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Nach ihrem Abitur arbeitete Lisa Erich zunächst als Krankenschwester, ehe sie die Faszination für die wirtschaftlichen Hintergründe ihrer Arbeit packte. Das Medizinstudium kurzerhand auf Eis gelegt, begann sie ihren Bachelor in Corporate Management and Economics an der Zeppelin Universität. Ihre Praktika verbrachte sie unter anderem in Irland und der Schweiz, ehe sie für ihr Auslandssemester an die University of California, Berkeley ging. Nicht fehlen durfte dabei ihr Mountainbike, das sie als ehemalige Marathon-Bikerin noch immer viel bewegt. Auch für ihr nächstes Vorhaben ist das Mountainbike schon gepackt: Ab September wird sie an der Universität St. Gallen einen Master in Unternehmensführung beginnen.
Das im Jahr 2005 eingeführte europäische Emissionshandelssystem ist das älteste und größte Emissionshandelssystem weltweit. Zum Europäischen Emissionshandel zählen die 27 EU-Mitgliedsstaaten sowie Liechtenstein, Norwegen und Island. Für die Europäische Union ist der Europäische Emissionshandel ein „Kernelement“ ihrer Klimaschutzpolitik. Mit dem Emissionshandel werden CO2-Emissionen begrenzt und Anreize geschaffen, Emissionen langfristig zu senken. So unterstützt der Emissionshandel das Ziel der EU, bis 2050 klimaneutral zu werden. Allerdings erschließt sich vielen Europäern das komplexe System hinter dem Emissionshandel nicht. Zudem ist das mediale Bild des Emissionshandels in den vergangenen Jahren eher negativ geprägt. Insbesondere die niedrigen Zertifikatspreise in der Zeit zwischen 2011 und 2017 ließen den Eindruck aufkommen, der Emissionshandel würde seiner Intention nicht gerecht, den Umschwung auf emissionsärmere Anlagen durch hohe Zertifikatspreise zu begünstigen.
Eine fundierte Diskussion um die Sinnhaftigkeit beziehungsweise die Funktionstüchtigkeit des Emissionshandels ist in der medialen Öffentlichkeit damit erschwert. Doch wie steht es wirklich um den Europäischen Emissionshandel? Ist er gar besser als sein medialer Ruf?
Mit der Schaffung eines Europäischen Emissionshandels kam die EU im Jahr 2005 ihren Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll nach. Der Emissionshandel sollte zum einen die Einhaltung von Emissionsobergrenzen garantieren und zum anderen durch die CO2-Bepreisung Investitionen in emissionsärmere Anlagen in den regulierten Bereichen fördern. Neben CO2 werden auch weitere Treibhausgase im Emissionshandel abgedeckt – aus Gründen der Einfachheit wird im Folgenden nur der Begriff der CO2-Emissionen verwendet.
Der Europäische Emissionshandel gilt nur für die Energieerzeugung, die Industrie sowie die innereuropäische Luftfahrt. Damit nehmen der Verkehr (Straßenverkehr, Schiffsverkehr, Teile des Zugverkehrs), die Landwirtschaft und die Gebäudewirtschaft nicht am Emissionshandel teil. Dadurch deckt der Emissionshandel nur circa 45 Prozent der gesamteuropäischen CO2-Emissionen ab. Im Vergleich zu anderen Emissionshandelssystemen ist dieser Wert eher niedrig. So werden beispielsweise in Kalifornien 80 Prozent und in Südkorea 70 Prozent der Emissionen im Emissionshandel abgebildet.
Das Funktionsprinzip des Europäischen Emissionshandels ist recht simpel: Die Europäische Kommission legt für eine Handelsperiode eine Emissionshöchstgrenze im Emissionshandel fest. Diese Grenze bestimmt die maximale Anzahl an auszugebenden Zertifikaten in der Handelsperiode. So ist gewährleistet, dass die Emissionshöchstgrenze auch eingehalten wird. Die Zertifikate werden daraufhin regelmäßig an einzelnen Börsen an die Emittenten versteigert. In der dritten Handelsperiode (2013-2020) wurden 57 Prozent der Zertifikate versteigert. Die restlichen Zertifikate werden kostenlos vergeben. Dazu zählen vor allem die Luftfahrt sowie Industriezweige mit Carbon-Leakage-Potential. Die Zertifikatseigner können anschließend mit ihren Zertifikaten handeln, sofern sie diese nicht für die Deckung ihrer Emissionen verbrauchen. Damit ergibt sich ein Zertifikatspreis, der sich aus Angebot und Nachfrage nach Zertifikaten ergibt.
Aufbauend auf diesem Prinzip hat sich der Europäische Emissionshandel seit seiner Einführung beständig weiterentwickelt. In den ersten beiden Handelsperioden (2005-2012) hatte der Emissionshandel vor allem mit einem Preisverfall der Zertifikate zu kämpfen. Die Gründe dafür sind vielfältig: anfängliche Fehlkalkulationen bei der Zertifikatsmenge, die Finanzkrise sowie das Verwenden von zusätzlichen Zertifikaten aus den Kyoto-Mechanismen. So bestand am Ende der zweiten Handelsperiode ein Zertifikatsüberschuss von zwei Milliarden Zertifikaten, der zu Beginn der dritten Handelsperiode 2013 zu einem Preisverfall auf unter 5 Euro/tCO2 führte. Da bei diesem Preis kaum mehr ein wirtschaftlicher Anreiz bestand, Emissionen einzusparen, war eine Reaktion notwendig. So kam es zum Backloading. Dabei wurden 900 Millionen Zertifikate aus dem Auktionsvolumen zurückgehalten und in eine Reserve überführt, sodass die Zahl zirkulierender Zertifikate vorläufig verringert wurde. Das Backloading war der Beginn weiterer Reformen, die vor allem einen höheren Zertifikatspreis bewirken sollten – und das System weiter an Komplexität gewinnen ließen.
Dazu zählt auch die Marktstabilisierungsreserve, die 2019 in Kraft trat und die weitere Entwicklung des Emissionshandels vermutlich deutlich prägen wird. Durch sie wird versucht, die Menge zirkulierender Zertifikate einzugrenzen und damit konstantere und ausreichend hohe Preise im Handel sicherzustellen. Vereinfacht dargestellt funktioniert die die Marktstabilisierungsreserve folgendermaßen: Sind über 833 Millionen Zertifikate unter den Marktteilnehmern im Umlauf, werden Zertifikate aus dem geplanten Auktionsvolumen zurückgehalten. Sinkt die Menge zirkulierender Zertifikate hingegen unter 400 Millionen Stück, so werden wieder Zertifikate aus der Reserve in die Auktionierung gegeben. Bewegen sich die Zertifikate zwischen 400 Millionen und 833 Millionen Stück, werden anteilig Zertifikate in der Reserve dauerhaft gelöscht.
Bereits zum Ende der dritten Handelsperiode erholte sich dann der Zertifikatspreis wieder. Den Reformen wird daran auch ein Anteil zugebilligt. Seit Mitte 2018 hielt sich der Zertifikatspreis über der 20 Euro/tCO2-Marke. Nach einem Einbruch durch die Corona-Krise liegt der Preis nun wieder bei gut 29 Euro/tCO2. Ist diese Entwicklung ein Zeichen, dass der Emissionshandel funktioniert?
Eine Bewertung des Emissionshandels allein über seinen Zertifikatspreis greift leider zu kurz. Der Zertifikatspreis ist in erster Linie ein Indikator für die Effizienz des Emissionshandels (Werden die Zielvorgaben im Emissionshandel zu möglichst niedrigen Kosten erreicht?), sagt aber nichts über die Effektivität des Systems aus (Erfüllt der Emissionshandel sein Ziel, Emissionen im Verlauf wie vorgegeben zu reduzieren?). Zudem stellt sich durch die Teilnahme mehrerer Länder am Emissionshandel die Frage, wie es um die institutionelle Performance des Systems bestellt ist.
Bei der Betrachtung der Effektivität des Europäischen Emissionshandels bestimmen die geringe sektorale Abdeckung, das Phänomen der „Windfall-Profite“ sowie der „Wasserbett-Effekt“ thematisch die wissenschaftliche Auseinandersetzung.
Grundsätzlich gilt: Je mehr Emissionen der Emissionshandel abdeckt, desto effektiver ist er. Wie bereits erwähnt, umfasst der Europäische Emissionshandel im Vergleich zu anderen Handelssystemen nur wenige Bereiche. Diese nicht integrierten Bereiche (insbesondere der Verkehr, die Gebäudewirtschaft und die Landwirtschaft) unterliegen unter anderem der europäischen Lastenteilung (Effort Sharing Decision, ESD), die aber kein Garant für die Einhaltung von Emissionshöchstgrenzen ist.
Im Europäischen Emissionshandel läge es daher nahe, den Verkehr (ohne Luftfahrt) mit seinem Anteil von 21 Prozent an den europäischen CO2-Emissionen sowie die Gebäudewirtschaft (Anteil: 15 Prozent) in den Emissionshandel zu integrieren. Ganz offensichtlich problematisch wäre aber die politische Durchsetzbarkeit eines solchen Vorschlags auf EU-Ebene. Durch die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Ländern und ihre heterogenen Interessen wird eine solche Integration derzeit als unrealistisch eingeschätzt.
Ein weiteres, auch medial viel beachtetes Thema der vergangenen Handelsperioden war das Generieren von Windfall-Profiten. Windfall-Profite sind Zufallsgewinne der Anlagenbetreiber, die durch die kostenfreie Verteilung von Zertifikaten an diese entstehen. So können die Anlagenbetreiber beispielsweise durch den Zukauf günstigerer internationaler Zertifikate die kostenfrei erhaltenen europäischen Zertifikate am Sekundärmarkt verkaufen. Auch können sie Kosten zur Emissionsvermeidung an Endverbraucher weiterreichen und nicht benötigte, kostenfrei erhaltene Zertifikate weiterverkaufen. So wurden für die erste und zweite Handelsperiode Windfall-Profite in Höhe von 35 Milliarden Euro kalkuliert. Verboten ist dies nicht, allerdings können Endverbraucher dieses Verhalten als ungerecht empfinden. Insbesondere Stromkunden wurden in der ersten Handelsperiode mit erhöhten Strompreisen belastet. Mittlerweile hat die EU dieser Problematik entgegengewirkt und die kostenfreie Allokation industrieübergreifend reduziert. So werden im Jahr 2020 nur noch 30 Prozent aller Zertifikate kostenfrei zugeteilt.
Ein weiterer Kritikpunkt versteckt sich hinter dem Begriff des Wasserbett-Effekts: Setzen EU-Länder zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen um, die über das geplante Emissionsbudget hinausgehen, so werden für diese keine Zertifikate gelöscht beziehungsweise die Emissionshöchstgrenze wird nicht nach unten korrigiert. Damit werden die Emissionen bloß zeitlich und/oder geografisch auf andere Emittenten verschoben. Die frei gewordenen Zertifikate führten in der Vergangenheit unter anderem zu einem Überangebot an Zertifikaten und einem Preisverfall. Problematisch wird dies, wenn dadurch die Lenkungswirkung des Preises für Investitionen in emissionsärmere Technologien abnimmt.
Wie groß der Wasserbett-Effekt tatsächlich ist, wurde bislang nicht gemessen. Trotzdem wurde in der Reform von 2018 festgelegt, dass freiwerdende Zertifikate aus der zusätzlichen Stilllegung von Stromerzeugungskapazitäten ab 2021 gelöscht werden. Auch soll die Marktstabilisierungsreserve, die seit 2019 agiert, den Wasserbett-Effekt durch die Aufnahme von überschüssigen Zertifikaten „punktieren“. Über die Ausprägung des Punktionseffekts herrscht in der Wissenschaft allerdings große Uneinigkeit, die zwischen einer bloß „temporären“ Punktion des Wasserbett-Effekts bis hin zu einem Wert von 0.88 gelöschten Zertifikaten pro zusätzlich eingesparter Tonne CO2 reicht. An dieser Stelle bleibt eine fade Schlussfolgerung: Die Marktstabilisierungsreserve entzieht sich durch ihre Komplexität einer eindeutigen Kalkulierbarkeit.
Bei der Effizienz konzentrieren sich viele Studien auf die Preisentwicklung im Emissionshandel. Da sich der Marktpreis eines Zertifikats aus Angebot und Nachfrage ergibt, ist er statisch effizient. Die wesentlich relevantere Frage ist die der dynamischen Effizienz: Ist der Zertifikatspreis ausreichend hoch, um Investitionen in die Entwicklung und Adoption neuer emissionsärmerer Technologien zu fördern? Der dafür vielfach genannte Lenkungspreis liegt bei 20-25 Euro/tCO2. Fest steht: seit 2017 entwickelt sich der Zertifikatspreis positiv und liegt in 2020 im Schnitt über 25 Euro/tCO2. Als Gründe für die positive Preisentwicklung kommt ein ganzes Potpourri an Gründen in Frage. Neben wirtschaftlicher Stabilität und dem vermehrten Zutritt von Investoren in den Zertifikatshandel kommen auch die Ankündigung und Einführung der Marktstabilisierungsreserve und des linearen Reduktionsfaktors in Frage. Dennoch fällt es aufgrund der Komplexität des Emissionshandelssystems inklusive seiner Reformen schwer, die weitere Preisentwicklung abzuschätzen. Konsens ist nur, dass die Marktstabilisierungsreserve vermutlich nicht die letzte preisbeeinflussende Korrektur am System war.
Betrachtet man, welche Wirkung die Zertifikatspreise auf die Entwicklung und Adoption von emissionsärmeren Innovationen hatten, ergibt sich derzeit ein noch unvollständiges Bild. Die dazu verfügbaren Studien beschränken sich ausschließlich auf die ersten beiden Handelsperioden. Erfreulich ist, dass der Emissionshandel einen positiven Effekt auf die Anmeldung von Patenten und Investitionen in Forschung & Entwicklung hatte. Bei der Technologieadoption war dieser Effekt jedoch geringer ausgeprägt. Spannend werden die Studien zur Innovationswirkung in der dritten Handelsperiode sein: Durch die gesunkene kostenfreie Allokation – und damit einem erhöhten Kostendruck auf die Unternehmen – sollte eine größere Wirkung auf die Innovationen zu erwarten sein.
Aus institutioneller Perspektive schneidet der Emissionshandel wiederum gut ab. Der Emissionshandel wird von der Europäischen Kommission, den EU-Mitgliedsstaaten sowie deren nationalen Behörden abgewickelt. Trotz der nationalen institutionellen Unterschiede in der Organisation des Emissionshandels wurde eine Compliancerate von 99 Prozent bei den regulierten Unternehmen festgestellt. Auch die prozessuale Organisation zwischen der Ebene der Mitgliedsstaaten und der EU funktioniert effektiv, wenn auch nicht immer ganz effizient.
Eine andere größere institutionelle Thematik ist das Linking von Emissionshandelssystemen. Ein Linking von verschiedenen Emissionshandelssystemen kann deren Effektivität und Effizienz erhöhen. Das europäische Emissionshandelssystem ist seit 2020 mit dem Schweizer Emissionshandel verlinkt. So können Schweizer und europäische Zertifikate in beiden Systemen uneingeschränkt verwendet werden. Dem voraus gingen zehn Jahre an Vorbereitung – so musste in das Schweizer Emissionshandelssystem zunächst der Flugverkehr integriert werden, bevor es zu einem Linking kommen konnte. Dies veranschaulicht, wie aufwendig es ist, komplex gewachsene Emissionshandelssysteme miteinander zu verknüpfen. Durch die unterschiedlichen Interessen der Mitgliedsstaaten in der EU könnten etwaige Linking-Verhandlungen zudem sehr zeitintensiv ausfallen. Auch wenn ein weiteres Linking erstrebenswert ist, würde dies ein komplexes Unterfangen werden.
Die dritte Handelsperiode des EU ETS neigt sich dem Ende zu. Insbesondere seit 2018 scheint sich der Emissionshandel positiv zu entwickeln, wenn man den Zertifikatspreis betrachtet. Bei ausführlicherer Betrachtung werden aber Schwächen in der Effektivität und Effizienz des Emissionshandels deutlich. Diese liegen in der vergleichsweise geringen sektoralen Abdeckung des Emissionshandels, dem Wasserbett-Effekt sowie der Problematik um die Wirkung des Zertifikatspreises für Investitionen in emissionsärmere Technologien. Für die weitere Entwicklung des Europäischen Emissionshandels wären eine Eingliederung des Verkehrs und der Gebäudewirtschaft, die weitere Bereitstellung von Fonds für Investitionen in emissionsärmere Technologien sowie ein weiteres Linking mit anderen Emissionshandelssystemen wünschenswert. Sollte der Zertifikatspreis zudem mittelfristig unter den Lenkungspreis fallen, könnte über eine weitere Reform der Marktstabilisierungsreserve nachgedacht werden.
Abschließend ist festzuhalten, dass das europäische Emissionshandelssystem besser als sein medialer Ruf ist. Eine Stärkung des Europäischen Emissionshandels als Kernelement der europäischen Klimapolitik ist anzuraten, um die Chance auf das Erreichen der europäischen Klimaziele bis 2050 zu erhöhen – auch wenn dies ein steiniger Weg durch die Institutionen der EU würde.
Titelbild:
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Bilder im Text:
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Beitrag (redaktionell unverändert):
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm