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Virus-Pandemie

„Lernen von Corona“? Vergesst es!

Nicht nur der rhetorischen Verklärung, sondern des blanken Zynismus macht sich schuldig, wer die aktuellen Zustände sogar feiert und sich die früheren gar nicht mehr zurückwünscht.

Dr. Joachim Landkammer
Akademischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunsttheorie und inszenatorische Praxis
 
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    Zur Person
    Dr. Joachim Landkammer

    Dr. Joachim Landkammer wurde 1962 geboren und studierte in Genua und Turin. Nach seinem dortigen Philosophiestudium, abgeschlossen mit einer Arbeit über den frühen Georg Simmel und einer ebenfalls in Italien durchgeführten Promotion über den Historikerstreit, hat Joachim Landkammer als Assistent und wissenschaftlicher Mitarbeiter von Prof. Dr. W. Ch. Zimmerli an den Universitäten Bamberg, Marburg und Witten/Herdecke gearbeitet. Seit 2004 ist er Dozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Zeppelin Universität und Verantwortlicher des ZU-artsprogram für den Bereich Musik.

    Joachim Landkammer arbeitet neben seiner Lehrtätigkeit und einer gewissen journalistischen Textproduktion an verschiedenen interdisziplinären Themen in
    den Anwendungs- und Grenzbereichen der Philosophie, der Ästhetik und der Kulturtheorie. Ein dezidiertes Interesse gilt dem Dilettantismus und der Kunst- und Musikkritik.  

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Es ist ja irgendwie verständlich, dass man versucht, sich auch aus den schlimmsten Katastrophen noch einen Sinn zurechtzubasteln. Immer wieder haben die Überlebenden einer „Krise“ sich nachträglich in sauber aufgereihten Positivlisten zurechtgelegt, was man nun alles aus ihr „gelernt“ habe; der entsprechende „Lernerfolg“ diente wohl vor allem zur Beruhigung des schlechten Gewissens, das jeder Überlebende qua Überlebender mit sich herumschleppt. Es ist, als ob man die allzu pietätlose Erleichterung des „Hurra, wir leben noch!“ entschärfen müsste durch die nachgeschobene Beschwichtigung: „Aber wir leben jetzt als klügere, bewusstere, bessere Menschen.“


Analog kann man und wird man nun in den nächsten Tagen viel lesen und hören über die vielen angeblich positiven Seiten der Corona-Pandemie und über die Schübe an Bewusstsein, Sensibilität und Gewissen, die wir ihr – „trotz allem“ – doch verdanken würden. Das „Lernen aus der Krise“ findet wie das „Lernen aus dem Scheitern“ schnell seine üblichen Fürsprecher vom Dienst, die mit ihrer bereits von Voltaire verspotteten optimismusgeschwängerten Rhetorik des „Guten-im-Schlechten“ immer schon das post-traumatische Kollektiv besänftigt, getröstet und zum „Durchhalten“ ermuntert haben.

Dass wir unter den aktuellen Umständen offenbar zu wenig Intensivbetten haben, ist sicher etwas, was das Gesundheitssystem aus der Krise hoffentlich „lernen“ wird. Über solche ziemlich eindeutigen faktischen „Learnings“ für die künftige medizinische (Not-)Versorgung hinaus sollten wir uns aber lieber zurückhalten mit weiteren angeblichen moralischen „Lessons to learn“.
Dass wir unter den aktuellen Umständen offenbar zu wenig Intensivbetten haben, ist sicher etwas, was das Gesundheitssystem aus der Krise hoffentlich „lernen“ wird. Über solche ziemlich eindeutigen faktischen „Learnings“ für die künftige medizinische (Not-)Versorgung hinaus sollten wir uns aber lieber zurückhalten mit weiteren angeblichen moralischen „Lessons to learn“.

Die mehr oder weniger professionell betriebene Schönrednerei beruht auf der simplen Strategie der Kontextausblendung, oder genauer: der Verschweigung der Kosten. Natürlich zeigen sich unter erschwerten Bedingungen immer einige Phänomene, die sich als Lichtblicke im Dunkeln, als kleine Erleichterungen des Unerträglichen, als Hinweise darauf wahrnehmen lassen, dass es immer noch schlimmer sein könnte. Aber diese Ausnahmeerscheinungen in der Ausnahmesituation nun zu isolieren und sie als Errungenschaften, Einsichten, moralische Leistungen zu loben und daher zu fordern, dass sie doch nun bitte auch in die Zeit nach der Krise hinübergerettet werden, heißt vollständig verkennen, dass sie zwingend zu all den anderen aversen Umständen dazugehören, und dass sie ohne diese eben nicht zu haben sind.


Mit anderen Worten: Wer jetzt meint, die Krise hätte doch „auch ihr Gutes“, kann das entweder nur ironisch meinen (so wie die Lehrer, die jetzt meinen, die Eltern würden nun endlich auch erfahren, was es heißt, sich ausgiebig mit ihren „hochbegabten“ Kindern beschäftigen zu müssen) oder kommt in gefährliche Nähe zu Aussagen vom Typ „Unter Hitler war ja nicht alles schlimm“ oder „In der DDR gab es viel mehr Nachbarschaftshilfe“. Dem muss man nach wie vor die alte Adorno-Weisheit entgegenhalten, dass es „kein richtiges Leben im falschen“ gibt, dass es also die Verhältnisse im Ganzen sind, die man im Auge behalten muss, wenn es nicht um Schönfärberei, sondern um ein nüchternes und realistisches Urteil gehen soll.

Der Philosoph Blaise Pascal meinte schon: „Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.“ Stattdessen müssen sie bei nächstbester Gelegenheit wieder in riesigen Massen nach draußen strömen und dafür sorgen, dass der Cannstatter Wasen nicht so schön leer aussieht wie auf diesem wunderbaren Bild. Aber wird das philosophische #StayatHome nicht dann erst wieder so richtig attraktiv, wenn alle anderen draußen beim Feiern sind?
Der Philosoph Blaise Pascal meinte schon: „Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.“ Stattdessen müssen sie bei nächstbester Gelegenheit wieder in riesigen Massen nach draußen strömen und dafür sorgen, dass der Cannstatter Wasen nicht so schön leer aussieht wie auf diesem wunderbaren Bild. Aber wird das philosophische #StayatHome nicht dann erst wieder so richtig attraktiv, wenn alle anderen draußen beim Feiern sind?

Nicht nur der rhetorischen Verklärung, sondern des blanken Zynismus macht sich schuldig, wer die aktuellen Zustände sogar feiert und sich die früheren gar nicht mehr zurückwünscht. So hat etwa die italienische Psychologin Elena Bernabè auf ihrem Blog „Eticamente.net“ vor kurzem einen Text übertitelt mit „Non voglio che tutto riprenda come prima“ (auf Deutsch etwa: Ich will gar nicht, dass alles wieder wie früher wird). Denn die Solidarität, die Vor- und Rücksicht im Umgang miteinander, die ökologische Spar- und Achtsamkeit, die Bewusstheit des täglichen Erlebens, ja sogar die Todesangst, die jetzt umgehe – das seien doch alles moralisch höchst positiv zu bewertende Verhaltensweisen, von denen man befürchten muss, dass sie bei Re-Normalisierung der Zustände wieder durch den üblichen Egoismus, die gewohnt rücksichtslose Distanzlosigkeit, das alltägliche sorglose Dahinleben ersetzt werden. Hier wird in nicht anders als totalitär zu nennender Weise ein äußerer Druck, ein permanentes Zwangsregime für all die bösen Mitmenschen herbeigewünscht, weil anders flächendeckende Moralität offenbar nicht zu realisieren ist. 


Das Virus hat und wird schlimmen, vielleicht noch gar nicht vorstellbar schlimmen Schaden unter uns anrichten. Aber der schlimmste wäre zweifelsohne der, dass wir ihm auch noch „psychologisch“ verfallen und uns in einer Art „Stockholm-Syndrom“ zu seinen Komplizen machen lassen, weil er ja angeblich auch das „Beste“ aus uns herausholt. Nein, wir müssen dieses Virus so wie auf gesundheitlicher, physischer Ebene auch „in unseren Köpfen“ radikal bekämpfen. Es ist mörderisch und böse und nichts, gar nichts an ihm ist gut oder sinnvoll. Auch solange jetzt wieder die Redewendung zu hören ist, dass nach Corona „nichts mehr so sein wird wie vorher“, erliegen wir noch der perversen Faszination der Sinnfindung im Sinnlosen. Zu hoffen bleibt vielmehr, dass wir nach der durch nichts zu tröstenden und zu verharmlosenden Trauer über die Opfer möglichst bald, ganz ohne irgendwas aus dieser schrecklichen Katastrophe „lernen“ zu müssen, alles wieder so machen dürfen wie früher. Und sei es nur an dieser Universität wieder die ganz normale alte Präsenzlehre statt der unsäglichen aktuellen Online-Präsenz-Simulation.

In einer „Eremitage“, wie hier in Arlesheim, konnte man mal ernsthaft meinen, dass Einsamkeit auch ihre schönen Seiten hat, weil ja auch Schönheit oft einsam ist. Aber sollen wir daraus wirklich eine Regel, gar eine Norm machen? Wer jetzt das Alleinsein verklärt, redet sich einen Zwangszustand schön, der für viele vor allem grausam ist.
In einer „Eremitage“, wie hier in Arlesheim, konnte man mal ernsthaft meinen, dass Einsamkeit auch ihre schönen Seiten hat, weil ja auch Schönheit oft einsam ist. Aber sollen wir daraus wirklich eine Regel, gar eine Norm machen? Wer jetzt das Alleinsein verklärt, redet sich einen Zwangszustand schön, der für viele vor allem grausam ist.

Titelbild: 

| CDC / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Bilder im Text: 

Lacu Schienred / Eigenes Werk (CC BY-SA 4.0) | Link

Enslin / Eigenes Werk (Public Domain) | Link

EinDao / Eigenes Werk (CC BY-SA 4.0) | Link


Beitrag und Bildunterschriften: Dr. Joachim Landkammer

Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

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Zeit, um zu entscheiden

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