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Wer kennt sie nicht? Die unzähligen Warnhinweise, die Raucher beim Kauf abschrecken sollen. Von „Rauchen bis tödlich“ bis „Rauchen kann die Spermatozoen schädigen und schränkt die Fruchtbarkeit ein“ reicht die sprachliche Variation der ab Sprüche. Allerdings scheinen diese Raucher so gar nicht abzuschrecken. Viel eher macht man sich im Internet darüber lustig., Sprüche wie „Rauchen statt Sex schützt vor unerwünschten Kindern“ oder „Wer das Rauchen aufgibt, langweilt sich an der Bushaltestelle“ machen dort die Runde. Manch einer kauft sich sogar eine „Extrapackung“, in die man die Zigarettenpackung steckt, um die Warnhinweise komplett ignorieren zu können.
Diese 2002 gemäß einer EU-Richtlinie beschlossenen Texte haben jedoch bald ausgedient. Anfang April letzten Jahres wurde eine neue Tabakproduktrichtlinie von der Europäischen Kommission verabschiedet. Nunmehr müssen ab 2016 statt den bisherigen 30 Prozent der Front und 40 Prozent der Seiten insgesamt 65 Prozent der Verpackung mit Warnhinweisen verdeckt sein. Dabei wird statt reinen Texten nun mit kombinierten Warnhinweisen gearbeitet – auf die Zigarettenpackungen wird demnach eine Kombination aus Bild und Text gedruckt. Außerdem wird ein sogenanntes „Plain Packaging“ empfohlen. Dies bedeutet, dass sämtliche Verpackungen normiert werden und Designelemente wie Logos und Farben vollkommen verschwinden, um den visuellen Kaufreiz zu eliminieren. Vorreiter in diesem Feld ist Australien, das dies bereits 2012 einführte.
„Ich wollte klären, ob man durch die Messung der unbewussten emotionalen Erregung der Probanden besser vorhersagen kann, ob sie sich an ein Motiv der Warnhinweise erinnern werden, als sie selbst“, erklärt er. Dazu nutzte er im Hugo-Eckener-Labor zwei Methoden. Zum einen maß er den Hautwiderstand, welcher die (un)bewusste emotionale Erregung widerspiegelt. Da der Hautwiderstand hauptsächlich von der Schweißbildung beeinflusst wird, ist er ohne spezielles Training nicht steuerbar. Durch emotionale Reaktionen steigt der Widerstand kurzzeitig aufgrund eines erhöhten Schweißausstoßes – und wird somit messbar.
Darüber hinaus setzte er Eye-Tracking ein, bei dem die Augenbewegungen aufgenommen werden. „Damit konnte ich überprüfen, ob die Probanden auch tatsächlich das Bild auf der Zigarettenpackung betrachtet haben oder ob es zu einer Ausweichreaktion kam“, erläutert Egerer. Die Zigarettenpackungen gestaltete Egerer selbst, „um dem Brandingeffekt entgegen zu wirken“.
Bevor Egerer „seine“ Zigarettenpackungen aber wirklich einsetzen konnte, musste er zuvor einen sogenannten Pretest vor dem eigentlichen Hauptexperiment durchführen. „Zunächst mussten wir herausfinden, welche Bilder als besonders schockierend eingestuft werden und welche als eher harmlos betrachtet werden“, erklärt er. „Dabei wurde deutlich, dass besonders australische Bilder im Vergleich zu EU-Bildern schocken.“ Sieben der zehn „schockierendsten“ Bilder entstammten aus Australien – und zeigen zumeist Krankheiten. „Mithilfe des Rankings habe ich im Anschluss 15 Bilder für die Studie ausgewählt, von stark schockierend bis als eher ‚langweilig‘ eingeordnete Bilder“, erläutert Egerer. „Allerding hat sich bereits in diesem Test gezeigt, dass Frauen und Raucher die Bilder grundsätzlich als schockierender bewerten, was starke subjektive Wahrnehmungsschwankungen verdeutlicht.“
Im eigentlichen Test durften 20 Teilnehmer dann ihren Beitrag zur Studie leisten. Darunter waren elf Nichtraucher, vier Raucher und fünf Gelegenheitsraucher. Gezeigt wurden insgesamt 15 Zigarettenpackungen – nach einer weißen Folie und einem Fixationspunkt konnte jede Packung für zehn Sekunden betrachtet werden. Nach einer zehnminütigen Pause hieß es dann: Woran erinnere ich mich?
Danach begann für Egerer die Auswertung. „Um den Hautwiderstand richtig messen zu können, ist es notwendig, sogenannte ‚Artefakte’ aus den Kurven herauszunehmen, die beispielsweise durch Atmen oder Bewegungen entstehen und falsche Schlüsse nach sich ziehen“, erläutert er. „Dabei konnte ich herausfinden, dass man sich bei einer stärkeren emotionalen Reaktion im Endeffekt auch besser an das Bild erinnern konnte – und man sich an die schockierenden Bilder öfter besser erinnern konnte.“ Allerdings konnten die Probanden auch sehr gut selbst vorhersagen, an welche Bilder sie sich erinnern werden – ihre subjektive Einschätzung war so treffsicher wie die Messung des Hautwiderstands. „Dies könnte auch daran liegen, dass die Pause zwischen Stimulation und Abfrage der Erinnerungen zu kurz war“, resümiert Egerer.
Darüber hinaus konnte er noch einen Zusammenhang zwischen Dauer der Bildbetrachtung und der Erinnerung erkennen. „Je länger die Probanden die Schockbilder betrachtet haben, desto höher war oftmals die unbewusste emotionale Erregung und desto besser haben sie sich im Endeffekt auch erinnern können“, erläutert er. Somit nutzen die Schockfotos also wenig, wenn eine Ausweichreaktion stattfindet und die Bilder nicht wahrgenommen werden – bei eingehender Betrachtung hingegen können sie die gewünschte Wirkung entfalten. „Ich konnte in meiner Studie allerdings kaum Vermeidungsverhalten feststellen, was aber auch an der Laborumgebung gelegen haben kann“, erklärt Egerer. „Viel eher war die Betrachtungsdauer von der Textlänge der Warnhinweise abhängig.“
Abschließend stellt sich die Frage, ob die EU somit mit ihren Warnhinweisen alles richtig gemacht hat oder die heftigeren Australischen Bilder besser zur Abschreckung geeignet sind. „Fraglich bleibt an dieser Stelle, ob die Australischen Bilder nicht fast als zu heftig und unrealistisch eingestuft werden und somit die gesundheitliche Bedrohung verdrängt wird, was zu keiner Verminderung des Rauchverhaltens führen würde“, legt Egerer dar. „Die Belohnung durch die Zigarette wirkt dann einfach stärker als die offensichtliche Bedrohung durch den Konsum.“ Offen blieb auf die Frage, ob die Bilder auf Dauer eine Reaktion hervorrufen oder dies nur anfänglich bei der Einführung zu erwarten ist und schließlich zu einer Gewöhnung führen könnte. „Man sollte weiterhin erforschen, welche Langzeitwirkung von den neuen Zigarettenpackungen ausgeht“, resümiert er. „Dabei sollte man zukünftig auch einen Fokus auf die Frage legen, ob manche Bilder nur mit Textkombination ihre volle Wirkung erreichen können.“ Bleibt abzuwarten, welche Reaktionen ab 2016 bei den Rauchern zu beobachten sein werden.
Titelbild: Raul Lieberwirth / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)
Bilder im Text: Kate Raynes-Goldie / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)
Nikolas Piepenstock / Zeppelin Universität
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Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm & Alina Zimmermann