ZU|Daily wurde in die Hauptseite in den Newsroom unter https://www.zu.de/newsroom/daily/ integriert. Die neuesten Artikel seit August 2024 werden dort veröffentlicht. Hier finden Sie das vollständige Archiv aller älteren Artikel.
Steffen Eckhard ist Professor für Public Administration und Public Policy an der Zeppelin Universität. Er ist außerdem Mitglied des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“ an der Universität Konstanz und Fellow am Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin.
Steffen Eckhard hat Politik- und Verwaltungswissenschaften in Konstanz, Grenoble und Stockholm studiert. Zwischen 2011 und 2014 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Berliner Global Public Policy Institute (GPPi) mit Partnern wie dem Auswärtigen Amt oder den Vereinten Nationen. 2013 wurde er an der Universität Konstanz promoviert. Von 2014 bis 2018 war Steffen Eckhard wissenschaftlicher Koordinator der Forschergruppe International Public Administration am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft (GSI) der Universität München (LMU), wo er 2020 habilitiert wurde. Von 2018 bis 2022 lehrte er als Juniorprofessor für Öffentliche Verwaltung und Organisationstheorie an der Universität Konstanz.
Die Coronapandemie und der Zustrom von schutzsuchenden Menschen in Europa stellten Politik, Gesellschaft und Verwaltung in vielen Ländern Europas in den vergangenen Jahren vor große Herausforderungen. Besonders was die Aufnahme von Schutzsuchenden angeht, steht Deutschland im Mittelpunkt, da das Land schon 2015/16 eine Rekordzahl von Flüchtlingen aufnahm. Seit Beginn des Ukrainekriegs kamen zusätzlich knapp eine Million Menschen dazu. Insgesamt liegt die Anzahl an Asyl- und Schutzsuchenden in Deutschland damit heute deutlich über dem Spitzenwert von 2015/16 während der sogenannten Flüchtlingskrise.
Aktuell kam es bisher in Deutschland zu keiner größeren Überlastung der Landkreise und Kommunen. Auch wenn Stand Dezember 2022 die Situation sehr angespannt ist, blieben Bilder wie die von hungernden und frierenden Menschen vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) im Winter 2015 in Berlin bisher aus. Sind die lokalen Verwaltungen in Deutschland daher heute besser auf große Krisen vorbereitet? Mit der Frage von Innovationen im Krisenmanagement lokaler Verwaltungen beschäftigt sich unser Team am Lehrstuhl für Public Administration & Public Policy an der Zeppelin Universität im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seit 2018 finanzierten Forschungsprojektes.
Grundsätzlich zeigen die Ergebnisse unserer Umfragen zur Einstellung der Deutschen zum Krisenmanagement, dass eine Mehrheit von 60 bis 70 Prozent ein staatliches Eingreifen und Regulierungen in Krisensituationen wie der Coronapandemie befürwortet. Auch im Verlauf der Pandemie zwischen 2020 und 2021 veränderte sich diese Sichtweise nur leicht.
Kritischer sind die Deutschen dagegen gegenüber bestimmten staatlichen Institutionen wie dem Föderalismus, den in der Coronapandemie zuletzt über die Hälfte aller Deutschen als gar nicht hilfreich erachtete. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass sich die staatlichen Institutionen auf allen Ebenen mit den Erfolgsfaktoren für gutes Krisenmanagement beschäftigen. Einige Lehren lassen sich aus den vergangenen Krisenereignissen ziehen.
Wer sich mit dem Thema Verwaltung und Bürokratie näher beschäftigt, weiß, dass die Regelgebundenheit eines der zentralen Merkmale der öffentlichen Verwaltung ist. Dadurch sichert der Staat Verbindlichkeit und Gleichbehandlung gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern und beugt dem Missbrauch öffentlicher Mittel vor. Schon in der Verwaltungsausbildung steht daher die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns im Vordergrund. Regeln sind sozusagen die DNA der Beamtinnen und Beamten.
In der Krise werden enge Regeln aber zum Problem, wenn schnell und flexibel entschieden werden muss. Die kommunalen Verwaltungen in Deutschland zeigten sich aber während der vergangenen Krisen überaus anpassungsfähig. Vor allem, wenn die Auswirkungen einer Krise unmittelbar zu spüren waren, schafften sie einen flexiblen und kreativen Umgang, vielfach auch durch informelle Absprachen mit politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern.
Als Beispiel sei eine Kommune genannt, die angesichts des Zustroms an Flüchtlingen aus der Ukraine Wohncontainer anschaffen will, aber einen Gemeinderatsbeschluss erst nach mehreren Wochen oder Monaten erhalten kann. In diesem Fall wurde die Anschaffung nach informeller Absprache mit dem Gemeinderat durchgeführt, der formelle Beschluss dann nachgereicht.
Entscheidungsträger in der öffentlichen Verwaltung befinden sich bei solch einer kreativen Regelauslegung in einem legalen Grenzbereich und gehen ein persönliches Risiko ein. Unsere Ergebnisse aber zeigen, dass es sich lohnt. Wo Regeln flexibel ausgelegt werden, ist auch der Erfolg des Krisenmanagements generell höher.
Ein weiterer wesentlicher Erfolgsfaktor für das lokale Krisenmanagement ist die Beteiligung der Zivilgesellschaft. In den Jahren 2015/16 engagierten sich etwa 25 Prozent der Deutschen freiwillig bei der Bewältigung der Krisensituation. Und auch heute treten überall in Deutschland in den Kommunen ehrenamtliche Helferinnen und Helfer auf, um Flüchtlinge zu unterstützen, ihnen Unterbringung zu gewähren oder zu vermitteln und ihnen den Einstieg in den deutschen Alltag zu erleichtern. Dieses Engagement ist von entscheidender Bedeutung, um Flüchtlinge zu integrieren und ihnen ein Gefühl von Zugehörigkeit zu vermitteln.
Auch die lokalen Verwaltungen profitieren von der Unterstützung durch Freiwillige. Die Ergebnisse einer Verwaltungsbefragung in allen deutschen Landkreisen und kreisfreien Städten zeigt, dass je ausgeprägter die Zusammenarbeit mit Freiwilligen während der Flüchtlingskrise 2015/16 war, desto erfolgreicher war auch das Krisenmanagement insgesamt. Die Einbindung von Freiwilligen klappt vor allem dann gut, wenn sie über einen längeren Zeitraum gewachsen ist. Aus Sicht der Verwaltungen in Deutschland gelang vor allem die Einbindung von sogenannten gebundenen Helferinnen und Helfern sehr gut. Das sind Menschen, die sich im Rahmen bestehender Vereine oder Wohlfahrtsorganisationen bereits freiwillig engagieren. Sogenannte ungebundene Helferinnen und Helfer sind aus Sicht der Verwaltung oftmals schwieriger einzubinden.
Die Einbindung von Freiwilligen lohnt sich. Untersuchungen zeigen, dass auch das Vertrauen von Freiwilligen in die Verwaltung steigt, wenn diese die Verwaltung als besonders flexibel und partizipativ wahrnehmen. Vor allem dann ist davon auszugehen, dass sie auch in ihrem Umfeld von ihren positiven Erlebnissen berichten. Zusammenarbeit in Krisenzeiten ist also auch eine Chance auf ein besseres Miteinander von Staat und Gesellschaft.
Insgesamt lässt sich sagen, dass die multiplen und teilweise überlappenden Krisen des vergangenen Jahrzehnts sowohl Herausforderungen als auch Chancen für die lokalen Verwaltungen darstellten. Auf der einen Seite war es für viele Kommunen eine große Belastung, die zusätzlichen Anforderungen zu bewältigen und die Flüchtlinge zu unterstützen. Auf der anderen Seite bot die Krise aber auch die Möglichkeit, neue Formen der Zusammenarbeit und des Engagements zu entwickeln und das gesellschaftliche Miteinander zu gestalten. Es ist bezeichnend, dass es in Deutschland im Verlauf der Coronapandemie eben zu keinem nennenswerten Einbruch des öffentlichen Vertrauens in den Staat kam, wie die Ergebnisse unserer Umfragen zeigen.
Um in Zukunft noch besser auf Krisen reagieren zu können, ist es jedoch wichtig, dass die nationale Regierung und die lokalen Verwaltungen enger zusammenarbeiten und neue Modelle des Krisenmanagements testen. In den USA beispielsweise gibt es professionelle Krisenmanagerinnen und Krisenmanager, die für die Übernahme von Entscheidungs- und Koordinationsfunktionen besonders geschult sind und an Krisenherde entsandt werden. In Deutschland haben wir zwar ein Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), das aber aufgrund der föderalen Strukturen bei den Krisen des vergangenen Jahrzehnts keine Rolle spielte. Hier muss Deutschland nachholen und insbesondere auf kommunaler Ebene mehr Krisenlernen ermöglichen.
Titelbild:
| Carlos de Toro / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
Bild im Text:
| Prof. Dr. Steffen Eckhard / Zeppelin Universität (alle Rechte vorbehalten)
Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Steffen Eckhard
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm