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Georg Jochum, geboren 1968 in Köln, studierte als Stipendiat der Friedrich-Naumann-Stiftung Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln und schloss sein Studium 1993 mit der ersten juristischen Staatsprüfung ab. Im Jahr 1996 promovierte er zum Thema „Materielle Anforderungen an das Entscheidungsverfahren in der Demokratie“, ein Jahr später folgte die zweite juristische Staatsprüfung, im Jahr 2003 habilitierte Jochum zum Thema „Die Steuervergünstigung“. Nach Tätigkeiten als Rechtsanwalt, wissenschaftlicher Assistent und Lehrbeauftragter an verschiedenen Hochschulen wurde er im Jahr 2007 zum außerplanmäßigen Professor an der Uni Konstanz ernannt. Im gleichen Jahr wurde Jochum Mitglied in der wissenschaftlichen Kommission der Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes.
Das Bundesverfassungsgericht hat am 26. Februar 2020 Paragraf 217 Strafgesetzbuch (im Folgenden § 217 StGB), der die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellt, für nichtig erklärt. In den Leitsätzen der Entscheidung stellt das Gericht noch einmal klar, was eigentlich seit Inkrafttreten des Strafgesetzbuches 1871 gegolten hat. Die Selbsttötung ist Ausdruck des selbstbestimmten Lebens. Das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben, das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz herzuleiten ist, schließt das Recht des Einzelnen ein, „seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen.“ Dieses Recht ist Teil der Menschenwürde und daher durch den Gesetzgeber nicht einschränkbar. Aus diesem unmittelbar mit der Menschenwürde verknüpften Kern folgt auch, dass ein Verbot der gewerbsmäßigen Sterbehilfe verfassungswidrig ist, weil es in seiner Wirkung die Möglichkeit, Hilfe beim selbstbestimmten Suizid in Anspruch zu nehmen, praktisch ausschließt.
Damit wird durch das Bundesverfassungsgericht verfassungsrechtlich bestätigt, was einfachgesetzlich seit 1871 im Strafgesetzbuch galt. Aufgrund der Straflosigkeit des Suizids war auch die Beihilfe zum Suizid straflos. Denn eine Beihilfe ist nur dann strafbar, wenn die Haupttat, zu der Hilfe geleistet wird ebenfalls strafbar ist. Die herkömmliche strafrechtliche Judikatur und Literatur befasste sich somit eher mit der Frage, wie die straflose Beihilfe zum Suizid von der nach § 216 StGB strafbaren Tötung auf Verlangen abzugrenzen sei.
Es entsprach wohl dem Zeitgeist, dass sich der Gesetzgeber im Jahr 2015 veranlasst sah, mit § 217 StGB eine Strafnorm zu schaffen, die die Beihilfe zu einer straflosen Tat unter Strafe stellte. Diese Regelung war von Anfang an verfassungswidrig und das Bundesverfassungsgericht hat dies durch die Feststellung der Nichtigkeit auch in begrüßenswerter Weise klargestellt.
Das Gericht weist allerdings in der Entscheidung darauf hin, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, die Autonomie des Selbstmörders zu schützen, und daher auch berechtigt ist, diesbezüglich gesetzgeberische Maßnahmen zu treffen. Diese Regelungen dürfen aber nicht so weit gehen, dass sie den Zugang zu freiwillig bereitgestellter Suizidhilfe faktisch verschließen.
Infolge des Urteils hat sich nun eine etwas eigenwillige Debatte entwickelt. Die Befürworter der Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Suizidhilfe (wobei geschäftsmäßig regelmäßig nicht gewerblich bedeutet, sondern nur eine auf Wiederholung angelegte Tätigkeit) wollen schnell eine neue Regelung schaffen, die die Ziele des verfassungswidrigen Gesetzes möglichst schnell wiederherstellt. Wieder andere befürworten nun Regelungen wie sie in den Niederlanden oder Belgien gelten.
Es ist zu vermuten, dass die Diskussion wahrscheinlich der Debatte im Jahr 2015 gleichen wird, die zur Einführung des § 217 StGB geführt hat. Damals waren mehrere fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe im Raum, von denen der Bundestag dann den restriktivsten auswählte. Dies wird nun nicht mehr gehen. Allerdings besteht auch jetzt die Gefahr, dass ethisch-moralische Einstellungen zum Selbstmord nun wieder die Debatte bestimmen. Dies ist legitim, sollte dann allerdings in der Diskussion auch offen gesagt werden. Es ist daher durchaus problematisch, wenn sich Mitglieder des sogenannten Nationalen Ethikrates auf vermeintlich philosophisch begründete Positionen beziehen, ohne offenzulegen, dass diese Position der christlichen Vorstellung des Lebensschutzes entspringt und damit nur ihrer – intellektuell verschleierten – persönlichen Glaubensüberzeugung. Eine religiöse Überzeugung zu haben ist legitim, führt allerdings in einer verfassungsrechtlichen Diskussion in die Irre, wie man am Scheitern des § 217 StGB sehr gut besichtigen kann.
Der Gesetzgeber wird nun anerkennen müssen, dass es eine autonome Entscheidung zum Suizid gibt und diese autonome Entscheidung nicht grundsätzlich als Irrtum oder als Folge fehlender Hilfe angesehen werden kann. Der Gesetzgeber kann allenfalls Möglichkeiten schaffen, welche die Autonomie des Einzelnen in diesen existenziellen Fragen stärken. Dazu gehören Beratungsangebote, eine verbesserte palliativmedizinische Versorgung, gegebenenfalls auch besondere Anforderungen an die Sterbehelfer, die im Übrigen zur Sterbehilfe auch nicht verpflichtet werden dürfen. Wenn allerdings die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) bereits sagt, dass der assistierte Suizid keine gesellschaftliche Normalität werden dürfe, ist Skepsis angebracht, ob die Botschaft des Urteils verstanden worden ist. Es geht nicht darum, ob Suizid oder assistierter Suizid gesellschaftlich normal wird oder nicht. Es geht darum, die Autonomie des Einzelnen auch im Sterben, im Sinne eines richtig verstandenen Lebensschutzes, zu stärken. Insofern steht zu hoffen, dass sich in der nun folgenden Debatte die Erkenntnis durchsetzt, dass § 217 StGB nicht nur schlecht gemacht war, sondern auch nicht gut gemeint.
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Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Georg Jochum
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm