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Dr. Hansjörg Neth ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Sozialpsychologie und Entscheidungswissenschaften an der Universität Konstanz. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im adaptiven Verhalten unter Risiko oder Unsicherheit, ökologischer Rationalität, rationaler Aufgabenanalyse, Risikowahrnehmung, -kommunikation und -management, interaktive Problemlösung sowie verkörperte und eingebettete Kognition. Zuvor hatte er den Lehrstuhl für Allgemeine Psychologie an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg inne.
Bereits Benjamin Franklin wusste: „In dieser Welt ist nichts gewiss, außer dem Tod und den Steuern.“ Generell sehnen wir uns nach Sicherheit und streben das Ziel an, Unsicherheit zu reduzieren. Dies ist ein rationaler Reflex, denn die Unsicherheit ist eine Art Kreislauf: Herrscht Unsicherheit, während wir Entscheidungen treffen wollen, wird uns bewusst, dass wir zu wenig Informationen besitzen und die zu entscheidende Situation zu komplex ist. Dies wiederum führt zu einer noch größer werdenden Unsicherheit. Doch was bedeutet Unsicherheit eigentlich? Wie fühlt sie sich an? Und wie kann sie rational beschrieben werden? Hansjörg Neth weist hier auf einen zentralen Unterschied hin, wenn er zum einen von „Risiko“, zum anderen von „Ungewissheit“ spricht.
In einer Situation, die Risiko enthält, ist zwar Unsicherheit vorhanden, doch ebenfalls liegt eine Breite an Informationen vor. Alternative Handlungen, die Wahrscheinlichkeiten für ein Ereignis wie auch die daraus resultierenden Konsequenzen sind bekannt. Daraus folgt, dass eine Berechnung sinnvoll und möglich ist. Der Konstanzer Sozialpsychologe zeigt dem anwesenden Publikum einen Entscheidungsbaum. „Jeder hat diesen mindestens einmal in seinem Leben im Mathematikunterricht bei der Einführung in die Stochastik zu Gesicht bekommen. Und ob man es glaubt oder nicht, bei Entscheidungen unter Risiko sind diese mathematischen Überlegungen wichtig“, so Neth.
Es gäbe allerdings auch eine zweite Art von Unsicherheit, die Neth als „Ungewissheit“ bezeichnet: Wenn in einem Entscheidungsprozess Ungewissheit vorliegt, sind Alternativen, Wahrscheinlichkeiten und Konsequenzen unbekannt; daraus resultiert die Unmöglichkeit einer Berechnung.
Neth resümiert, dass unter Risiko statistische Vorhersagen und gute Entscheidungen möglich und sinnvoll sind. Hier sollte man sich also an den Mathematikunterricht erinnern und mit dem Kopf entscheiden. Klingt logisch, aber funktioniert das wirklich immer? Die Herausforderung besteht vor allem darin, dass Zusammenhänge oft nicht intuitiv erschließbar sind, da bedingte Wahrscheinlichkeiten existieren. Außerdem können in der Wahrscheinlichkeitsrechnung zwar Aussagen über bestimmte Ereignisse getroffen werden, jedoch sind Aussagen über Einzelpersonen und ihre individuellen Umstände nicht möglich.
Und an dieser Stelle muss eingeräumt werden: „Die meisten Probleme, die wir eigentlich lösen wollen, existieren nicht unter Risiko, sondern unter Ungewissheit.“ Was soll ich studieren? Welchen Beruf wähle ich? Wo verbringe ich meine Ferien? Für welchen Partner entscheide ich mich? Entscheidungen unter Ungewissheit treffen wir nicht aufgrund von genauen Berechnungen und rationalen Überlegungen, sondern auf der Basis von Heuristiken: Die Heuristik beschreibt adaptive Strategien, Informationen zu ignorieren, um schnelle und sparsame Entscheidungen zu treffen, die unter Unsicherheit erfolgreich sind. Neth erklärt: „Vor allem die Rekognitionsheuristik spielt dabei eine besondere Rolle; wenn wir etwas schon einmal gehört oder gesehen haben, entscheiden wir uns eher dafür als für die Alternative.“
Letztlich lässt sich festhalten: Unsicherheit ist allgegenwärtig und unvermeidbar. Das Ziel kann also nur in einem erfolgreichen Umgang mit Unsicherheit liegen. Die Kunst des guten Entscheidens ist laut Neth die Reflexion. Zuerst einmal muss bestimmt werden, was die aktuellen Umstände sind. Je nachdem, ob es sich um Ungewissheit oder Risiko handelt, wird die Methode „Bauch“ oder „Kopf“ gewählt. Und am Ende bleibt nur noch eines: Eine mutige Entscheidung.
Titelbild:
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Bild im Text:
| Samuel Groesch / Zeppelin Universität (alle Rechte vorbehalten)
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm