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Nach der mehrjährigen Mithilfe im elterlichen Recyclingbetrieb folgte nach dem Abitur ein längerer Auslandsaufenthalt und die Anstellung bei einem internationalen Entsorgungskonzern im australischen Melbourne. Danach studierte Marius Schuler Soziologie, Wirtschafts-, Kultur- und Kommunikationswissenschaften an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Von der Analyse komplexer Phänomene der modernen Kommunikationsgesellschaft verlagerte sich der Schwerpunkt seines Studieninteresses zunehmend auf die Neugestaltung gesellschaftlicher Strukturen und Prozesse, vor allem durch digitale Technologien und im unternehmerischen sowie politischen Kontext. Außerakademische Erfahrungen konnte er währenddessen bei diversen Praktika, etwa im Europäischen Parlament oder bei einem innovativen Gründungsunternehmen im Spirituosenbereich sowie bei seiner ehrenamtlichen Tätigkeit in den internationalen Vorbereitungsklassen der Ludwig-Dürr-Schule in Friedrichshafen sammeln. In der Publikation „Die Zukunft der Blockchain“ werden von diesen Erfahrungen ausgehend Leitlinien für eine nächste Gesellschaft skizziert: Wie wird die postdigitale, hochtechnisierte Welt von morgen aussehen? Und welche Rolle kann der Mensch dabei spielen?
Die vorliegende Arbeit widmet sich der Fragestellung gesellschaftlicher Anwendungspotentiale der Blockchain-Technologie neben der Form von Kryptowährungen. Die These lautet, dass die Blockchain als digitales, dynamisches, dezentrales und manipulationssicheres Register für unmittelbare Transaktionen zwischen virtuellen Identitäten zu einem Ökosystem anwachsen und dabei als Mediensystem und Kommunikationsnetzwerk einer nächsten Gesellschaft fungieren wird. Basierend auf einem Workshop sowie zwei Experteninterviews wird davon ausgehend ein interdisziplinäres Leitbild für eine solche Blockchain der Gesellschaft entworfen. Die Blockchain der Gesellschaft könnte dabei partizipativere Formen der Demokratie, adaptivere Allokationsmechanismen der Ökonomie sowie eine neue Ästhetik ermöglichen und herausbilden, birgt aber gleichsam Gefahren und Risiken in sich, die kritisch reflektiert werden müssen. Schließlich kann die Blockchain eine globale Kette sein, die die Menschheit verbindet, oder aber auch zu einem totalitären Instrument heranwachsen, welches Bürger- und Menschenrechte zu erdrosseln vermag.
Wie bist Du auf das Thema Deiner Bachelorarbeit gestoßen?
Marius C. Schuler: Bereits 2016 hatte ich mich im Rahmen einer Seminararbeit mit der Kryptowährung Bitcoin auseinandergesetzt. Damals war es meine Absicht, die dem Bitcoin zugrundeliegende Blockchain-Technologie systemtheoretisch als ein digitales Kommunikationssystem aufzuschlüsseln. Seitdem hat mich das Thema nicht mehr losgelassen und fasziniert noch immer!
Könntest Du für den Leser kurz den Inhalt zusammenfassen?
Schuler: In der Arbeit geht es zunächst um eine soziologische Anwendungsanalyse der Blockchain-Technologie und ihrer Potentiale in unterschiedlichsten Einsatzbereichen. Ausgehend davon und durch einen Workshop sowie Interviews mit Experten aus Forschung und Anwendung gestützt, wird dann ein Leitbild zur Herausbildung der „Blockchain der Gesellschaft“ entwickelt, die als eine Art nächstes „Internet der Werte und Dinge“ unsere Gesellschaft in vielfältiger Weise verändern kann.
Was steckt hinter der Blockchain-Technologie?
Schuler: Die Blockchain-Technologie ist ein digitales Netzwerk zwischen dezentralen Akteuren, die gemeinsam an der Verifizierung von Daten und Registrierungen innerhalb ihres jeweiligen Blockchain-Systems arbeiten. Dabei kommen kryptographisch-algorithmische Methoden zur Anwendung. Jeweilige Systemzustände werden nach vorherig festgelegten Protokollen gemeinschaftlich und damit dezentral-demokratisch bestimmt und sodann als Block an die Kette voriger verifizierter Systemzustände angehängt. Auf diesem Wege kann die Blockchain systemisches Vertrauen zwischen einander unbekannten Akteuren erzeugen, denn die einzelnen Schritte des Verifikationsprozesses sind – zumindest systemintern – jederzeit nachvollziehbar und laufen über eindeutige mathematische Berechnungen. Außerdem gibt es zur Speicherung und Verifizierung von Daten und Werten in der Blockchain keine zentralisierten Server mehr – vielmehr laufen diese Tätigkeiten aus und über das gesamte Netzwerk ab. Dadurch verschwindet die Zentralisierung eines „Single-Point-of-Failure“, wie man das bisher etwa von den großen Internetunternehmen kennt. Auch der Zugriff sowie die Verwaltung von Daten und Werten werden somit dezentralisiert denkbar, sobald ein Internetanschluss gegeben ist.
Wo liegen die Anfänge dieser Technologie und wie hat sie sich seither entwickelt?
Schuler: Die Blockchain-Technologie an sich erscheint mit der Erfindung des Bitcoins in einem Arbeitspapier durch die mysteriöse und noch immer nicht-identifizierbare Figur Satoshi Nakamoto im Jahr 2008. Allerdings liegen ihre Grundlagen weiter zurück, da die Blockchain als „smarte Technologie“ eine clevere Vernetzung verschiedener Einzeltechnologien darstellt. Zunächst einmal benötigt man eine informationstechnologische Hardware sowie das auf dem klassischen TCP/IP-Modell basierende Internet. Aber auch die jahrhundertealte Wissenschaft der Informationsverschlüsselung – die Kryptographie – spielt eine wesentliche Rolle.
Interessant ist nun vor allem die Entwicklung des Blockchain-Phänomens im Laufe der Zeit. Zu Beginn der Blockchain hatte ein erster Anwendungsfall im Zentrum der Aufmerksamkeit gestanden: Bitcoin und damit das weite Feld der Kryptowährungen. Mittlerweile lässt sich aber ein spannender Wandel entdecken: Der Hype um Kryptowährungen ist abgeflacht und eine Vielzahl an Unternehmen, Interessenverbänden und Beratungsorganisationen, aber auch die Politik und Verwaltung sind zunehmend an den multiplen Anwendungsmöglichkeiten der Blockchain interessiert. Kürzlich hat dann aber wiederum der Anwendungsfall der Kryptowährungen für Schlagzeilen gesorgt: Schließlich möchte Facebook in einem Konsortium mit über dreißig Großunternehmen mit dem „Libracoin“ eine eigene, Blockchain-basierte Währung herausgeben.
Wie vertrauenswürdig ist die Blockchain-Technologie?
Schuler: Die Blockchain-Technologie kann in ihrem elften Bestehensjahr durchaus als sicher gelten. Bisherige Sicherheitsmängel sind zumeist immer an der Schnittstelle der analogen Welt zum digitalen Kosmos der Blockchain aufgetreten, etwa an Kryptobörsen. Die Technologie selbst aber scheint sich zu bewähren. So müssten für potentielle Angriffe – etwa gegen das Bitcoin-Netzwerk – Hacker mindestens 51 Prozent der Rechnerleistung des Netzwerks in eigenen Händen halten, um überhaupt eine Chance auf Erfolg einer falschen Verifizierung haben zu können. Dies ist allein durch die extrem hohen Investitions- sowie die laufenden Energiekosten zum Betreiben der Hardware sehr unwahrscheinlich.
Eine Herausforderung aber liegt in der künftigen Weiterentwicklung von Digitaltechnologien. Was passiert etwa, wenn ein Quantencomputer auf das Hacken einer Blockchain angesetzt werden würde? Ob das kryptographisch-algorithmische Verschlüsselungsverfahren einem solchen Angriff statthalten wird, lässt sich derzeit noch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen.
Inwiefern hängt die Erfindung der Blockchain mit dem Schwund an Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen zusammen?
Schuler: Bitcoin als Transaktionssystem tritt in der Hochphase der zurückliegenden Bankenkrise im Jahre 2009 auf, deren Folgen als Trauma auch derzeit noch gesellschaftlich spürbar sind. Banken haben heute tendenziell einen negativen Ruf in der Öffentlichkeit, was sich nicht zuletzt an dem Verfall ihrer Aktienkurse widerspiegelt – aber auch andere intermediäre Institutionen, wie die öffentliche Verwaltung, (Volks-)Parteien sowie Infrastrukturbetreiber jedweder Art oder auch Notariate, stehen zunehmend unter dem Rechtfertigungsdruck ihrer eigenen Existenz. Bisher hat man diesen Institutionen gesellschaftlich Vertrauen entgegengebracht und für ihre Vermittlungstätigkeit nicht unerhebliche Kosten aufgewendet. Mit dem Phänomen Blockchain drängt sich nun die Frage auf, welche Intermediäre denn nach wie vor gebraucht werden und aus welchen Gründen. Der Prozess der Aushandlung dieser Streitpunkte könnte heilsam sein und die Gesellschaftsstruktur insgesamt entschlacken. Allerdings stellt sich dabei natürlich auch die Frage, inwieweit man alternativ dazu einer hochkomplexen Technologie wie der Blockchain zu vertrauen bereit ist.
In deiner Bachelorarbeit entwirfst du eine Blockchain der Gesellschaft, die als Kommunikationsnetzwerk und Mediensystem einer nächsten Gesellschaft fungiert: Wie kann man sich das konkret vorstellen?
Schuler: Die These einer „Blockchain der Gesellschaft“ ist angelehnt an Niklas Luhmanns Beobachtung von Funktionssystemen in der Gesellschaft, wie etwa der Politik, der Wirtschaft, der Wissenschaft oder der Kunst der Gesellschaft, sowie an Dirk Baeckers Arbeiten zu einer nächsten „postdigitalen“ Gesellschaft, für die digitale Kommunikationen bereits konstitutionsgebend und damit „normal“ geworden sind.
Vom jetzigen Standpunkt aus ist es in meinen Augen wahrscheinlich, dass ein Ökosystem von vernetzten und kommunizierenden Blockchains eine Art nächstes Internet herausbilden werden, das als Solches gesellschaftliche Prozesse verschiedener Funktionsbereiche abbilden wird und damit die Gesellschaft insgesamt verändern könnte. Meine Forschungsarbeit geht dabei weit über die Analyse des „klassischen“ Anwendungsfalls der Blockchain, also den der Kryptowährungen, hinaus und behandelt unter anderem digitale Identitätslösungen, direktdemokratische Abstimmungsverfahren, alternative Kapitalformen und neuartige Allokationsmechanismen, autonome Organisationen sowie sich selbst reproduzierende smarte Objekte, die allesamt über Blockchains abbildbar wären.
Könntest du anhand eines Beispiels erläutern, wie die Blockchain-Technologie zur Umgestaltung eines Funktionsbereichs der Gesellschaft beitragen könnte?
Schuler: In der Wirtschaft spielen bereits heute eine zunehmende Automatisierung sowie smarte Objekte und Maschinen eine bedeutende Rolle. Zukünftig könnten in einer Industrie 4.0 mit einem leistungsfähigen 5G-Mobilfunknetz sowie einer anwendungstauglichen Künstlichen Intelligenz Maschinen wie auch Organisationen autonom und eigenständig operieren: Etwa ein selbstfahrendes Taxi, das die Fahrtgebühren seiner Gäste in Eigenregie über digitale Geldbörsen abrechnet und unmittelbar sowie buchhalterisch korrekt versteuert.
Aber auch die Politik könnte profitieren. Schließlich wären durch sichere Kommunikations- und Transaktionstechnologien, wie die Blockchain, direktdemokratische Verfahren im Sinne einer „flüssigen Demokratie“ auf unterschiedlichen Ebenen denkbar, die Inklusion und Partizipation von Bürgern sowie politische Identitäten an sich fördern könnten. Damit könnte ein größeres politisches Engagement erzielt werden und die Demokratie damit in eine neue Dimension der Flexibilisierung und Gestaltungsvielfalt eintreten.
In solch einer ‚Schönen Neuen Welt‘, deren potentielle Gefahren es bereits heute abzuwägen gilt, bedarf es dann eines zuverlässigen Mediums, das als Infrastruktur diese Prozesse korrekt und nachvollziehbar abzubilden in der Lage ist, ohne individuelle Vorteilnahme und Manipulation zuzulassen. Die Derivate der Blockchain bieten hierzu jedenfalls einen ersten technologischen Ansatz.
Welche Handlungsempfehlungen leitest Du aus den gewonnenen Erkenntnissen ab?
Schuler: Die Handlungsempfehlungen richten sich sowohl an Praktiker in Wirtschaft und Forschung, die Politik sowie die Gesellschaft als Ganzes. Eine der wesentlichen Handlungsempfehlungen für Menschen in der Praxis liegt beispielsweise darin, die Blockchain nicht ausschließlich isoliert zu betrachten, sondern sie mit anderen Digitaltechnologien zu vernetzen. Künstliche Intelligenz sowie Virtuelle Realität bieten hier mehr als spannende Vernetzungspotentiale. Schließlich wird man in einer virtuell-digitalen Umgebung der Begegnung, des Austauschs und des Konsums etwa mit Bargeld nicht weit kommen, stattdessen aber eine sichere und belastbare Transaktions- und Kommunikationsinfrastruktur benötigen. Außerdem ist jetzt auch die öffentliche Hand gefordert, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Innovationskraft in Deutschland und Europa für die Blockchain-Technologie fruchtbar gemacht werden kann und wir bei der weiteren Entwicklung den Anschluss an Länder wie China, Dubai oder die USA nicht verlieren werden.
Die Blockchain-Technologie bringt auch sonderbare Geschöpfe zum Vorschein: Was genau sind CryptoKitties?
Schuler: CryptoKitties sind virtuelle Haustiere, die über eine Blockchain generiert werden und über einen algorithmischen Hash-Wert einen jeweils einzigartigen genetischen Code erhalten. CryptoKitties kann man kaufen, sammeln und züchten und sich auf diesem Wege an ihrem Besitz erfreuen. In dem Kapitel zur Ästhetik der Blockchain sind mir diese Wesen als besonders spannend erschienen, da sie keinen eindeutigen Zweck in sich tragen, aber eine große Aufmerksamkeit erzeugen und eine ebenso große Emotionalität bei eingefleischten Sammlern zu wecken scheinen. Schließlich wurden einzelne CryptoKitty-Züchtungen bereits für über 250.000 US-Dollar verkauft, obwohl der Einstiegspreis umgerechnet bei wenigen Cents liegt. Soziologisch spannend sind CryptoKitties darüber hinaus deshalb, da hier eine zweckbefreite Interaktion mit der Blockchain-Technologie möglich ist und man dadurch ein Gefühl für deren Funktionsweise entwickeln kann.
Wie steht es um die Zukunft der Blockchain?
Schuler: Das ist eine gute Frage! In meinen Augen steht der Blockchain eine vielversprechende Zukunft bevor. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass diese Technologie zum jetzigen Zeitpunkt in ihren Kinderschuhen steckt und noch immer ein erhebliches Entwicklungspotential hinsichtlich Leistungsfähigkeit, Ressourceneffizienz, Interoperabilität und Skalierbarkeit besteht. Außerdem haftet der Blockchain primär das Image der Anwendung als bloße Kryptowährungs-Technologie an, was zwar an sich schon äußerst innovativ gewesen ist, aber nur ein Bruchteil der tatsächlichen Anwendungspotentiale abdeckt.
Mit meiner Forschungsarbeit, so hoffe ich, konnten einige Anwendungsfelder behandelt und aufgezeigt werden, die unser Zusammenleben auf eine ziemlich unkonventionelle Art umzugestalten in der Lage sind – auch wenn wir dann am Ende gar nicht merken werden, dass die Blockchain dahinter steckt: Schließlich ist sie zuallererst eine Infrastruktur-Technologie und damit vor allem im verborgenen und optisch nicht greifbaren virtuellen Raum aktiv. Wer dennoch einen Blick hinter den weiten Horizont des Blockchain-Phänomens, ihrer technischen Funktionsweise und den möglichen Anwendungsfeldern werfen möchte, dem sei an dieser Stelle die Lektüre der Forschungsarbeit wirklich wärmstens empfohlen.
Titelbild:
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Bilder im Text:
| André Francois McKenzie / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
| NASA / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm