ZU|Daily wurde in die Hauptseite in den Newsroom unter https://www.zu.de/newsroom/daily/ integriert. Die neuesten Artikel seit August 2024 werden dort veröffentlicht. Hier finden Sie das vollständige Archiv aller älteren Artikel.
Alexander Eisenkopf studierte Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Nach seiner Promotion über Just in Time-orientierte Fertigungs- und Logistikstrategien arbeitete und lehrte Eisenkopf in Gießen und Frankfurt. Seit 2003 ist Eisenkopf Professor an der Zeppelin Universität und Gastdozent an der Wiener Wirtschaftsuniversität. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem auf Mobilität und Transportunternehmen.
Wie verzweifelt muss eine Bundesregierung eigentlich sein, um ohne einen konkreten Plan einen 200 Milliarden Euro schweren Abwehrschirm zur Bekämpfung der Energiekrise anzukündigen? Wie viel Angst hat sie vor Protesten wütender Bürger im nächsten Winter? Oder um es zu zuzuspitzen: Wie viel Geld ist man bereit auszugeben, damit die Ampelregierung auch im Frühjahr noch im Amt ist?
Offensichtlich liegen in Berlin die Nerven blank. Niemand wird mit den Folgen des Krieges alleingelassen, ist das erneute Versprechen von Bundeskanzler Olaf Scholz, des Mannes, der den „Doppel-Wumms“ ausruft: „Die Preise müssen runter“, koste es, was es wolle.
Statt einer Gaspreisumlage, die seit Wochen durch die Medien irrlichtert, kommt jetzt das Gegenteil: die Strompreisbremse und die Gaspreisbremse. Auch wenn Detailregelungen noch nicht beschlossen wurden – hier soll ein „Expertenrat“ konkrete Vorschläge machen – zeichnen sich die Umrisse der Vollbremsung bei den Energiekosten ab. Sowohl für Strom wie auch für Gas wird für einen Teil des Verbrauchs ein ermäßigter und aus dem per Kredit neu aufzufüllenden Wirtschaftsstabilisierungsfonds subventionierter Preis gewährt, für den darüber liegenden Bedarf sind Marktpreise zu zahlen. Es bleibt auch bei der im Zuge der Gaspreisumlage geplanten Absenkung der Mehrwertsteuer auf Gas. Hierdurch sollen private Haushalte und Unternehmen vor „wirtschaftlicher Überforderung geschützt werden“, wie es im Papier der Bundesregierung heißt.
Ein derartiger Eingriff in Märkte mittels Preiskontrolle und Subventionen ist in der deutschen Nachkriegsgeschichte singulär. Wie auch die Kriegsrhetorik des Papiers der Bundesregierung bestätigt, befinden wir uns in einer neuerlichen Eskalation eines Wirtschaftskriegs, in dem marktwirtschaftliche Überzeugungen völlig obsolet werden, wenn sie denn überhaupt je vorhanden waren.
Vielleicht glaubt man wirklich, mit der Metapher des Abwehrschirms die Märkte und die Bürger zu beruhigen und ein Signal zu setzen, dass Deutschland trotz zukünftig ausfallender Gaslieferungen Russlands handlungsfähig ist. Im Sinne des berühmt-berüchtigten „Whatever it takes“ wird mit der Energiepreisbremse ein gigantischer Rettungsschirm für deutsche Verbraucher und Unternehmen aufgespannt – und ein Selbstbedienungsladen für die Energieanbieter eröffnet, da die Nachfrage hoch bleibt und höhere Preise dank der Subventionen sogar leichter durchsetzbar sind.
Die Rettung wird aber so nicht gelingen. Kein Kubikmeter Gas fließt wegen der Preisbremse zusätzlich durch deutsche Gasleitungen. Zentraler Punkt eines wirksamen Signals an die verrücktspielenden Gas- und Strommärkte wäre eine bedingungslose Kehrtwende in der Energiepolitik gewesen: der politisch unterstützte schnelle Einstieg in die eigene Gasförderung mittels Fracking, Aussetzung des Braunkohleausstiegs, dauerhafter Weiterbetrieb der letzten drei Atomkraftwerke und das glaubhafte Signal, Kernkraft auch langfristig als Backup-Option im Zuge des Ausbaus der Erneuerbaren zu akzeptieren. Stattdessen wird gebetsmühlenartig das Mantra des Ausbaus der Erneuerbaren Energien betont und der Ersatz ausfallender russischer Gaslieferungen durch ein „neu erschlossenes“ LNG-Gasangebot verkündet. Anscheinend haben die handelnden Personen immer noch nicht verstanden, dass der Putinsche Angriffskrieg in der Ukraine die Illusionen der deutschen Energiewende wie Luftballons hat zerplatzen lassen.
Wenn kein zusätzliches Gas kommt, ist Sparen angesagt. Wie die großen deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute am gleichen Tag in ihrer Gemeinschaftsdiagnose festgestellt haben, müssen mindestens 20 Prozent Gas eingespart werden, damit wir 2023 nicht in einer säkularen Wirtschaftskrise mit einem BIP-Einbruch von bis zu 8 Prozent landen. Das wäre der Super-GAU für Deutschland. Auch der Chef der Bundesnetzagentur nennt ein solches Sparziel und redet offen über mögliche Gasrationierungen.
Bereits die Ankündigung der Energiepreisbremse unterminiert aber die Bereitschaft zum Sparen. Der Appell der Bundesregierung an Unternehmen und private Haushalte, den Energieverbrauch zu senken, wird weitgehend wirkungslos verhallen, wenn für bis zu 80 Prozent des Bedarfs der Preismechanismus außer Kraft gesetzt wird. Die Erwartung, dass mit einem „Bedarfsdeckel“ gleichzeitig die Betroffenen entlastet und Preissignale gesetzt werden können, ist fatal. Außerdem werden mit einer solchen Lösung in der Breite auch zahlreiche Haushalte entlastet, welche die höheren Gaspreise grundsätzlich verkraften könnten. Solange sich während der Ferienzeit noch lange Schlangen an den Flughäfen bilden, scheint eine flächendeckende Alimentierung der Strom- und Gaskunden der falsche Weg.
Zwar steht außer Frage, dass angesichts der aktuell verfahrenen Gemengelage tatsächlich bedürftige („vulnerable“) Haushalte, die höhere Gaspreise allein nicht bewältigen können, unterstützt werden müssen. Pragmatismus schlägt hier Prinzipienreiterei. Dazu hätten sich allerdings monetäre Transfers in Form eines zeitlich begrenzten und gegebenenfalls am Einkommen orientierten „Energiegelds“ als weniger plan- und kriegswirtschaftliche Lösung angeboten. Sowohl für Haushalts- wie auch Industriestrom wäre eine Aussetzung der überbordenden Steuern und Umlagen das Instrument der Wahl gewesen. Diskussionswürdig ist sicher auch die Idee, Haushalte mit gezielten Prämien zu Einsparungen zu ermuntern.
Darüber hinaus ist auch ziemlich unwahrscheinlich, dass mit der Gaspreisbremse wirksam die Inflation bekämpft werden kann, wie die Bundesregierung meint. Die massiven Subventionen erhöhen die Kaufkraft der Bevölkerung und dürften in der aktuellen wirtschaftspolitischen Situation die Inflation sogar weiter anheizen, was insbesondere untere Einkommensgruppen trifft.
Auch wenn wir in dieser Situation „einig und solidarisch“ zusammenstehen, wird es der Politik nicht gelingen, mit dem geplanten Abwehrschirm die Folgen historischer energiepolitischer Fehlentscheidungen wettzumachen. Knappe Ressourcen vermehren sich nicht durch einen Preisdeckel; mit Preiskontrollen und Subventionen kann die wirtschaftliche Substanz unseres Wohlstands nicht erhalten werden, wie die Bundesregierung es glauben zu machen versucht: Es bleibt ein hilfloser Versuch, die Illusion von Wohlstand auf Pump aufrechtzuerhalten. Die zahlreichen Menetekel eines sinkenden Wohlstands werden aber derzeit schneller als gedacht Realität und die Folgen einer verfehlten Energiepolitik spätestens dann spürbar, wenn es zu den absehbaren Rationierungen von Strom und Gas kommt.
Dieser Artikel ist am 30. September unter dem Titel „Mit dem ,Doppel Wumms‘ aus der Energiekrise?“ auf dem Blog „Wirtschaftliche Freiheit“ erschienen.
Titelbild:
| J W / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
Bild im Text:
| Kremlin.ru (CC BY 4.0) | Link
Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Alexander Eisenkopf
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm