ZU|Daily wurde in die Hauptseite in den Newsroom unter https://www.zu.de/newsroom/daily/ integriert. Die neuesten Artikel seit August 2024 werden dort veröffentlicht. Hier finden Sie das vollständige Archiv aller älteren Artikel.
Lisbeth Zimmermann, geboren in Oldenburg, studierte nach dem Abitur am Spessart-Gymnasium in Alzenau (Bayern) Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin mit einem Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes. Ihr weiterer wissenschaftlicher Weg führte sie im Rahmen des Exzellenzclusters „Herausbildung normativer Ordnungen“ jeweils als Promotionsstipendiatin an die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, die Technische Universität Darmstadt sowie an das Leibniz-Institut HSFK. Für ihre Arbeit zu „Global Norms with a Local Face? The Interaction of Rule of Law Promotion and Norm Translation in Guatemala“ wurde sie an der TU Darmstadt promoviert und von der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Lateinamerikaforschung für ihre „herausragende Dissertation“ ausgezeichnet. Aufenthalte als Gastforscherin führten sie u.a. an die Elliott School of International Affairs an der George Washington University in Washington D.C. und an das Department of Political and Social Sciences des European University Institute in Florenz. Außerdem war Zimmermann Sprecherin der Nachwuchsgruppe der Sektion „Internationale Politik“ der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft und Stipendiatin des Programms „Fast Track: Exzellenz und Führungskompetenz für Wissenschaftlerinnen auf der Überholspur“ der Robert Bosch Stiftung. Seit 2015 ist Lisbeth Zimmermann Leiterin des von der DFG geförderten Projektes „Internationale Normen im Streit. Kontestation und Normrobustheit“ am Leibniz-Institut HSFK. Lisbeth Zimmermanns Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen aktuelle Herausforderungen einer multilateralen Weltordnung, Internationale Organisationen, Normen in den internationalen Beziehungen, Demokratie- und Rechtstaatlichkeitsförderung sowie Peacebuilding.
Wir jagen und verspeisen Rinder, Schweine, Wild oder unzählige Fische. Warum ist der Aufschrei beim kommerziellen Walfang eigentlich so groß?
Prof. Dr. Lisbeth Zimmermann: Seit jeher faszinieren Wale viele Menschen: Blauwale sind die längsten und schwersten Lebewesen auf der Erde; Buckelwale sind bekannt für ihren strophenhaften Gesang; Pottwale können mehr als 1.000 Meter tief tauchen. Viele Walarten gelten sowohl als besonders bedroht als auch als besonders intelligent. Darum wurden die Tiere von der Umweltbewegung – ähnlich wie Elefanten oder Pandabären – als Symboltiere in Kampagnen eingesetzt. Einige kennen vielleicht noch die weltweite Kampagne „Save the Whales“.
Ein Gremium, das die Wale weltweit schützen soll, ist die Internationale Walfangkommission? Wie funktioniert das Gremium und welche Aufgaben hat es?
Zimmermann: Die Internationale Walfangkommission (IWC) ist eine eher kleine Nischenorganisation – gar nicht zu vergleichen mit großen internationalen Organisationen wie der Weltbank oder der Internationalen Arbeitsorganisation. Sie wurde 1946 gegründet mit dem Ziel, den Walfang zu regulieren – Walschutz war damals noch kein Ziel. Dieses Mandat in der zugrundeliegenden Konvention („Internationales Übereinkommen zur Regelung des Walfangs“) wurde nie geändert, trotzdem überwiegen seit den 1980er-Jahren Walschutzaufgaben.
Seit 1986 ist ein Moratorium in Kraft, dass kommerziellen Walfang verbietet. Es gibt aber noch andere Arten des Walfangs: Die IWC vergibt Quoten für indigenen Walfang, so zum Beispiel für die Inuit in Grönland oder Alaska, und diskutiert Walfangprogramme zu wissenschaftlichen Zwecken – diese wurden zuletzt von Japan sehr stark eingesetzt. Außerdem haben zwei IWC-Mitglieder, Island und Norwegen, das Moratorium nicht akzeptiert, was laut der zugrundeliegenden Konvention möglich ist. Beide Staaten betreiben aktuell begrenzten kommerziellen Walfang.
Welche Positionen und Blöcke gibt es innerhalb des Gremiums. Wie positionieren sich etwa die EU und andere große Player wie die USA und China?
Zimmermann: Die Organisation ist recht polarisiert. Auf der einen Seite gibt es die Anti-Walfangstaaten, allen voran Großbritannien, Australien und Neuseeland (alles vormalige Walfangnationen übrigens). Auch fast alle EU-Staaten und die meisten lateinamerikanischen Länder gehören zu diesem Block. Sie wollen keinen kommerziellen Walfang oder höchstens mit sehr, sehr strengen internationalen Auflagen versehenen Walfang.
Auf der anderen Seite finden sich Japan, Island und Norwegen, deren Positionen von vielen afrikanischen und karibischen Staaten unterstützt werden. Diese Staaten argumentieren, dass einige Walarten und -bestände nicht mehr bedroht sind oder niemals bedroht waren (beispielsweise Zwergwale). Sie fordern darum die Freigabe eines eingeschränkten kommerziellen Walfangs.
Länder wie die USA oder Dänemark dagegen haben etwas komplexere Positionen. Die Regierungen vertreten Anti-Walfangpositionen, müssen aber gleichzeitig für ihre indigenen Bevölkerungsgruppen (Dänemark vertritt Grönland in der IWC) Mehrheiten für indigene Walfangquoten organisieren. Das erfordert viel Verhandlungsgeschick.
Japan will sich aus dieser Kommission zurückziehen und den kommerziellen Walfang wieder aufnehmen. Warum – und geht das überhaupt so einfach?
Zimmermann: Japan ist seit längerer Zeit unzufrieden mit dem Moratorium und nutzt das Schlupfloch des wissenschaftlichen Walfangs konsequent aus. Dabei jagt Japan nicht nur in Küstenabschnitten, sondern auch im Bereich der Antarktis, der eigentlich eine besondere Schutzzone ist. Das Walfleisch wird dann in Japan zum Verkauf freigegeben. Dafür hat Japan viel internationale Kritik einstecken müssen, unter anderem musste Japan aufgrund eines Urteils des Internationalen Gerichtshofs ein konkretes Forschungsprogramm in der Antarktis aufgeben.
Diese Forschungsprogramme verschlingen massenhaft Geld. Eventuell ist für Japan daher ein eingeschränkter kommerzieller Walfang in den Küstenregionen auf Dauer einfacher umzusetzen, eventuell sinkt dann ja sogar die Anzahl von Japan gefangener Wale und die Zahl der bejagten Arten – da müssen wir aber abwarten.
Aus der IWC kann Japan jederzeit austreten – es gibt keine Zwangsmitgliedschaft in internationalen Organisationen und Verträgen. Jedoch hält das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen fest, dass Walfang innerhalb einer internationalen Organisation organisiert werden muss: Japan muss also eine alternative Organisation gründen oder eventuell eine andere Organisation in ihren Aufgaben umwidmen.
Der International Fund for Animal Welfare berichtet, dass Japan in der Kommission bisher gezielt Stimmen gekauft habe, um einen „Walfängerblock“ zu bilden. Wie kann so etwas in internationalen Organisationen passieren?
Zimmermann: Japan hat viele afrikanische und karibische Staaten ermuntert, der IWC beizutreten, und den Beitritt mit dem Versprechen von Entwicklungshilfe im Bereich Fischfang versüßt. Aber auch die Europäische Union hat ihren Neumitgliedern in den 1990er- und 2000er-Jahren nahegelegt, doch Mitglied in der IWC zu werden. Die USA machen ebenfalls vor jeder IWC-Mitgliederversammlung Werbung für einen Beitritt zur IWC – jedoch ohne ähnlich konkrete Versprechen wie Japan. Dafür ist das Thema Walfang für viele Anti-Walfangstaaten vielleicht auch einfach nicht wichtig genug.
Welche Möglichkeiten hat die Staatengemeinschaft jetzt, auf Japans Verhalten zu antworten – es sogar zu sanktionieren?
Zimmermann: Es bleibt zunächst abzuwarten, wie die konkrete Walfangpolitik Japans aussehen wird. Viele Staaten sind eventuell sogar froh, das leidige Thema „Wissenschaftlicher Walfang Japans“ endlich los zu sein. Sollte Japan sich nicht an die Bestimmungen des Seerechtsübereinkommens halten, könnte es eventuell vor dem Internationalen Seegerichtshof angeklagt werden. Ansonsten bleibt die Möglichkeit des öffentlichen an den Pranger Stellens – eine Strategie, die vorrangig Nichtregierungsorganisationen verfolgen und die, wie wir aus vielen Fällen wissen, sehr effektiv sein kann.
Wenn ein Austritt aus einem internationalen Moratorium so einfach ist, müssen wir jetzt eine Austrittswelle auch aus anderen Organisationen befürchten?
Zimmermann: Die Internationale Walfangkommission gilt schon seit Langem als Sonderling. Das Thema Walfang ist so emotionalisiert und der Konflikt um den Walfang so ritualisiert, dass Dialog und Verständigung in der IWC überhaupt nicht mehr möglich waren beziehungsweise sind. Die meisten anderen internationalen Organisationen funktionieren nach anderen Logiken, und auch die Positionen zu Ressourcennutzung und Umweltschutz sind dort unter Staaten anders verteilt. Ein sogenannter Spill-over-Effekt ist hier eigentlich nicht zu erwarten.
Titelbild:
| Thomas Kelley / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
Bild im Text:
| Erik Christensen (CC BY-SA 3.0) | Link
Redaktionelle Betreuung und Umsetzung: Florian Gehm