Kreditkarten sind seit Jahren beliebtes Zahlungsmittel, für den Onlinedienst PayPal begeistern sich Millionen Kunden und sogar mit dem Bezahlen per Smartwatch dank ApplePay freunden sich zunehmend Nutzer an. Nur mit der Kryptowährung Bitcoin ist bis auf eine Horde Drogendealer und Schmuddelfilm-Konsumenten in einer abgeschotteten Nerd-Welt niemand richtig warm geworden. Für ZU-Professor Marcel Tyrell ein großer Strauß veralteter Vorurteile. Denn die Internetwährung und die Technolgie dahinter sind bereits mitten in der seriösen Geschäftswelt angekommen – und bringen revolutionäres Potential mit sich.
Die Kryptowährung Bitcoin ist ein interessantes Wirtschaftsexperiment. Im Jahr 2008 wurde das Technologiekonzept, nach der die Währung funktioniert, unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto publiziert und dann in die Währung Bitcoin implementiert. Nakamoto hat damals wohl selbst die ersten 50 Bitcoins in Umlauf gebracht, um der IT-Community zu demonstrieren, dass das Grundprinzip des von ihm erdachten Tauschsystems funktioniert und eine Alternative zum traditionellen Geldsystem darstellt – insofern wurden Bitcoins anfänglich hauptsächlich zwischen IT-Nerds für Transaktionen genutzt. Schnell verbreitete sich jedoch die Nutzergemeinschaft und die im Tauschprozess gewährleistete Anonymität der Bitcoin-Nutzer führte dazu, dass Bitcoins immer häufiger für illegale Geschäfte – auch im inzwischen verbotenen Internetportal „Silk Road“ zur Beschaffung von Drogen – genutzt wurde.
Ein großer Raum und jede Menge Rechenpower – fertig ist die Bitcoin: Seit sieben Jahren generieren Computer mit genügend Leistung und einer speziellen Software die Währung. Durch das Lösen komplizierter Matheaufgaben schicken sie ständig neue Einheiten der Digitalwährung ins Netz. Nach 21 Millionen dieser Bitcoins soll Schluss sein – so wollen es die Entwickler. Momentan befinden sich 15 Millionen Bitcoins mit einem umgerechneten Wert von sechs Milliarden Dollar im digitalen Umlauf.
Aus dieser Schmuddelecke ist Bitcoin zwischenzeitlich längst herausgetreten. Es wird von seriösen Nutzern akzeptiert und – was noch wichtiger ist – das Konzept hinter Bitcoin, die sogenannte Blockchain-Technologie, hat immer mehr Anwender und Anwendungsgebiete gefunden. Inzwischen wird in digitalaffinen Wirtschaftskreisen die Blockchain-Technologie als die technologische Entwicklung gefeiert, der man das größte Umwälzungspotential in transaktionsgetriebenen Wirtschaftszweigen wie der Finanzindustrie zutraut. Und dies hat dazu geführt, dass 42 der führenden globalen Bankhäuser gemeinsam in das Start-up „R3CEV“ investiert haben, um das Potential der Blockchain-Technologie in der Abwicklung des Zahlungsverkehrs und der Sicherstellung und Dokumentation von Finanztransaktionen zu eruieren.
Woher rührt dieses Interesse an der Blockchain-Technologie? Man sollte sich das am besten an einer von einem Kunden initiierten internationalen Zahlungstransaktion zwischen einer regionalen Bank in Deutschland und einer regionalen Finanzinstitution in den USA klarmachen. Solche Transaktionen sind heutzutage noch sehr teuer und brauchen typischerweise mehrere Tage, bis sie abgewickelt sind. Der Grund liegt darin, dass diese Finanztransaktionen oft über mehrere Intermediäre laufen, bis sie abgeschlossen werden können. Die Zahlung wird über das europäische Zahlungssystem „Target“ von der Regionalbank in Deutschland an die internationale Korrespondenzbank in Deutschland beziehungsweise Europa übertragen und verifiziert. Die Korrespondenzbank transferieren über „Nostro“ und „FX“ an die amerikanische Korrespondenzbank, die dann über das inneramerikanische System „Fedwire“ die Zahlung an die Regionalbank in den USA weiterleitet. Dieser Prozess ist langsam, fehleranfällig und kostenintensiv. Jeder Intermediär muss die Korrektheit der Zahlung verifizieren: Dazu betreibt er sein eigenes zentralisiertes und geschlossenes System, um sich gegen Manipulation, Ausfall und Einbruch von Hackern abzusichern. Der Prozess wandert von System zu System, die Absicherungs- und Systemkosten vervielfachen sich und jeder der Intermediäre möchte zusätzlich auch noch etwas an der Transaktion verdienen.
Um an Bitcoins zu kommen, müssen interessierte Nutzer zunächst den Gegenwert laut aktuellem Umrechnungskurs für einen Bitcoin zahlen. Über 600 Euro werden dafür momentan fällig. Danach kann die digitale Shoppingtour in vielen Läden und Onlineshops beginnen. Vor der Transaktion tauschen alle beteiligten Rechner winzige Datenpakete voller Informationen aus, die bestätigen, dass der Kaufvorgang seine Richtigkeit hat. So kann garantiert werden, dass der Käufer liquide ist und der Verkäufer seine Bitcoins erhält. „Blockchain heißt die zugrundeliegende Technologie – eine Art dezentrales, praktisch fälschungssicheres Logbuch aller jemals getätigten Transaktionen“, urteilt ZEIT ONLINE.
Hier kann die Blockchain-Technologie eine wesentliche Verbesserung liefern und – ähnlich wie Skype im Telefongeschäft die internationalen Telefongesellschaften – die Intermediäre aus dem Tauschprozess ausschließen. Die Details der Technologie sind kompliziert und schwer zu vermitteln, aber im Prinzip funktioniert der Blockchain folgendermaßen: Wenn eine Person A in Europa Geld an eine Person B in den USA überweisen möchte, dann erscheint im ersten Schritt diese Transaktion im Netz. Sie wird auf hunderten Computern hinterlegt und erscheint als Datenblock für alle registrierten Teilnehmer. Dies ist also im Unterschied zu dem traditionellen zentrierten Intermediationsansatz ein verteilter Ansatz, bei dem jeder Teilnehmer die gleiche Information erhält. Diese Teilnehmer können die Korrektheit des Blockeintrages prüfen. Wenn sie sich in einem Consensus-Mechanismus auf die Richtigkeit geeinigt haben, wird der Datenblock der Blockchain hinzugefügt und das Geld kann von Person A an Person B überwiesen werden.
Die gesamte Abwicklung der Transaktion dauert typischerweise weniger als eine Stunde und die Kosten bewegen sich im Vergleich zum zentralisierten Ansatz im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Dadurch, dass die Transaktion im dezentralisierten Ansatz unmittelbar an vielen Knoten des Netzes hinterlegt wird, wird ein Basisschutz gegen Manipulationen geliefert. Diese Manipulationen müssten gleichzeitig an der Mehrzahl der Knotenpunkte ansetzen, um wirksam zu sein, was kaum möglich ist. Zudem kann eine im verifizierten Datenblock hinterlegte Transaktion nicht mehr nachträglich geändert werden, denn die Datenblöcke sind in ihrer zeitlichen Abfolge mittels eines Kettenmechanismus aneinander geknüpft und können nicht mehr aus dem Kettenverbund gelöst werden.
Nachdem die Europäische Zentralbank bereits den 500-Euro-Schein aus dem Verkehr gezogen hat, könnten in den Augen großer Bitcoin-Visionäre bald auch alle anderen Scheine und Münzen folgen: Eine Euro-Bitcoin könnte die Sorgen vieler Banken zerstreuen, Geld würde je nach Bedarf einfach berechnet werden. Konkrete Pläne für eine digitale Währung würde man allerdings nicht verfolgen, verlautet die Bundesbank. Denn zu viele Fragen bleiben offen, auch wenn sich die Bitcoin zunehmend als seriöses Zahlungsmittel erweist: Wer sendet welche Daten auf wie vielen Endgeräten? Wer hat Zugriff auf die Übertragungskette? Und ist die Blockchain-Technologie wirklich sicher?
Die Blockchain-Technologie hat jedoch nicht nur das Potential, die Abwicklung von Zahlungs- und Wertpapierhandelstransaktionen zu revolutionieren. Sie kann zum Beispiel Verzeichnis- und Notariatsfunktionen abbilden und damit die Registrierung von Besitz und Eigentum sowie die Bestätigung von Urheberschaft ermöglichen. Überall dort, wo Intermediäre bisher wichtig waren, um Verifikations- und Treuhandfunktionen wahrzunehmen, können Blockchain-Applikationen ansetzen und genau diese Funktionsbereiche übernehmen. Dies wird unser Wirtschaftssystem effektiver gestalten und sicherlich grundlegend verändern. Bitcoin als Währung wird vielleicht verschwinden, aber die Blockchain-Technologie ist außerordentlich zukunftsträchtig.
Titelbild:
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Bilder im Text:
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Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Marcel Tyrell
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm