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Prof. Dr. Georg Jochum ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Steuer- und Europarecht und Recht der Regulierung. Seine Schwerpunkte liegen bei europäischem Gemeinschaftsrecht und dort speziell dem Finanz- und Währungsrecht. Der Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Steuer- und Europarecht und Recht der Regulierung vermittelt den Studierenden der Zeppelin Universität in deren Hauptstudium die rechtlichen Rahmen des Wirtschaftlichen Handelns, sowohl im nationalen Recht als auch im grenzüberschreitenden Recht der europäischen Gemeinschaften.
Zwischen Bayern und Österreich zeichnet sich nach dem Ende der maßgeblich durch Österreich zu Fall gebrachten sogenannten „Ausländermaut“, einem Prestigeobjekt der CSU, nun der nächste Konflikt ab. Ausgelöst wurde dies durch die Sperrung von Landstraßen zunächst in Tirol und nun auch in Salzburg für den Transitverkehr während der Sommerferien. Die jeweiligen Landesregierungen der beiden österreichischen Bundesländer begründen diese Maßnahmen damit, dass die Belastung der Landstraßen insbesondere im Sommer durch den Lkw- und Reiseverkehr unerträglich geworden sei, da die Fahrzeugführer zur Umgehung der Maut und auch zur Umfahrung von Staus bei ihrer Fahrt von Deutschland nach Italien zunehmend auf Land- und Seitenstraßen ausgewichen seien, was in den betroffenen Gemeinden zu Gefahren für Mensch und Umwelt führe. Die bayerische Landesregierung war recht schnell mit dem Vorwurf einer Verletzung des europäischen Unionsrechts bei der Hand und hat sich bei der EU-Kommission beschwert. Die EU-Kommission prüft nun, ob ein Verstoß gegen Unionsrecht vorliegt.
Ob ein solcher Verstoß gegen Unionsrecht tatsächlich vorliegt, wird letztinstanzlich durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entschieden. Bayern kann allerdings als deutsches Bundesland die österreichischen Bundesländer Tirol und Salzburg nicht vor diesem Gerichtshof verklagen. Vielmehr könnte allein die Bundesrepublik gegen die Republik Österreich ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 259 AEUV anstrengen. Auch in diesem Verfahren wäre die Kommission zunächst zu beteiligen. Ein solches Vertragsverletzungsverfahren kann auch unabhängig von einem Mitgliedstaat durch die Kommission selbst angestrengt werden.
Für den betroffenen Autofahrer sind die Möglichkeiten einer gerichtlichen Klärung durch den EuGH begrenzt. Neben der Möglichkeit, sich bei der Kommission zu beschweren, was diese dann gegebenenfalls zu gerichtlichen Schritten veranlassen könnte, gibt es nur die Möglichkeit, in Österreich gegen das Durchfahrtverbot durch die Instanzen zu klagen, um dann eine Vorlage vor dem EuGH zu erreichen. Dies verlangt einen langen Atem, ist kostenintensiv und dürfte daher nur für Menschen mit ausgesprochen querulatorischer Veranlagung infrage kommen.
Ganz unabhängig davon ist die Frage zu stellen, ob ein solches Vorgehen vor dem EuGH tatsächlich Aussicht auf Erfolg hätte. In Betracht kommt hier eine Verletzung der Grundfreiheiten, nämlich des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Europäischen Union. Die Garantie des freien Warenverkehrs verbietet in Art. 34 AEUV alle Einfuhrbeschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung. Dieses Verbot wird sehr weit verstanden und erfasst alle staatlichen Maßnahmen, die eine Beschränkung der Einfuhr oder der Durchfuhr von Waren begründen können. Dazu gehört auch das Verbot, bestimmte öffentliche Straßen für den Lkw-Verkehr zu nutzen. Die Dienstleistungsfreiheit vermittelt den Unionsbürgern das Recht, sich zum Empfang von Dienstleistungen (dazu gehören auch Tourismusleistungen) in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben. Insofern ließe sich eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit dahingehend konstruieren, dass EU-Bürger durch die Fahrverbote und die damit verbundene längere Verkehrszeit von Urlauben in Italien abgehalten würden.
Nimmt man eine Beeinträchtigung an, so kann diese allerdings durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden, sofern nicht eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit gegeben ist. Eine solche Diskriminierung ist schon deswegen nicht anzunehmen, weil die Fahrverbote unabhängig von der Nationalität der jeweiligen Fahrer bestehen. Als Allgemeinwohlgründe hat der EuGH unter anderem auch den Umweltschutz und den Schutz der Gesundheit anerkannt. Die übermäßige Belastung von kleinen Straßen durch den Durchgangsverkehr begründet zweifellos solche Gefahren sowohl für die Umwelt wie auch für die Gesundheit der Anwohner, sodass die Maßnahmen gerechtfertigt sein können.
Bleibt die Frage, ob die Fahrverbote auch verhältnismäßig sind. In diesem Zusammenhang prüft der EuGH nur, ob nicht mildere, geeignetere Mittel gegeben seien. Gründe für eine Unverhältnismäßigkeit sind allerdings kaum ersichtlich. Zum einen werden die entsprechenden Bundesländer für den Durchgangsverkehr ja nicht geschlossen, sondern der Durchgangsverkehr wird auf bestimmte Fernstraßen beschränkt. Dass diese Fernstraßen überlastet sind, führt nicht automatisch zu der Verpflichtung, eine Verteilung des Durchgangsverkehrs auf alle Straßen unabhängig von Umwelt und Gesundheitsgefahren zuzulassen. Im Gegenteil: Angesichts der mit der Verkehrsbelastung verbundenen Umwelt- und Gesundheitsgefahren ist die Konzentration dieses Verkehrs auf bestimmte Strecken ein verhältnismäßiger Ausgleich zwischen den Umwelt- und Gesundheitsinteressen einerseits und den Interessen des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs andererseits. Aus rechtlicher Perspektive spricht daher einiges dafür, dass die österreichischen Bundesländer das Unionsrecht nicht verletzt haben. Es steht zu erwarten, dass auch die Kommission zu diesem Ergebnis kommt. Anders als die Ausländermaut wären diese österreichischen Fahrverbote wohl kein Fall für den EuGH.
Titelbild:
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Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Georg Jochum
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm