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Seit 2009 leitete Prof. Dr. Marcel Tyrell das Buchanan Institut für Unternehmer- und Finanzwissenschaften an der Zeppelin Universität. Vorher lehrte er unter anderem an der Universität Frankfurt, der University of Pennsylvania und der European Business School. Schwerpunktmäßig forscht er zu Veränderungen von Finanzsystemstrukturen, mikro- und makroökonomischen Auswirkungen von Finanzkrisen und der Verschuldungsdynamik von Volkswirtschaften. 2017 übernahm er den Lehrstuhl Banking and Finance an der Universität Witten/Herdecke und blieb der Zeppelin Universität als Gastprofessor für Economics of Financial Institutions erhalten.
Die Diskussion um Corona-Bonds, also die Emission gemeinsamer Staatsanleihen der EU-Staaten zur Bewältigung der Folgen der Corona-Krise, geht in die nächste Runde. Auch wenn sich die EU-Finanzminister auf ihrer vergangenen gemeinsamen Videokonferenzsitzung am 9. April im Angesicht der Corona-Wirtschaftskrise auf ein Hilfspaket im Volumen von 500 Milliarden Euro geeinigt haben, das in wesentlichen Teilen durch den Euro-Rettungsfonds ESM und durch Darlehen der Europäischen Investitionsbank (EIB) finanziert wird, wurde das heikle Thema Corona-Bonds nach heftigem Streit auf den Videogipfel der EU-Staats- und Regierungschefs am 23. April verschoben.
In der Kontroverse zeigt sich eine tiefe Kluft zwischen Nordländern der EU wie Deutschland, Finnland und die Niederlande, in denen maßgebliche Politiker und Teile der Öffentlichkeit Corona-Bonds aufgrund der gemeinschaftlichen Haftung aller EU-Länder ablehnen, und Südländern wie Frankreich, Griechenland, Italien und Spanien. Die letztgenannten Länder fordern vehement Corona-Bonds auch als Zeichen der europäischen Solidarität zur Bekämpfung der Folgen einer Wirtschaftskrise, deren Ursache nicht dem Verhalten einzelner Länder oder einer schlechten Haushaltsführung geschuldet ist. Hier bricht ein Nord-Süd-Konflikt innerhalb der EU wieder auf, der schon in der Euro-Krise 2010/2011 sichtbar war. Damals wurden Euro-Bonds überwiegend von Nordländern mit dem Argument kategorisch abgelehnt, dass eine gemeinschaftliche Schuldenaufnahme falsche Anreize für hochverschuldete Krisenländer setzen würde. Denn dies würde den Druck von diesen Ländern nehmen, ihre Wirtschafts- und Sozialsysteme grundlegend zu reformieren und zu einem ausgeglichenen Budget zurückzukehren.
In der Euro-Krise setzten sich, so die Auffassung der meisten Beobachter des Konfliktes, die Nordländer durch: Eine gemeinschaftliche Haftung wurde durch die verwendeten Krisenbewältigungsinstrumente und -mechanismen nicht implementiert, auch wenn dieses Ergebnis von einigen Ökonomen und Politikern angezweifelt wurde, die zumindest eine implizite Vergemeinschaftung von Schulden konstatieren. Werden wir jetzt Ähnliches wie in der Euro-Krise beobachten oder kommt es nun zu einer expliziten Einführung von Corona-Bonds? Und sind für die EU Corona-Bonds ein geeignetes Instrument der Bewältigung der Corona-Krise?
Es steht außer Frage, dass die Corona-Pandemie die Weltwirtschaft und damit auch die EU-Mitgliedstaaten nicht nur ökonomisch, sondern auch in seinen gesellschaftlichen und humanitären Folgen schwer trifft. So prognostiziert der Internationale Währungsfonds (IWF) in seinem neuesten World Economic Outlook vom 15. April, dass das reale Bruttosozialprodukt der Eurozone im Jahr 2020 um 7,5 Prozent fallen wird; eine Prognose, die von vielen Experten sogar als noch zu optimistisch eingeschätzt wird. Zudem ist die Corona-Pandemie ein negativer Schock, der nahezu zeitgleich die gesamte Weltwirtschaft getroffen und damit – so der IWF – die schwerste Rezession der Weltwirtschaft seit der großen Depression in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts verursacht hat. Dies bedeutet, dass wir es mit einer weltweiten Krise zu tun haben, die mit einem rezessiven Angebots- und Nachfrageschock einhergeht. Nicht nur der Konsum ist mehr oder weniger in Bezug auf eine Vielzahl von Gütern und Dienstleistungen zusammengebrochen, sondern auch das Angebot von Gütern und Dienstleistungen musste massiv zurückgefahren werden: Unternehmen mit eigentlich guten Geschäftsmodellen sind nicht mehr in der Lage, Güter und Dienstleistungen zu erzeugen und abzusetzen, sie stehen aufgrund des Stillstands plötzlich vor gravierenden Liquiditätsproblemen und damit kurz vor dem Zusammenbruch. Auch die sozialen und gesellschaftlichen Konsequenzen werden umso tiefgreifender sein, je länger diese Rezession andauert.
Es kommt also darauf an, dass die Rezession einen V-Verlauf nimmt und sich nicht in ein U oder – noch schlimmer – ein L verwandelt. Weiterhin zeigt die Analyse des IWF in Bezug auf die höher industrialisierten Länder, dass gerade solche Länder besonders stark negativ betroffen sind, die durch ihre Wirtschaftsstruktur in der Weltwirtschaft stark vernetzt sind, hohe wirtschaftliche und soziale Kosten aufgrund der Stärke der Pandemie in ihrem Land tragen müssen und aufgrund der Größe des Landes einen relativ kleinen nationalen Binnenmarkt haben. Dies erklärt, warum für die USA trotz eines desaströsen Managements der Pandemie, eines für weite Teile der Bevölkerung unzureichenden Gesundheitssystems und der kaum vorhandenen sozialen Absicherung durch den Staat insgesamt „nur“ ein Bruttosozialprodukteinbruch von 5,9 Prozent im Jahr 2020 durch den IWF prognostiziert wird, während in Deutschland 7,0 Prozent und in Spanien und Italien 8,0 bzw. 9,1 Prozent Rückgang vorhergesagt werden.
Nur der Staat ist in der aktuellen Situation in der Lage, die ökonomischen Folgen der Pandemie durch Hilfs- und Transferzahlungen abzumildern. Dazu haben die Regierungen in den Ländern Hilfsprogramme implementiert, die sich zwar in Feinstruktur und Ausmaß und damit auch in der Effektivität unterscheiden mögen, aber im Grundsatz alle das Ziel verfolgen, die wirtschaftliche Aktivität zu stabilisieren und eine möglichst schnelle Wiederbelebung nach der Krise zu ermöglichen. Diesem Ziel dienen letztlich auch die Maßnahmen, die die EU bisher beschlossen hat. Trotzdem zeigen sich in den jeweiligen nationalen Hilfsprogrammen klar die Restriktionen in den Handlungsspielräumen, denen die jeweiligen EU-Länder momentan ausgesetzt sind. Der bisher beschlossene Fiskalstimulus in den Ländern Frankreich, Griechenland, Italien und Spanien beläuft sich – so eine aktuelle Analyse der Zeitschrift „The Economist“ vom 18. April – bisher nur auf zwischen 0,7 und 1,2 Prozent des jeweiligen nationalen Bruttosozialproduktes, während beispielsweise in Deutschland staatliche Hilfsmaßnahmen in Höhe von 4,4 Prozent und in den USA und Japan in Höhe von 6,9 bzw. 10 Prozent beschlossen wurden.
Es muss für die Mitgliedstaaten der Eurozone unabhängig von der individuellen Haushaltslage möglich gemacht werden, die notwendigen Stabilisierungs- und Wiederbelebungsmaßnahmen zu treffen. Dazu bedarf es eines Instrumentes, bei dem die finanziell starken Länder den finanziell Schwachen helfen. Die Finanzmärkte haben Zweifel daran, dass Europa dies gelingt. So ist der Zinsspread zehnjähriger spanischer und italienischer Staatsanleihen gegenüber einer deutschen Staatsanleihe in den vergangenen Tagen trotz aller schon beschlossener EU-Programme und der Interventionsmaßnahmen der Europäischen Zentralbank wieder gestiegen. Dies birgt die Gefahr, dass die momentan in diesen Euro-Ländern extrem unter Druck stehenden Bankensysteme aufgrund der Krisendynamik in eine Schieflage geraten, die in einen Teufelskreis zwischen angeschlagenen Banken und schwachen Staatsfinanzen mündet; ein Effekt, wie er schon vor geraumer Zeit von internationalen Ökonomen um Markus Brunnermeier in der Euro-Krise als Risiko beschrieben und vor kurzem in einem Aufruf führender deutscher Ökonomen zur Einführung von Corona-Bonds in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 21. März als reale Gefahr betont wurde. Zweifel an der Stabilität der Bankensysteme würden sicherlich die Risikoprämien der Staatsanleihen weiter erhöhen und geradezu zu spekulativen Attacken einladen, die einen Zusammenbruch der Eurozone zur Folge haben könnten.
Gemeinschaftsanleihen sind in Verbindung mit den sonstigen, schon beschlossenen Maßnahmen der EU und der Einzelstaaten der zentrale Baustein, damit die Kosten der Krise geteilt werden können. Nur eine solche Risikoverteilung schafft die notwendige europäische Solidarität und Stabilität. Der Gefahr des Auseinanderbrechens der Eurozone muss entgegengetreten werden. Ein Zusammenbruch der Eurozone hätte unabsehbare negative Folgen auch für Deutschland, das aufgrund seiner Industrie- und Unternehmensstruktur besonders stark auf einen funktionsfähigen europäischen Binnenmarkt angewiesen ist. Ein V-Verlauf der Rezession wäre ansonsten nahezu ausgeschlossen.
Zur konkreten Ausgestaltung und dem Design der Corona-Bonds werden aktuell eine Vielzahl von interessanten Vorschlägen diskutiert. Hier gibt es genügend Möglichkeiten, die Anleihen so zu strukturieren, dass die richtigen Anreize – auch in Bezug auf die Generationengerechtigkeit – gesetzt werden und die Corona-Bonds keine Vergemeinschaftung der Altschulden der Staaten bedeuten würden. Zudem zeigt eine neueste Untersuchung von Ökonominnen und Ökonomen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft und der Ludwig-Maximilians-Universität München, dass EU-Gemeinschaftsanleihen eine lange Geschichte haben. Auch wenn deren Design in Bezug auf die Haftungsgarantien Unterschiede zu den jetzt diskutierten Handlungsalternativen aufweisen, wird deutlich, dass beispielsweise in der Ölkrise von 1975 dieses Instrument gut funktioniert hat und die institutionellen Vereinbarungen flexibel und schnell ausgestaltet wurden. Corona-Bonds können zeitnah implementiert werden und haben das Potenzial, eine schnelle Erholung der Wirtschaft nach der Krise in die Wege zu leiten, die alle Länder der Eurozone besserstellt. Man kann nur hoffen, dass Solidarität und Rationalität die EU-Staats- und Regierungschefs dazu bringen werden, klug strukturierte Corona-Bonds einzuführen.
Titelbild:
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Bilder im Text:
| CC-BY-4.0: © European Union 2019 – Source: EP | Link
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Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Marcel Tyrell
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm