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In Deutschland und weiteren europäischen Ländern läuft seit Beginn des Sommers eine Debatte über abnehmende Impfbereitschaft und nicht wahrgenommene Impftermine. Vor diesem Hintergrund wird über verschiedene Maßnahmen diskutiert, darunter Sanktionen oder eine Impfpflicht. Erfolgversprechend sind auch mildere, in Deutschland allerdings bislang wenig beachtete Maßnahmen wie verhaltensbasierte Anreize, die die Impfbereitschaft steigern können – zwei Studien (Studie Nr. 1 und Studie Nr. 2) haben das bereits nahegelegt und das belegt nun auch eine Studie von ZU-Wissenschaftler Dr. Florian Keppeler, ZU-Alumnus Professor Dr. Sebastian Jilke von der Georgetown University und Martin Sievert von der Universität Mannheim.
Die zugrunde liegende Studie „How Local Government Vaccination Campaigns Can Increase Willingness to Get Vaccinated Against Covid-19: A Field Experiment on Psychological Ownership“ basiert auf einem Feldexperiment mit rund 27.300 Personen in Zusammenarbeit mit der Stadt Bad Nauheim und zwei dort ansässigen Kliniken. Im Rahmen eines offiziellen Schreibens an die Stadtbevölkerung wurde untersucht, inwiefern eine marginale Änderung des Textes – der sogenannte Nudge – zu einer Steigerung des Interesses an einem Impftermin führt. Das offizielle Schreiben wurde vom Bürgermeister Klaus Kreß der Stadt Bad Nauheim zusammen mit Professor Dr. H. Ardeschir Ghofrani (Kerckhoff-Klinik) und Professor Dr. Dr. Friedrich Grimminger (Gesundheitszentrum Wetterau) an die Stadtbevölkerung der über 18-Jährigen adressiert.
Die Studienergebnisse zeigen, dass das einfache Hinzufügen von Possessivpronomen im Schreiben (zum Beispiel „Ihre Impfung“) das Impfinteresse um 39 Prozent erhöht. Dies entspricht einer Veränderung von 2,7 Prozentpunkten im Vergleich zu demselben Brief ohne diese marginalen textlichen Änderungen. Dieser leicht umzusetzende, kostengünstige Ansatz der verhaltenswissenschaftlich optimierten Kommunikation kann für Kampagnen zur Förderung der Einführung lebensrettender Impfstoffe – insbesondere gegen Covid-19 – verwendet werden.
Bei etwa 12.000 adressierten Personen hat der verhaltenswissenschaftlich optimierte Brief mehr als 1.300 Personen dazu gebracht, Interesse an einem Impftermin zu bekunden – der Kontrollbrief ohne die Ergänzung „Ihre Impfung“ signifikant weniger (ungefähr 1.000 Personen). Angenommen, der Brief würde an alle 69,4 Millionen Erwachsenen in Deutschland geschickt und die gleiche absolute Effektgröße wie im Feldexperiment zeigt sich für die rund 40 Prozent der Erwachsenen, die noch nicht geimpft wurden, könnte ein entsprechend optimierter Brief dazu beitragen, dass bis zu 2,8 Millionen Menschen zusätzlich Interesse an einem Impftermin haben.
Aus den Studienergebnissen lassen sich folgende Handlungsoptionen für die politisch-administrative Kommunikation im Kontext von Impfkampagnen ableiten:
| Aktivere Kommunikation: Die Befunde der vorliegenden Studie veranschaulichen, dass es für das Ziel einer hohen Impfbereitschaft nützlich ist, wenn Politik und Verwaltung aktiv auf die Bevölkerung zugehen. Dies kann zum Beispiel mit einem behördlichen Informationsschreiben erfolgen oder auch zusätzlich mit weiteren Benachrichtigungen. Behördliche Informationsschreiben können auf den ersten Blick kostenintensiv wirken, können sich aber – etwa durch den offiziellen Charakter – von anderen Werbemaßnahmen abheben. Zudem erreichen sie unter Umständen auch spezifische, teils vulnerable Personenkreise, die über digitale Kampagnen nicht hinreichend erreicht werden. Hinsichtlich digitaler Kommunikationsformen zeigt eine weitere Studie, dass App- oder SMS-Benachrichtigungen als Erinnerung ca. 24 Stunden vor dem Impftermin dazu beitragen, dass vereinbarte Impftermine auch wirklich wahrgenommen werden. Um eine möglichst breite Personengruppe zu erreichen, könnte die Kommunikation auch durch sogenanntes „Cell Broadcasting“ erfolgen. Insgesamt sind Aufwand bzw. Kosten für Schreiben und Erinnerungen im Vergleich zum potenziellen Nutzen – insbesondere durch eine höhere Impfquote – in der Gesamtschau vergleichsweise gering.
| Verhaltenswissenschaftliche Optimierung der Kommunikation: Die Resultate zeigen, dass selbst marginale textliche Ergänzungen eines behördlichen Schreibens auf Basis verhaltenswissenschaftlicher Forschung eine signifikante Steigerung des Interesses an einem Impftermin erzielen können. So kann zum Beispiel die persönliche Ansprache beziehungsweise die Verwendung von Possessivpronomen ein Gefühl der Eigentümerschaft erzeugen, was zum Erfolg von Impfkampagnen beitragen kann. Der Zugang zu Informationen und Terminen – unter anderem via Homepage und Hotline-Angebote – sollte zielgruppenorientiert kommuniziert und so einfach wie möglich gehalten werden.
| Ergänzende Erläuterung von Informationen: Nach aktuellen internationalen Studien ist eine der größten Herausforderungen, einige Bevölkerungsgruppen zur Erstimpfung zu motivieren. Bloße Informationen sind häufig nicht ausreichend. Hier kann es nützlich sein, zusätzlich den prosozialen Beitrag zur Herdenimmunität zu kommunizieren und insbesondere die höheren Risiken/möglichen Folgen einer COVID-19 Erkrankung mit Abwägung mit den geringeren Risiken/möglichen Reaktionen einer Impfung gegenüberzustellen. Um bekannte Verzerrungen in der Risikowahrnehmung zu vermeiden, kann es nützlich sein, diese mit Spannweiten und Mittelwerten zu erläutern.
| Kommunikation durch bekannte Personen vor Ort: Neue Studienbefunde legen nahe, dass alle föderalen Ebenen – insbesondere auch vor Ort in Kommunen – durch effektive Kommunikation einen Beitrag zur Kommunikation leisten können. Dabei nützt es häufig schon, wenn Verantwortliche aus Politik und Verwaltung vor Ort die Kommunikation der Bundes- und Landesebene aufgreifen und bestärken. Zudem ist das Einbinden von Personen in die offizielle Kommunikation erfolgversprechend, die vor Ort in der Regel eine hohe Reputation beziehungsweise Vertrauen genießen wie in der vorliegenden Studie Führungspersonal aus örtlichen Kliniken.
Strikte Impfgegnerschaft wird sich durch aktivere und effektivere Kommunikation allein allerdings nicht auflösen lassen. Nichtsdestoweniger können Politik und Verwaltung in Zusammenarbeit mit sozialwissenschaftlicher Forschung ihre Kommunikation evidenzbasiert verbessern und so Personenkreise überzeugen, die gegebenenfalls noch unsicher sind oder das Impfen aufschieben.
Titelbild:
| Daniel Schludi / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
Bild im Text:
| Mufid Majnun / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
Beitrag (redaktionell unverändert): Dr. Florian Keppeler
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm