiträgen eines virtuellen Wissenslexikons. Diese Wissensansammlung unterliegt damit, letztlich in allen ihren Einheiten, nicht nur einem ständigen Wandel. Auch seine Urheberschaft ist unsicher. Sie kann sich von Augenblick zu Augenblick für jeden einzelnen Beitrag ändern. Dabei beruht das Urheberrecht, wie wir es kennen, aber selbstverständlich auf einer verlässlichen zweipoligen Beziehung zwischen Urheber und Werk (bzw. Idee). Es ist seinerseits, als Copyright – das Recht, eine (weitere) Kopie eines Originals herzustellen – Ausfluss der oftmals als historische Parallele herangezogenen Erfindung und Verbreitung des Buchdrucks. War es vormals außerordentlich aufwändig und mühsam, ein Buch, auch als Kopie, überhaupt herzustellen, ließ die radikale Kostensenkung der Buchherstellung als solche zügig die kreative Leistung des Inhalts von Büchern (und Druckerzeugnissen allgemein) in den Vordergrund rücken.
Mit der Durchsetzung der Digitalisierung im Bereich Wissen, Literatur und Kunst ändert sich die Logik abermals: Der Schöpfungsprozess selbst verliert, jedenfalls potenziell, seine Exklusivität. Wenn es aber schon zunehmend an einer Urheberschaft in einem sinnvoll abgrenzbaren Sinne fehlt, wie sollte dann ein Urheberrecht ausgestaltet und vor allem (wirtschaftlich) durchsetzbar sein?
Das gilt auch für Anfragen an die Gewährleistung sozialer Sicherheit. Basiert sie im Konzept der Sozialen Marktwirtschaft auf dem aus der katholischen Soziallehre stammendem Subsidiaritätsprinzip, demzufolge größere Organisationseinheiten (wie Staaten oder gar Staatengemeinschaften wie z. B. die Europäische Union) erst mit Eingriffen in den marktwirtschaftlichen, freien Lauf der Dinge gefragt sind, wenn kleinere Einheiten (der Einzelne, die Familie, Nachbarschaft oder Gemeinden) überfordert sind, so bedeuten Grenzverwischungen zwischen Produktion und Konsumption, zwischen Lieferung, Verarbeitung und Beauftragung, ja womöglich zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerrollen eine zunehmende Infragestellung traditioneller Kategorien der Sozialpolitik.
Werden die (ehemals „Arbeits-“) Verhältnisse künftig und auf absehbare Zukunft in tariflichen Kategorien zutreffend erfasst? Reicht eine Sozialpolitik, die auf „Unterstützung“ ausgerichtet ist, die (erst) greift, wenn Betreffende aus eigener Kraft nicht (mehr) können?
Es ist nicht überraschend, dass eine ältere Idee, die häufig mit einer eher kapitalismuskritischen, linken Haltung in eins gesetzt wird, das so genannte bedingungslose Grundeinkommen, nun in wissenschaftlichen und politischen Debatten auch anderer politischer Denkweisen eine Renaissance erlebt. Bedenkt man, dass heute schon Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt etwa in die Rentenkassen ganz erheblich zu Buche schlagen, und dass die absehbar zunehmenden Grenzverwischungen der oben beschriebenen Art Steuersysteme, wie wir sie kennen, in Frage stellen, wird man über eine leistungsaffine, jedenfalls nicht leistungshemmende Ausgestaltung des bedingungslosen Grundeinkommens im überparteilichen Konsens unvoreingenommen nachdenken müssen.
Was anderes bedeuten diese Perspektiven aber, als dass wir die Ordnungspolitik, die schon immer über das eigentlich Wirtschaftliche hinaus ging und Wirtschaft und Gesellschaft zusammen bedacht und maßgeblich reflektiert – freilich auch beeinflusst – hat, neu überdenken müssen?
Titelbild:
| Eric Koch / Anefo / Niederländisches Nationalarchiv (CC0 Public Domain) | Link
Bilder im Text:
| CDU, Fotograf: Peter Bouserath / This file was provided to Wikimedia Commons by the Konrad-Adenauer-Stiftung, a German political foundation, as part of a cooperation project (CC BY-SA 3.0 de) | Link
Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Markus M. Müller
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm