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Laura Höring studierte Politik, Verwaltung & Internationale Beziehungen an der Zeppelin Universität und in Israel. Für ihre Abschlussarbeit, die sie über Perspektiven im Nahostkonflikt verfasste, erhielt sie den Best Bachelor Thesis Award. Während ihres Studiums setzte sie sich insbesondere mit internationalem Recht und dem Mittleren Osten auseinander. Sie ist Stipendiatin der Journalistischen Nachwuchsförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung und arbeitet als freie Journalistin unter anderen für Handelsblatt, DIE ZEIT und Süddeutsche Zeitung.
„Zwei demokratische Staaten“ seien die einzige Möglichkeit, dauerhaft Frieden in der Region zu erreichen, heißt es vom UN-Sicherheitsrat – und auch die deutsche Bundesregierung hält beharrlich an dem Konzept fest. Wer sich jedoch mit der Situation vor Ort beschäftigt, dem wird schnell klar: Nach über 50 Jahren der israelischen Besatzung der palästinensischen Gebiete war man im Heiligen Land wohl noch nie so weit von einer Zweistaatenlösung entfernt wie heute.
Mit dieser ausgeprägten Ambivalenz zwischen proklamiertem Ziel und erreichbarer Lösung habe ich mich in meiner Bachelorarbeit mit dem Titel „Perspektiven im Israel-Palästina-Konflikt: Die (Un-)Möglichkeit einer Zweistaatenlösung“ auseinandergesetzt. Hierbei stehen drei Fragen im Mittelpunkt der Arbeit: Welche Rechtsgrundlage hat die Zweistaatenlösung als Konzept des Völkerrechts? Woran scheitert die Initiierung einer neuen Friedensdynamik? Und welche Implikationen hat dies für die weitere Konfliktentwicklung? Um meine Forschungsfragen zu beantworten, habe ich Interviews mit Völkerrechtlern und Politikwissenschaftlern beider Konfliktparteien sowie mit Vertretern der internationalen Staatengemeinschaft geführt.
Die Ansätze einer Aufteilung in zwei Einheiten sind zahlreich. Insbesondere seit dem Oslo-Prozess der 1990er-Jahre gilt die Zweistaatenlösung als das Konzept zur Befriedung des Nahostkonflikts. Das Völkerrecht hat dabei Eingang in zahlreiche Resolutionen, Verträge, Erklärungen und Abkommen gefunden. Letztlich sind zwar viele der den Konflikt betreffenden Gegenstände im Internationalen Recht verankert, angesichts des Fehlens allgemeingültiger Dokumente und völkerrechtlicher Verträge besitzen sie jedoch keine eindeutige Rechtsgrundlage und nur begrenzte Rechtsverbindlichkeit. Ähnlich wie die Arbeiten der Peel-Kommission sowie zahlreiche von der UN-Generalversammlung verabschiedete Resolutionen birgt beispielsweise auch die Venedig-Erklärung der damaligen Europäischen Gemeinschaft (EG) von 1980 das Defizit, das darin zwar in rechtsähnlicher Form Beschlüsse getroffen wurden, diese jedoch ohne Hinzutreten weiterer Umstände rechtlich nicht verbindlich sind.
Aus diesem Grund weigert sich insbesondere Israel immer wieder, die die Anwendung des Völkerrechts anzuerkennen. Dies gilt insbesondere für den rechtlichen Status Jerusalems und für die Besatzung des Ostteils der Stadt. Hierzu wurden bis heute zahlreiche Resolutionen verabschiedet, die bisher jedoch kaum Eingang in politische Verhandlungen und Schlüsseldokumente finden. Ähnliches lässt sich im Hinblick auf die anderen beiden zentralen Konfliktpunkte beobachten: die Frage nach dem palästinensischen Rückkehrrecht und nach der israelischen Besatzungs- und Siedlungspolitik im Westjordanland.
Das Völkerrecht wird von beiden Konfliktparteien immer wieder im Rahmen der eigenen nationalen Erzählung instrumentalisiert, um gruppenspezifische politische Forderungen zu unterstützen. Die Israelis folgen dem Narrativ einer Rückkehr in die Heimat nach 2000 Jahren Exil, geprägt von Nationalismus, Antisemitismus, dem Holocaust und dem Kampf gegen die arabischen Staaten. Die palästinensische Perspektive erzählt die Geschichte von Vertreibung nach jahrhundertelanger Sesshaftigkeit in der Region in Folge von Völkermorden in Europa, mit denen man selbst nichts zu tun hatte.
Eindeutig ist das Völkerrecht in der Frage nach der Staatlichkeit der palästinensischen Autonomiegebiete. Nach der allgemeinen Staatslehre von Georg Jellinek kann eine solche aufgrund von unklarem Staatsgebiet, Grenzverlauf und Souveränität nicht festgestellt werden. Angesichts der seit über 50 Jahren andauernden israelischen Besatzung, der territorialen Zugeständnisse im Trump-Friedensplan aus dem Jahr 2020 und der damit verbundenen einseitigen Bevorzugung Israels im Sinne einer De-jure-Anerkennung einer nicht im Einklang mit dem Völkerrecht stehenden Annexion, steht die Frage einer möglichen Rechtswidrigkeit der auf Dauer angelegten andauernden Besatzung im Raum.
Die Kluft zwischen den existierenden Rechtsgrundsätzen und der Realpolitik hat die Aussichten auf Frieden getrübt. Heute ist der Diskurs über den Konflikt geprägt von sogenannten „clashes“ zwischen dem israelischen Militär und der palästinensischen Bevölkerung im Westjordanland, Siedlungsbau, Raketen aus Gaza und Hauszerstörungen. Meine Arbeit macht deutlich, dass die Initiierung einer neuen Friedensdynamik im israelisch-palästinensischen Konflikt an einer Vielzahl von Faktoren scheitert.
Innerhalb Israels kommt der Konfliktlösung derzeit ein extrem geringer innenpolitischer Stellenwert zu. Dies äußert sich unter anderem im kontinuierlichen Erstarken der politischen Rechten, die einer kompromissorientierten Lösung fundamental entgegensteht, für eine Einstaatlichkeit eintritt und nicht an einem Dialog mit der palästinensischen Seite interessiert ist. Die Fragilität und Wechselhaftigkeit der israelischen Regierung bietet zudem keine Basis für die Aufnahme von Friedensverhandlungen. Aufgrund der verhältnismäßig geringen israelischen Opferzahlen sowie der niedrigen Kosten der Aufrechterhaltung der Besatzung und des Status quo hat die Konfliktbewältigung einen lösungsorientierten Ansatz als Strategie verdrängt.
Auf palästinensischer Seite ist innerhalb der politischen Führung der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) eine Ziellosigkeit zu beobachten. Einerseits hat sich die Organisation der Zweistaatenlösung innerhalb der Grenzen von 1967 verschrieben, andererseits scheint die Verwirklichung eines solchen palästinensischen Staates mittlerweile völlig unrealistisch. Anderen Ansätzen mangelt es an Rückhalt in der Bevölkerung. Hinzu kommt die fehlende Legitimität von Präsident Mahmud Abbas, da die letzten „nationalen“ Wahlen bereits 16 Jahre zurückliegen und die Bevölkerung aufgrund der sich zunehmend verschlechternden Lebensbedingungen und den Jahrzehnten des gescheiterten Friedensprozesses den Glauben in die politische Führung verloren hat. Eine gemeinsame Position scheitert an der Spaltung und Rivalität zwischen der PLO in der Westbank und der Hamas im Gazastreifen. Außerdem leiden die Palästinenser:innen am abnehmenden Rückhalt für die Palästinafrage in der arabischen Welt, die insbesondere seit dem Abraham-Abkommen zu beobachten ist.
Auf beiden Seiten steht die öffentliche Meinung derzeit einer Konfliktlösung entgegen. Es mangelt an Vertrauen in den Friedensprozess, wodurch der politische Wille, eine neue Friedensinitiative einzuleiten, gering ist. Verstärkt wird die Dynamik durch die zurückhaltende Rolle der internationalen Staatengemeinschaft, die derzeit kaum Druck auf die Konfliktparteien ausübt. Insbesondere seit dem Ende des Kalten Krieges betrachtet diese die Situation vielfach nur noch als regionalen Disput, der durch andere internationale Konfliktfelder abgelöst wurde.
Aufgrund dieser Voraussetzungen und angesichts der sich grundsätzlich unterscheidenden Rechtsauffassungen und Wunschvorstellungen der beiden Parteien hinsichtlich eines Endstatus scheint die Aufnahme von erneuten Friedensverhandlungen, im Rahmen derer es zu einer Einigung bezüglich der Hauptkonfliktpunkte Jerusalem, Rückkehrrecht und Siedlungen kommen würde, zum jetzigen Zeitpunkt ausgeschlossen. Der Trump-Friedensplan hat die Konfliktparteien noch weiter voneinander entfernt und die potenzielle Rolle des Völkerrechts bei der Konfliktlösung dezimiert.
Die Zweistaatenlösung wird – wohl auch aus Mangel an funktionalen Alternativen – noch immer als der einzige Ansatz gewertet, der das Potenzial hätte, den Israel-Palästina-Konflikt langfristig zu befrieden. Die aktuellen Entwicklungen implizieren jedoch eine gegenteilige Entwicklung. Durch die Stagnation im Friedensprozess hat sich eine Einstaatenrealität unter israelischer Dominanz zunehmend verfestigt.
Keiner der befragten Experten spricht das jedoch klar aus. Auf palästinensischer Seite dürfte dies darauf zurückzuführen sein, dass man sich eingestehen müsste, dass nationale Bestrebungen de facto gescheitert sind. Auf israelischer Seite befindet man sich in einem Dilemma: Ein Einheitsstaat mit gleichen Rechten für alle Bürger:innen würde bedeuten, den jüdischen Charakter des Staates aufzugeben. Die Alternative wäre ein Apartheidsregime, das von der internationalen Gemeinschaft nicht geduldet werden dürfte. Da eine tatsächliche Einstaatlichkeit unter den derzeitigen demografischen Voraussetzungen von keiner der beiden Seiten gewollt werden kann, verweisen alle Gesprächspartner auf eine möglicherweise bessere Verhandlungsgrundlage in der Zukunft. Es ist jedoch davon auszugehen, dass dies angesichts der politischen Trends und der fortschreitenden Besiedlung des Westjordanlandes durch Israelis zunehmend unrealistisch ist.
Letztlich kann meine Arbeit die Frage, ob die Zweistaatenlösung noch als Modell zur Konfliktlösung dienen kann, nicht final bewerten, da es sich hierbei um eine politische Entscheidung handelt. Zum derzeitigen Zeitpunkt und unter den aktuellen Gegebenheiten ist nicht davon auszugehen, dass eine Zweistaatenlösung noch eine realistische Option darstellt. Die internationale Staatengemeinschaft ist sich dessen bewusst, hält aus Mangel an Alternativen jedoch weiterhin an diesem Mantra fest.
Titelbild:
| Josh Apple / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
Bilder im Text:
| Laura Höring
Beitrag (redaktionell unverändert): Laura Höring
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm