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FPÖ-Videoskandal

Zugekokst und Red-Bull-betankt auf Ibiza

Mit der journalistischen Ethik wäre das Stellen einer solchen Falle kaum zu vereinbaren.

Dr. Dennis Lichtenstein
Akademischer Mitarbeiter am Zentrum für Politische Kommunikation
 
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    Zur Person
    Dennis Lichtenstein

    Dr. Dennis Lichtenstein ist Kommunikationswissenschaftler und seit Oktober 2014 Akademischer Mitarbeiter am Zentrum für Politische Kommunikation an der Zeppelin Universität. Zuvor war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und an der Universität Augsburg beschäftigt. In Düsseldorf hat er 2013 im Rahmen eines DFG-Projektes mit einer Arbeit zur Konstruktion europäischer Identitäten in Mediendiskursen ost- und westeuropäischer EU-Länder promoviert. Seine aktuellen Forschungsinteressen liegen insbesondere in Fragen zur politischen Öffentlichkeit, der medialen Krisenkommunikation und der Politikdarstellung in unterhaltenden und informierenden Medienangeboten. 

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Die gesamte Medienwelt spricht von HC Strache, Ibiza und Kokain. Worum geht es in diesem Video eigentlich überhaupt?

Dr. Dennis Lichtenstein: Das Video wurde im Vorfeld des Nationalratswahlkampfes 2017 in Österreich aufgenommen und ist als Entlarvung der FPÖ-Spitzenpolitiker Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus angelegt. Im Gespräch mit einer angeblichen Oligarchen-Nichte aus Russland, die dringend Schwarzgeld anlegen muss, stellen die Politiker die Vergabe von Staatsaufträgen in Aussicht und überlegen, wie die Oligarchin die FPÖ am Parteispendengesetz vorbei finanziell unterstützen kann. Mehr noch, in ihren Gedankenspielen sollte die Oligarchin die Kronen-Zeitung, Österreichs wichtigstes Boulevardblatt, übernehmen und die FPÖ im Wahlkampf publizistisch unterstützen. Das Video entlarvt damit erstens das Märchen von den angeblichen Saubermännern in der Politik, als die sich die FPÖ-Politiker im Gegensatz zu ÖVP und SPÖ generieren. Zweitens zeigt es eine bedenkliche Haltung der Politiker zum unabhängigen Journalismus auf, der sich in der FPÖ übrigens auch in einer zermürbenden Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk ORF zeigt. Beide Punkte, das eher fadenscheinige Saubermannimage und die Angriffe auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sind für rechtspopulistische Parteien nicht ungewöhnlich und treffen auch auf die AfD zu. Daher ist das Video auch für Deutschland hochrelevant. Der Ursprung des Videos ist derzeit noch unklar – es gibt Gerüchte, dass es im Zuge der SPÖ-Wahlkampfkampagne entstanden ist.

Ganz offensichtlich war das Video eine konstruierte Falle. Ist so etwas ethisch vertretbar – selbst wenn es dem Zweck der Enttarnung von Machtmissbrauch dient?

Lichtenstein: Mit der journalistischen Ethik wäre das Stellen einer solchen Falle kaum zu vereinbaren. Das hieße, die Nachrichten, über die man berichtet, selbst herbeizuführen. Spiegel und Süddeutsche Zeitung, die das Video zuerst präsentiert haben, sind aber nicht die Urheber des Videos. Es wurde ihnen lediglich zugespielt. Offenbar haben sie zunächst auch abgelehnt, das Video zu kaufen und damit Anreize zu geben, das Stellen politischer Fallen zu einem Geschäft zu machen. Die Medien haben die Echtheit des Videos geprüft, sie sind damit der journalistischen Sorgfaltspflicht nachgekommen – und haben es dann veröffentlicht. Das ist auch richtig so: Die mit dem Video verbundenen Botschaften, die eine kritische Haltung der FPÖ zur Verschleierung von Parteienspenden, der Vergabe von Staatsaufträgen und der Medienfreiheit betreffen, sind absolut berichtenswert. Sie betreffen die Integrität von Regierungspolitikern.

Problematisch sind aber zwei ganz andere Dinge. Erstens ermöglicht das Fallensetting der FPÖ, sich selbst als Opfer zu definieren. Zweitens stellt sich die Frage, inwieweit das Video rechtlich verwertbar ist. Ich vermute, dazu müsste die Quelle offengelegt werden – und die Medien haben bereits angekündigt, hier auf den Quellenschutz zu pochen. In der journalistischen Logik ist das auch völlig richtig, weil man ja auch zukünftig sensible Informationen haben möchte und auf Informanten angewiesen ist, die sich sicher fühlen müssen.

Er hat es wieder einmal geschafft: Im Zuge des Ibiza-Videoskandals hat der deutsche Satiriker Jan Böhmermann sich ein weiteres Mal als meister der politischen und medialen Inszenierung bewiesen. Schon bei einer Preisverleihung im April dieses Jahres versorgte er Fernsehzuschauer mit Informationsbrocken aus dem Video – dessen Existenz bis dahin kaum jemand kannte. Doch schnell erinnerte sich die Medienlandschaft nach der tatsächlichen Veröffentlichung an Böhmermanns Aussagen. Offenbar wurde ihm das Video vorab ebenfalls zur Nutzung angeboten – am Dreh beteiligt gewesen soll er allerdings nicht. Trotzdem nutzte er den Hype, um auf eine ganz andere Kampagne aufmerksam zu machen.  Wie geschickt er mit der Sensationsgier der Menschen gespielt hat, verrät Dr. Dennis Lichtenstein ebenfalls im Interview.
Er hat es wieder einmal geschafft: Im Zuge des Ibiza-Videoskandals hat der deutsche Satiriker Jan Böhmermann sich ein weiteres Mal als meister der politischen und medialen Inszenierung bewiesen. Schon bei einer Preisverleihung im April dieses Jahres versorgte er Fernsehzuschauer mit Informationsbrocken aus dem Video – dessen Existenz bis dahin kaum jemand kannte. Doch schnell erinnerte sich die Medienlandschaft nach der tatsächlichen Veröffentlichung an Böhmermanns Aussagen. Offenbar wurde ihm das Video vorab ebenfalls zur Nutzung angeboten – am Dreh beteiligt gewesen soll er allerdings nicht. Trotzdem nutzte er den Hype, um auf eine ganz andere Kampagne aufmerksam zu machen. Wie geschickt er mit der Sensationsgier der Menschen gespielt hat, verrät Dr. Dennis Lichtenstein ebenfalls im Interview.

Fragwürdig ist allerdings der Zeitpunkt der Veröffentlichung – kurz vor der Europawahl. Das mutet nach politischer Beeinflussung an, oder?

Lichtenstein: Das kommt mir eher zufällig vor. Das Video wurde 2017 aufgenommen, da hatte niemand die Europawahl im Blick. Eine Veröffentlichung im Kontext nationaler Wahlen in Österreich wäre zudem effektiver gewesen. Man kann jetzt spekulieren, ob die Wähler bei der Europawahl zögern, ihr Kreuz bei den populistischen Parteien zu setzen. Überzeugte FPÖ-Wähler werden aber eher der Opferrhetorik der FPÖ folgen und nicht umdenken.

Sehr geschickt hat Jan Böhmermann sich in die Debatte eingemischt. Können Sie kurz erklären, wie genau?

Lichtenstein: Böhmermann kannte den Inhalt des Videos, offenbar ist es ihm auch zur Veröffentlichung angeboten worden. In einer Videobotschaft zur österreichischen Mediengala Romy hat er Andeutungen zum Inhalt gemacht, direkt vor der Veröffentlichung auch in seiner Sendung Neo Magazin Royal. Es ist gut möglich, dass er damit den Auslöser zur Veröffentlichung gegeben hat, da sie die Urheber des Videos unter Druck gesetzt haben. Sie mussten ja davon ausgehen, dass nun die FPÖ Verdacht schöpft. In seinem nach der Veröffentlichung angekündigten Video hat er allerdings lediglich mit der hohen Aufmerksamkeit für die Affäre gespielt und einen Europa-Song veröffentlicht. Das ist übrigens keine triviale Botschaft: Nach den Hochphasen des Brexit-Theaters und jetzt der FPÖ-Affäre ist die Europawahl leider völlig untergegangen.

Was sagt es über unser Medien- und Konsumverhalten aus, dass wir flehentlich auf einen Böhmermann-Scoop gewartet haben – und dann „enttäuscht“ wurden?

Lichtenstein: Satire hat immer wieder investigative Sternstunden, die für das Publikum spannend sind, gerade weil sie etwas Besonderes sind. Ich denke aber, dass die meisten schon sehr gut wissen, dass Information und Orientierung das Kerngeschäft des klassischen Journalismus sind und hier auch das notwendige Know-how und entsprechende Ressourcen vorhanden sind.


Die Ankündigung von Böhmermann hat schlichtweg neugierig gemacht. Die Erwartung war, vielleicht einen spannenden Dreh zu der Geschichte zu bekommen oder einen Satirestreich mitzuerleben wie 2015 bei dem Varoufake-Video. Stattdessen hat Böhmermann gezeigt, wie sensationshungrig wir auf Skandale anspringen und dabei zulassen, dass die Europawahl zum Nebenthema wird. Zielscheibe dieses Satirestreichs war das Publikum selbst.


Halten Sie die Videos auch in der deutschen Politik- und Medienlandschaft für möglich?

Lichtenstein: Für möglich, aber nicht für wünschenswert. Mit der Integrität von Politikern sollte sich der Journalismus auseinandersetzen. Wenn wir aus der Politik einen Krimi machen und Politiker permanent Angst vor Fallen haben müssen, tut das unserer politischen Kultur nicht gut.

Titelbild: 

| Jose Llamas / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Bild im Text: 

| obs / ZDFneo / Ben Knabe | Link

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