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Dr. Joachim Landkammer wurde 1962 geboren und studierte in Genua und Turin. Nach seinem dortigen Philosophiestudium, abgeschlossen mit einer Arbeit über
den frühen Georg Simmel und einer ebenfalls in Italien durchgeführten Promotion über den Historikerstreit, hat Joachim Landkammer als Assistent und Wissenschaftlicher Mitarbeiter von Prof. Dr. W. Ch. Zimmerli an den Universitäten Bamberg, Marburg und Witten/Herdecke gearbeitet. Seit 2004 ist er Dozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Zeppelin Universität und Verantwortlicher des artsprograms der ZU für den Bereich Musik.
Joachim Landkammer arbeitet neben seiner Lehrtätigkeit und einer gewissen
journalistischen Textproduktion an verschiedenen interdisziplinären Themen in
den Anwendungs- und Grenzbereichen der Philosophie, der Ästhetik und der
Kulturtheorie. Ein dezidiertes Interesse gilt dem Dilettantismus und der Kunst- und Musikkritik.
Herr Landkammer, Sie haben sich den Begriff „Bedenkzeit“ als Ihr Wort zum Advent ausgewählt: warum?
Dr. Joachim Landkammer: Moment, hm, gleich, ich brauch kurz etwas… äh… Bedenkzeit…
Klar.
[Pause.]
Landkammer: Also. Hm. Zunächst natürlich ist das ja ein Schlüsselbegriff, und zwar gerade für den Aspekt von „Advent“, den man auch in eine säkularisierte Jahresend-Atmosphäre rüberretten kann.
Also die sogenannte „Stille Zeit“ als exemplarische „Bedenkzeit“?
Landkammer: Genau, „Stille“ ist ja schon mal ganz gut, zum Denken. Aber es ist eben nicht nur das übliche, philosophische, abstrakte Denken.
Sondern?
Landkammer: Mehr als einfach nur so "vor sich hin denken“ gefällt es mir schon, zuzugeben, dass es etwas zu „be-denken“ gibt. Etwas Be-denkliches, also nicht nur etwas Bedenkens-wertes, sondern auch etwas Fragwürdiges, Riskantes, Herausforderndes.
Und für das Bedenken braucht man dann Zeit, also etwa für eine Risiko-Abwägung?
Landkammer: So distanziert, so zielgerichtet und quasi expertenhaft würde ich es nicht nennen. Wenn etwas „Bedenkliches“ im Raum steht, dann hat man es auch mit einer gewissen Bedrohung zu tun, etwas, was einen sozusagen existentiell in Frage stellt.
„Existentiell“? Wie meinen Sie das?
Landkammer: Naja, damit meine ich sehr Vieles … und wenn es zunächst nur das wäre, dass der Jahreswechsel eben, ganz banal, an die wieder mal viel zu schnell vergehende und unaufhaltsam schrumpfende Lebenszeit erinnert. Falls es einer solchen Erinnerung, angesichts der vielen täglichen nicht zu unterdrückenden Indizien in meinem Alter, noch bedurft hätte…
Aber Herr Landkammer, Sie kommen doch immer so jugendlich unbeschwert rüber…
Landkammer (lacht): Oh vielen Dank, aber das ist ja vielleicht das sicherste Zeichen dafür, dass man sich eben, wie ich gerade meinte, in Wirklichkeit irgendwie „bedroht“ fühlt.
Wovon? Von wem?
Landkammer: Naja, ich möchte jetzt hier keine Namen nennen (lacht). Nein, im Ernst: ich meine „bedroht“ von Entscheidungszwängen, von ungewissen Zukünften, von solchen unklaren Interims-Momenten, wie sie ja auch die ZU – und damit wir alle - gerade erleben, wie sie das Jahresende eben aufdrängt, dazu die üblichen Spät-Midlife-Crisis-Symptomen und so weiter…
Und wie gehen Sie nun damit um? Wie bewältigen Sie das?
Landkammer: Keine Ahnung. Man kann vermutlich eben einfach nicht mehr tun, als – wenn nicht beten – dann wenigstens bitten. Um Bedenkzeit eben. Vielleicht sollte man das sowieso einfach öfter tun. Einfach mal sagen: Lasst mich doch mal in Ruhe… nachdenken. Man muss ja wahrscheinlich heute um nichts so sehr bitten wie um Zeit. Eigen-Zeit, Frei-Zeit, Aus-Zeit.
Also eigentlich so wie jeder gestresste Manager heute?
Landkammer: Ja, nur die wollen ja meist nur abschalten, raus aus der Tretmühle und rein ins Vergnügen. Eine Bedenkzeit aber geht gar nicht mehr von der Illusion aus, dass man sich wirklich „rausziehen“ kann. Man kann nur verzögern, nach hinten schieben, etwas auf Eis legen, auf „Wiedervorlage“. Das ist meist schon sehr viel. Es gelingt ja vermutlich nicht einmal jetzt, im Advent.
Wieso nicht?
Landkammer: Naja, jeden Tag hier schon wieder so ein „Türchen“ aufmachen, was für ein zusätzlicher unnötiger Stress! Ich will keine Türen aufmachen, ich will lieber Türen schließen. Zumindest für eine kurze, äh, na: Bedenkzeit.
Vielen Dank, dass Sie uns trotzdem für unser heutiges Advents-Türchen etwas von Ihrer „Bedenk-Zeit“ gegönnt haben.
Landkammer: Gerne … bitte…
Titelbild: Tambako The Jaguar / flickr.com (CC BY-ND 2.0)
Bilder im Text: Michael Pollak / flickr.com (CC BY 2.0)
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm & Alina Zimmermann