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Alexander Eisenkopf studierte Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Nach seiner Promotion über Just-in-Time-orientierte Fertigungs- und Logistikstrategien arbeitete und lehrte Eisenkopf in Gießen und Frankfurt. Seit 2003 ist Eisenkopf Professor an der Zeppelin Universität und Gastdozent an der Wiener Wirtschaftsuniversität. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem auf Mobilität und Transportunternehmen.
„Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen (Drucksachen 18/3990, 18/4455)“ heißt es ganz unspektakulär im Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages vom 27. März 2015, doch hinter dieser unscheinbaren Formulierung verbirgt sich ein lang diskutiertes Novum deutscher Verkehrspolitik: die PKW-Maut. Während LKW-Fahrer bereits seit 2005 abhängig von der zurückgelegten Strecke eine Gebühr entrichten müssen, soll dies ab Januar 2016 auch für Personenkraftwagen zum Alltag werden, allerdings als pauschale Abgabe unabhängig von der Fahrtstrecke. Die Regelung geht mit der Zahlung der KFZ-Steuer einher, sodass alle steuerpflichtigen Automobile mit einer Jahresvignette ausgestattet werden müssen - ob sie im betreffenden Zeitraum tatsächlich Bundesautobahnen nutzen, spielt dabei keine Rolle. Berechnet wird die Höhe der Abgabe entsprechend des Hubraums sowie der Umweltfreundlichkeit des PKW, wobei ein Durchschnittspreis von rund 74€ erwartet wird und die Gebühr maximal 130€ betragen soll. Autofahrer im Ausland haben zudem die Möglichkeit, eine Zehn-Tages-Vignette für zehn Euro oder eine Zwei-Monats-Vignette für zwanzig Euro zu erwerben.
Während in einigen deutschen Nachbarstaaten wie Österreich oder der Schweiz die klassische Papiervignette als Maut-Nachweis dient, soll die Einhaltung der Abgabe in Deutschland mithilfe einer sogenannten „E-Vignette“ überwacht werden. Zu diesem Zweck werden die Kennzeichen der Fahrzeuge, welche die Maut entrichtet haben, elektronisch registriert und an zahlreiche Überwachungsstationen digital mit den durchfahrenden PKW abgeglichen. Für deutsche Autofahrer sollen mit dieser Infrastrukturmaßnahme keinerlei Mehrkosten verbunden sein, die Mautzahlungen sollen als Freibetrag im Rahmen der Kraftfahrzeugsteuer zurückerstattet werden - und haben somit lediglich finanzielle Auswirkungen auf ausländische Autofahrer. Jedoch sind die Kosten für die Einrichtung sowie die möglichen Erträge aus der Mauterhebung bislang umstritten, besonders über die potentielle Gewinnaussichten herrschen starke Meinungsunterschiede. Entsprechend deutlich waren die Reaktionen auf das Gutachten von ZU-Professor Dr. Wolfgang H. Schulz und seinem wissenschaftlichen Team, das dem Bundesministerium die empirische Korrektheit der Kalkulationen bestätigte. Scharfe Kritik gab es auch universitätsintern von Professor Dr. Alexander Eisenkopf, der die Schätzungen für zu optimistisch betrachtet.
ZU-Wissenschaftler Schulz betrachtet die Angelegenheit, wie er sagt, nach dem Postulat Max Webers der Werturteilsfreiheit der Wissenschaft sachlich und betont, er selbst habe keine persönliche Meinung über die PKW-Maut. Die Studie sei lediglich eine empirische Überprüfung der Annahmen, die das Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur im Rahmen des Gesetzentwurfes aufgestellt habe. Zwar sei die Erhebung einer Maut für ausländische Kraftfahrer auch eine politische, normative Entscheidung, sie müsse aber vor allem hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit Überprüfungen aushalten können. Dabei wägt Schulz die positiven wie negativen Folgen ab und konstatiert gesamtwirtschaftliche Einkommenssteigerungen und gesteigerte Produktivität, sollten eventuelle Einnahmenüberschüsse in Infrastrukturprojekte investiert werden können. Im Falle von Verlusten sei es jedoch lediglich ein aufwändiger Verwaltungsakt der finanzielle Ressourcen binde und daher keine volkswirtschaftlichen Vorteile biete.
Dem Bundesverkehrsminister attestiert der Friedrichshafener Ökonom, dessen Kalkulationen seien „durchweg nachvollziehbar und schlüssig“. So sei besonders die zentrale Variable der Grenzübertritte durch ausländische PKW korrekterweise ausschließlich aus amtlichen Statistiken entnommen und die Aufteilung der Fahrtzwecke (darunter Tagespendler, Dienstreisende oder Urlauber) entsprechend offizieller Daten gewählt. Entscheidend sie hier die deutliche empirische Fundierung, während andere Studien lediglich theoretischen Annahmen folgten. Insgesamt seien die Berechnungen, so Schulz, streckenweise konservativ ausgefallen, weshalb mit noch höheren Einnahmen gerechnet werden könne, also noch mehr als die von der Studie selbst bestätigten 695,9 Millionen Euro. So resümiert er, das Bundesministerium lege „eine werturteilsfreie sowie methodisch und empirisch abgesicherte, realistische Berechnung und Prüfung der erwartbaren Mautkosten und Mauteinnahmen vor.“
Ebenso entscheidend wie die umstrittenen Einnahmen gestalten sich die Umsetzungskosten, welche die Maut mit sich bringen wird. Eisenkopf rechnet hier mit einem einmaligen Aufwand von rund 375 Millionen Euro und circa 200 Millionen Euro an jährlichen Aufwendungen bei einem auf zehn Jahre angelegten Vertrag mit dem Betreiberunternehmen. „Neben den Zahlungen an den Mautbetreiber bewirkt die Abgabe auch einen hohen Bürokratieaufwand“ erläutert der ZU-Professor und warnt davor, die Kosten zu unterschätzen. Dazu kämen die Ausweichmaßnahmen der Pendler und Autofahrer in Grenznähe, die in seinen Erwartungen vermehrt Landes- und kommunale Straßen nutzen werden und damit schließlich bei Anwohnern für stärkere Lärm- und Schadstoffbelastung sorgen: „Wir haben einige vergleichbare Fälle im europäischen Kontext, etwa am Bregenzer Tunnel, dem Aachener Raum oder in Schaffhausen, wo die Autofahrer schlichtweg andere Wege nutzen.“
Ob die Maut auch wirtschaftliche Folgen für grenznahe Unternehmen haben wird, dessen ist sich Eisenkopf nicht grundlegend sicher, er sieht mögliche negative Konsequenzen höchstens für ausschließlich autobahngebundene Einkaufs- und Unternehmenszentren. „Wie sich das Einkaufsverhalten nach einer solchen Maut-Einführung verändert, wäre reines Kaffeesatzlesen“, konstatiert der Wissenschaftler, „aber wir haben in vergleichbaren Fällen kein nennenswertes Handelssterben feststellen können.“
Die erste Hürde im Bundestag ist genommen und auch die Entscheidung des Bundesrates fiel positiv aus. Doch in den Augen einiger Maut-Kritiker gibt es noch ein weitaus größeres Hindernis mit Sitz in Luxemburg: Der Europäische Gerichtshof. Professor Alexander Eisenkopf befindet es jedenfalls für wahrscheinlich, dass der Gesetzentwurf vor seiner Umsetzung noch einen Umweg zur europäischen Judikative einlegen wird.
Titelbild: Tim Reckmann / flickr.com (CC-BY-NC-SA 2.0)
Bilder im Text: ASFINAG (Pressematerial)
Redaktionelle Umsetzung: Felix Lennart Hake