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Seit 2009 leitete Prof. Dr. Marcel Tyrell das Buchanan Institut für Unternehmer- und Finanzwissenschaften an der Zeppelin Universität. Vorher lehrte er unter anderem an der Universität Frankfurt, der University of Pennsylvania und der European Business School. Schwerpunktmäßig forscht er zu Veränderungen von Finanzsystemstrukturen, mikro- und makroökonomischen Auswirkungen von Finanzkrisen und der Verschuldungsdynamik von Volkswirtschaften. 2017 übernahm er den Lehrstuhl Banking and Finance an der Universität Witten/Herdecke und blieb der Zeppelin Universität als Gastprofessor für Economics of Financial Institutions erhalten.
Nicht nur von Seiten der Gewerkschaften, die bis zu 30.000 Arbeitsplätze in Gefahr sehen, wird gegen den Zusammenschluss Sturm geblasen, auch viele Investoren stehen der Bankenfusion skeptisch gegenüber. So hat zum Beispiel die Vermögensanlage- und Fondsgesellschaft „BlackRock“, einer der größten Investoren in beiden Banken, öffentlich die Logik der Fusion angezweifelt. Und auch die Regierungskoalition ist zumindest gespalten. Während es als offenes Geheimnis gilt, dass Bundesfinanzminister Olaf Scholz und sein Staatsekretär Jörg Kukies seit Monaten hinter den Kulissen für Fusionsgespräche werben und wohl auch sanften Druck in dieser Hinsicht ausgeübt haben, plädiert Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür, dass sich die Bundesregierung – trotz der Stellung des Bundes als größter Einzelaktionär in der Commerzbank – nicht mit einem Votum einmischen sollte.
Was würde eine Fusion bringen und woher rührt der Widerstand? Zuerst einmal: Beide Banken waren im vergangenen Jahrzehnt nicht erfolgreich. Wenn man die Ertragsentwicklung und das Ertragspotential reflektiert im Aktienkurs im Vergleich zum Branchenindex oder auch zu einzelnen Konkurrenten betrachtet, muss festgestellt werden, dass sowohl die Commerzbank als auch die Deutsche Bank immer mehr ins Hintertreffen geraten sind. Beide Institute zählen schon seit geraumer Zeit – gemessen an der Marktkapitalisierung – nicht mehr zu den 50 größten Banken der Welt.
Aber auch im Hinblick auf die Kostenstruktur oder die IT-Ausstattung kann man nur zu dem Urteil kommen, dass beide Banken große Probleme in der Wettbewerbsfähigkeit haben. Hinzu kam zumindest bei der Deutschen Bank ein massives Führungsproblem in den vergangenen 15 Jahren, das sich an einer Abfolge von widersprüchlichen Strategieschwenks, einem Verlust an Investmentbanking-Kompetenz (trotz hoher Boni-Zahlungen) und vieler interner und externer Skandale, in die die Bank involviert war, ablesen lässt. Die Commerzbank hat nach der Finanzkrise versucht, sich als Mittelstandsbank für große Mittelstandsunternehmen zu positionieren, und war damit ebenfalls nur mäßig erfolgreich.
Ob sich aus einer Fusion betriebswirtschaftliche Synergieeffekte ergeben, kann mit Fug und Recht bezweifelt werden. Allein die Zusammenführung und Modernisierung der Informationssysteme würde kurzfristig vermutlich Milliardensummen verschlingen, denn beide Banken arbeiten mit Systemen, die im Kern noch aus den 1970er-Jahren stammen. Die Kostensenkungen einer Fusion, die von Beratern auf bis zu 6 Milliarden Euro pro Jahr eingeschätzt werden und die sich jeweils zur Hälfte auf Personalkosten und Sachkosten wie IT beziehen, werden – wenn überhaupt – erst mittel- bis langfristig zu erreichen sein. Die fortwährenden Schwierigkeiten der Deutschen Bank in der Integration der Postbank, die immerhin schon im Jahre 2008 übernommen wurde, spricht hier Bände.
Attraktiv wäre ein Zusammenschluss aufgrund der Größeneffekte im Retail Banking, dem Massengeschäft mit Privatkunden. Hier hat die Deutsche Bank (inklusive der Postbank) bisher nur einen Marktanteil von ungefähr 11 Prozent, der insbesondere der Tatsache geschuldet ist, dass die Sparkassen und Genossenschaftsbanken in diesem Geschäftsbereich eine traditionell bedeutende Rolle spielen. Zusammen mit der Commerzbank hätte man etwa 19 Prozent.
Es gibt noch zwei weitere Gründe, die es für die Deutsche Bank interessant machen könnten, die Commerzbank zu übernehmen. Der Buchwert des Eigenkapitals der Commerzbank ist um den Faktor 3 höher als ihr Marktwert.
Durch eine Integration der Commerzbank käme die Deutsche Bank in einem dann gemeinsamen Institut eher um eine Kapitalerhöhung herum, die aufgrund der gestiegenen Eigenkapitalerfordernisse ansonsten wahrscheinlich unausweichlich wäre. Zudem hat die Commerzbank ein für die Deutsche Bank attraktives Einlagengeschäft, das immerhin 63 Prozent ihrer risikoadjustierten Aktiva ausmacht. Einlagen sind für Banken interessant, denn sie stellen eine im Vergleich zu Kapitalmarktinstrumenten preiswerte und relativ sichere Refinanzierungsmöglichkeit dar, die sich insbesondere in Krisenzeiten immer wieder als wichtig herausgestellt hat.
Für die Commerzbank wäre der Zeitpunkt der Fusion geschickt gewählt. Das Verhältnis der Marktkapitalisierung beider Bankhäuser, das im Jahre 2013 noch bei 6:1 für die Deutsche Bank lag, hat sich in den vergangenen zwei Jahren wegen der anhaltenden Schwierigkeiten der Deutschen Bank auf 2:1 verringert. Die Commerzbank hat somit in der jetzigen Situation eine gute Verhandlungsposition in den Fusionsgesprächen, die vor allem dem größten Einzelaktionär, dem Bund, gefallen dürfte.
Womit wir bei der Politik wären. Hier wird seitens des Bundesfinanzministeriums und auch des Bundeswirtschaftsministeriums betont, dass man in bestimmten Schlüsselindustrien – zu denen auch der Finanzsektor gehört – nationale beziehungsweise europäische Champions benötigt, um global mithalten zu können. Aber ist dies gerade im Bankensektor ein schlüssiges Argument? Die Bankensektoren stehen überall auf der Welt vor großen Herausforderungen. Neben der Niedrigzinspolitik haben veränderte Finanzierungsstrukturen der Unternehmen und ein sich änderndes Anlageverhalten der privaten Haushalte die Rahmenbedingungen für das traditionelle Bankengeschäft fundamental gewandelt.
Die Digitalisierung ist hier die entscheidende Triebkraft: Fintech-Unternehmen und der immer weiter steigende Anteil der immateriellen Vermögensgegenstände auf den Unternehmensbilanzen sind sichtbare Zeichen dieses Wandels. Die Schaffung eines nationalen beziehungsweise internationalen Champions, der eine gewisse Stärke dann nur in diesen traditionellen Geschäftsfeldern aufweist, ist nicht gerade der Ausweis einer zukunftsgeleiteten Politik, denn es negiert die Veränderungsdynamik im Bankensektor und hilft global agierenden Unternehmen gerade nicht in ihren Finanzierungserfordernissen. Nein, hier entsteht ein Dinosaurier, der in einem – durch die Marktdynamik getriebenen – wahrscheinlich werdenden Notfall mittels einer impliziten Staatsgarantie gerettet werden würde.
Titelbild:
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Bilder im Text:
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Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Marcel Tyrell
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm