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Sanktionen

Wirtschaft als Waffe

von Christian Roder | Zeppelin Universität
29.07.2021
Die anhaltende Beliebtheit von Wirtschafts- und Finanzsanktionen bei außenpolitischen Akteuren ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Alternativen häufig mit noch größeren Risiken und Kosten verbunden sind. Deshalb werden sie ein wichtiger Bestandteil im außen- und sicherheitspolitischen Instrumentarium von internationalen Organisationen und Nationalstaaten bleiben.

Christian Roder
Student des Masterstudiengangs „Politics, Administration and International Relations“
 
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    Zur Person
    Christian Roder

    Christian Roder studiert im Master Politics, Administration and International Relations an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Zuvor war er Trainee in Regulation, Compliance and Anti-Financial Crime bei der Deutsche Bank AG. Während seines Bachelorstudiums war er in der globalen Sanktions-Compliance der Commerzbank AG und in der Exportkontrolle der ZF Friedrichshafen AG beschäftigt.

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    Ein Meer an Maßnahmen
    Egal ob Nord Stream 2, Iran, Russland oder Nordkorea: In Zeiten geopolitischer Herausforderungen scheinen sich Wirtschafts- und Finanzsanktionen als Alternative zu militärischen Maßnahmen mittlerweile zum hervorgehobenen politischen Mittel des 21. Jahrhunderts zu entwickeln. ZU-Masterstudent Christian Roder beschäftigt sich seit seiner Bachelorarbeit mit dem Themenkomplex und gibt einen Überblick in ein vielschichtiges Feld mit vielen Spielern, Formen und Implikationen.
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Wirtschafts- und Finanzsanktionen gehören als Alternative zu militärischen Maßnahmen heute aufgrund ihres regelmäßigen Einsatzes und ihrer wechselnden Dynamik zu den einflussreichsten Instrumenten der Außen- und Sicherheitspolitik. Als souveräne Zwangsmaßnahme zielen sie darauf ab, den Adressaten – das heißt einzelne Staaten oder Personengruppen – durch Ausübung wirtschaftlichen Drucks zu disziplinieren. Dieser wirtschaftliche Druck äußert sich in der Regel in der Verursachung von wirtschaftlichem Schaden, indem er die wirtschaftlichen Kosten für den Empfängerstaat erhöht. Wirtschafts- und Finanzsanktionen sind daher in erster Linie ein außenpolitisches Instrument zur gezielten Einschränkung des freien internationalen Handels mit wirtschaftlichen Ressourcen, um die außen- und sicherheitspolitischen Ziele des Erlassstaates durchzusetzen.

Der Stadtstaat Athen während der griechischen Antike, die Hanse im Mittelalter wie auch Frankreich unter Napoleon Bonaparte haben auf das politische Mittel der Wirtschafts- und Finanzsanktionen wiederholt zurückgegriffen. Das internationale Organ des Völkerbundes implementierte in den 1920er- und 1930er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts internationale Sanktionen gegen die Staaten Paraguay (1934) und Italien (1935).


Im Lichte von Menschenrechtsverletzungen (Apartheidregime) sowie des Nuklearwaffenprogrammes wurde Südafrika durch die internationale Gemeinschaft während der 1970er- und 1980er-Jahre umfassend sanktioniert. Noch heute gelten die damals implementierten restriktiven Maßnahmen als Paradebeispiel für wirksame Wirtschafts- und Finanzsanktionen. Denn viele Staaten verhängten konzertiert Wirtschafts- und Finanzsanktionen, die zur Folge hatten, dass ein erheblicher Teil der Auslandsinvestitionen aus Südafrika abgezogen wurde. Nach der Verhängung dieser Wirtschafts- und Finanzsanktionen geriet Südafrika in wirtschaftliche Schwierigkeiten und zahlreiche inländische Akteure kommentierten, dass die wirtschaftliche Situation unhaltbar sei und politischen Wandel erforderte. Im Jahr 1994 wurde schließlich Nelson Mandela zum Präsidenten von Südafrika gewählt. Er schrieb den verhängten Wirtschafts- und Finanzsanktionen eine wichtige Rolle dabei zu, den Übergang vom Apartheidregime zu einer funktionierenden Demokratie herbeizuführen.

Durchbruch im Dauerstreit: Nach jahrelangem Streit haben die USA und Deutschland einen Durchbruch im Konflikt um die deutsch-russische Pipeline Nord Stream 2 erzielt. Damit verbunden: Ein Ende der Dauersanktionsdrohungen. Beide Länder veröffentlichten eine Erklärung, in der der Ukraine Unterstützung zugesagt wird. Die nahezu fertiggestellte Ostsee-Pipeline soll russisches Gas nach Deutschland bringen – umgeht dabei allerdings die Ukraine, die auf die Einnahmen aus dem Gastransit angewiesen ist. Die USA hatten Nord Stream 2 jahrelang massiv kritisiert. Sie sind weiterhin gegen das Projekt, wollen nun aber auf weitere Sanktionen verzichten. In der Erklärung wird Russland davor gewarnt, Energie als politische „Waffe“ einzusetzen. Andernfalls werde Deutschland auf nationaler Ebene handeln und in der Europäischen Union auf Maßnahmen einschließlich Sanktionen drängen.
Durchbruch im Dauerstreit: Nach jahrelangem Streit haben die USA und Deutschland einen Durchbruch im Konflikt um die deutsch-russische Pipeline Nord Stream 2 erzielt. Damit verbunden: Ein Ende der Dauersanktionsdrohungen. Beide Länder veröffentlichten eine Erklärung, in der der Ukraine Unterstützung zugesagt wird. Die nahezu fertiggestellte Ostsee-Pipeline soll russisches Gas nach Deutschland bringen – umgeht dabei allerdings die Ukraine, die auf die Einnahmen aus dem Gastransit angewiesen ist. Die USA hatten Nord Stream 2 jahrelang massiv kritisiert. Sie sind weiterhin gegen das Projekt, wollen nun aber auf weitere Sanktionen verzichten. In der Erklärung wird Russland davor gewarnt, Energie als politische „Waffe“ einzusetzen. Andernfalls werde Deutschland auf nationaler Ebene handeln und in der Europäischen Union auf Maßnahmen einschließlich Sanktionen drängen.

Die 1990er-Jahre werden durch die Autoren David Cortright und George Lopez als „Jahrzehnt der Sanktionen“ („Sanctions Decade“) bezeichnet. Die gesetzgeberische Aktivität hinsichtlich Wirtschafts- und Finanzsanktionen hatte sich – getrieben durch die Vereinten Nationen (VN) und die Vereinigten Staaten – deutlich erhöht. Denn nach dem Ende des Kalten Krieges und der Überwindung der Blockade innerhalb des VN-Sicherheitsrates erließ ebendieser auf der Basis von Artikel 41 VN-Charta immer häufiger Zwangsmaßnahmen, um unerwünschtes Verhalten internationaler Akteure zu sanktionieren, ohne auf militärische Mittel zurückzugreifen.


In den 1990er-Jahren wurden beispielsweise im Rahmen des Zweiten Golfkrieges (1990/91) durch die Vereinten Nationen ein Wirtschafts-, Finanz- und Militärembargo gegen den Irak sowie durch die VN-Resolutionen 757 (1992) und 787 (1992) Sanktionen gegenüber dem damaligen Jugoslawien durchgesetzt. Weitere Sanktionen wurden gegen afrikanische Staaten wie Somalia, Liberia, Angola oder Ruanda aufgrund von Bürgerkriegen oder zwischenstaatlichen bewaffneten Konflikten verhängt. Weitere VN-Sanktionen folgten gegen Libyen, Kambodscha, Haiti, Sierra Leone und Afghanistan. Die verfolgten Ziele hierbei waren vornehmlich die Wiedereinsetzung demokratisch legitimierter Regierungen, die Beendigung von Bürgerkriegen, der Schutz der Menschenrechte, die Bekämpfung des internationalen Terrorismus sowie ein Beitrag zur Abrüstung von Massenvernichtungswaffen.

Auch wenn gerade die Vereinten Nationen vermehrt davon Gebrauch gemacht hatten, Wirtschafts- und Finanzsanktionen zur Wahrung des Weltfriedens oder zum Zweck der internationalen Sicherheit einzusetzen, setzte sich gerade Ende der 1990er-Jahre die Erkenntnis durch, dass Comprehensive Sanctions – das heißt umfassende Wirtschaftssanktionen wie Totalembargen – unerwünschte Nebeneffekte aufweisen und in der Regel vor allem die Zivilbevölkerung treffen. Hieraus erwuchs das Konzept der Targeted Sanctions (beziehungsweise Smart Sanctions), die im Vergleich zu Comprehensive Sanctions dezidiert Einzelpersonen oder Unternehmen adressiert. Häufig werden sowohl bekannte Gefährder oder Terroristen als auch die Eliten (etwa Oligarchen oder Amtsträger) bestimmter, meist autokratisch regierter Drittstatten sanktioniert.


Im Vergleich zu den Comprehensive Sanctions bleibt die Zielsetzung gleich. Es soll zum einen der internationale Terrorismus bekämpft und zum anderen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte geschützt und somit zu einer Verbesserung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit beigetragen werden.


Die gängigsten Sanktionsmaßnahmen, die durch Targeted Sanctions durchgesetzt werden, sind das Einfrieren von Geldern, die Beendigung von Krediten/Wirtschaftshilfen, Beschränkungen bezüglich des Zugangs zum Kapitalmarkt sowie Reisebeschränkungen. Ziel ist es hierbei, das vorhandene Vermögen von Einzelpersonen oder Unternehmen zu blockieren und durch die Unterbindung von Transaktionen den Zufluss von Geldern durch das Finanzsystem zu verhindern. Schlussendlich wird so das Ziel umgesetzt, die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit einzuschränken. Das Eintragen auf den Sanktionslisten von bestimmten Einzelpersonen oder Unternehmen erfolgt durch relevante Normgeber wie die Vereinten Nationen, die Europäische Union und die Vereinigten Staaten.

Strenge Sanktionen statt scharfer Waffen: Auch im seit Jahrzehnte alten Konflikt zwischen den USA und Kuba kommen immer wieder Sanktionen zum Einsatz. Erst in der Vorwoche hatte die US-Regierung nach den Massenprotesten für Freiheit neue Sanktionen gegen Kuba verhängt. Betroffen seien der amtierende Minister der Streitkräfte und die Abteilung des kubanischen Innenministeriums, welche die Niederschlagung der Proteste vorantreibe, teilte das Weiße Haus mit. Zuletzt waren Tausende Kubaner in zahlreichen Städten für Freiheit, gegen Unterdrückung und Mangelwirtschaft auf die Straßen gegangen. Die Sanktionen der Amerikaner beruhen nun auf einer Verordnung, die Täter von schweren Menschenrechtsverletzungen und Korruption auf der ganzen Welt ins Visier nimmt, und beinhalten etwa Vermögenssperren. Die US-Regierung betonte, dass sie weiterhin prüfe, ob Beschränkungen für Geldsendungen auf die Insel unter Bedingungen möglich seien. Außerdem stünden weiter Pläne zur Aufstockung des Personals in der US-Botschaft in Havanna im Raum. Diese ist aktuell nur minimal besetzt. Dutzende in der kubanischen Hauptstadt Havanna lebende Diplomaten und ihre Angehörigen hatten ab 2016 über rätselhafte Kopfschmerzen, Hörverlust, Schwindel und Übelkeit geklagt. Das Botschaftspersonal wurde daraufhin auf ein Minimum reduziert.
Strenge Sanktionen statt scharfer Waffen: Auch im seit Jahrzehnte alten Konflikt zwischen den USA und Kuba kommen immer wieder Sanktionen zum Einsatz. Erst in der Vorwoche hatte die US-Regierung nach den Massenprotesten für Freiheit neue Sanktionen gegen Kuba verhängt. Betroffen seien der amtierende Minister der Streitkräfte und die Abteilung des kubanischen Innenministeriums, welche die Niederschlagung der Proteste vorantreibe, teilte das Weiße Haus mit. Zuletzt waren Tausende Kubaner in zahlreichen Städten für Freiheit, gegen Unterdrückung und Mangelwirtschaft auf die Straßen gegangen. Die Sanktionen der Amerikaner beruhen nun auf einer Verordnung, die Täter von schweren Menschenrechtsverletzungen und Korruption auf der ganzen Welt ins Visier nimmt, und beinhalten etwa Vermögenssperren. Die US-Regierung betonte, dass sie weiterhin prüfe, ob Beschränkungen für Geldsendungen auf die Insel unter Bedingungen möglich seien. Außerdem stünden weiter Pläne zur Aufstockung des Personals in der US-Botschaft in Havanna im Raum. Diese ist aktuell nur minimal besetzt. Dutzende in der kubanischen Hauptstadt Havanna lebende Diplomaten und ihre Angehörigen hatten ab 2016 über rätselhafte Kopfschmerzen, Hörverlust, Schwindel und Übelkeit geklagt. Das Botschaftspersonal wurde daraufhin auf ein Minimum reduziert.

Die bislang schärfste Waffe im Rahmen der diplomatischen Eskalationsdynamik nicht nur der Vereinten Nationen, sondern auch der Europäischen Union oder der Vereinigten Staaten ist heutzutage das Instrument der Wirtschafts- und Finanzsanktionen. Sie wirken gezielt im Hintergrund und treffen neben Einzelpersonen auch transnationale Unternehmen oder ganze Nationalstaaten. Dennoch sind sie keine Wunderwaffe, da sie sowohl für den Erlassstaat als auch für den Adressatenstaat mit Kosten verbunden sind. Die anhaltende Beliebtheit bei außenpolitischen Akteuren ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Alternativen häufig mit noch größeren Risiken und Kosten verbunden sind. Deshalb werden Wirtschafts- und Finanzsanktionen in Form von Targeted Sanctions ein wichtiger Bestandteil im außen- und sicherheitspolitischen Instrumentarium von internationalen Organisationen und Nationalstaaten bleiben.

Titelbild: 

Ronan Furuta / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Bilder im Text: 

| Nikita Karimov / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link

| Dorothea Oldani  / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Beitrag (redaktionell unverändert): Christian Roder

Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

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