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Alexander Eisenkopf studierte Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Nach seiner Promotion über Just in Time-orientierte Fertigungs- und Logistikstrategien arbeitete und lehrte Eisenkopf in Gießen und Frankfurt. Seit 2003 ist Eisenkopf Professor an der Zeppelin Universität und Gastdozent an der Wiener Wirtschaftsuniversität. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem auf Mobilität und Transportunternehmen.
Seit einigen Jahren präsentieren Autohersteller wie Daimler oder Audi auf der CES in Las Vegas ihren Traum von der Zukunft der Mobilität in Form von vollautomatisierten Showcars. Alles nur Show – oder worum geht es den Unternehmen dabei?
Prof. Dr. Alexander Eisenkopf: Dass auf der CES in Las Vegas Autos präsentiert werden, zeigt, wohin die Reise geht. VW-Chef Herbert Diess bezeichnet das Auto ja bereits als „wichtigstes mobile device“. Schon seit vielen Jahren steigt der Anteil elektronischer Komponenten an der Wertschöpfung eines Automobils, zuletzt in gesteigertem Tempo. Was mit Systemen für ABS oder ESP begann, die für Autofahrer heute weitgehend selbstverständlich erscheinen, führt über diverse Generationen von Fahrerassistenzsystemen perspektivisch hin zu mit Sensoren, Kameras und Elektronik vollgestopften tatsächlich autonomen Fahrzeugen. Trotz massiv steigender Komplexität ist der Weg dahin aus Sicht der Hersteller unausweichlich.
Auffällig in diesem Jahr war, dass Konzerne wie Sony oder holländische Start-ups Projekte vorstellten, die wesentlich realitätsnäher als die deutschen Showcars waren. Früher waren Sony-Radios in deutschen Autos verbaut, heute ist deutsche Technik im Sony-Auto verbaut. Werden die großen deutschen Hersteller zu Helferlein degradiert?
Eisenkopf: Das würde ich nicht so sehen. Gerade im Bereich des automatisierten Fahrens sind die deutschen Hersteller recht erfolgreich unterwegs und halten auch überproportional viele Patente. Ihr Problem ist aber, dass sie nicht nur vom Automatisierungstrend, sondern auch vom Übergang zur Elektromobilität und den allfälligen Problemen im auf absehbare Zeit nicht verzichtbaren Verbrennermarkt in die Zange genommen werden. Solche Probleme, die Managementkapazität binden, haben Start-ups und Newcomer aus anderen Branchen nicht.
Unter vorgehaltener Hand ließ ein deutscher Automanager wissen, autonomes Fahren sei selbst für Testfahrten noch viel zu unsicher. Warum kommt die Technik einfach nicht voran?
Eisenkopf: In der Tat sind zuletzt wieder Zweifel am Stand der Entwicklung des autonomen Fahrens aufgekommen. Dahinter steht auch ein grundsätzliches Problem. Es wird niemals gelingen, einem autonomen Fahrzeug die richtige Reaktion auf alle eventuellen unvorhergesehenen Konstellationen des Verkehrsgeschehens einzuprogrammieren, weshalb es unmöglich ist, die absolute Sicherheit eines Fahrzeugs vor der Markteinführung nachzuweisen. Trotz aller Sorgfalt werden Fehler und Unfälle passieren. Damit ist der bisherige Rechtsrahmen überfordert und es könnte zu erheblichen Bremseffekten kommen. Ohne eine Weiterentwicklung es Verkehrsrechts in Richtung einer ex-post-Konkretisierung durch Rechtsprechung und Richterrecht lässt sich dieses Dilemma nicht überwinden.
Wie lange dauert es noch, bis wir uns selbstfahrend ans Ziel bringen lassen?
Eisenkopf: Ich verfüge bedauerlicherweise nicht über eine Glaskugel. Rein technisch wäre heute schon sehr viel möglich, aber die flächendeckende Umsetzung der höheren Stufen der Automatisierung im Alltag sehe ich noch in weiter Ferne. Automatisiertes Fahren wird relevant mit Anwendungen entsprechend dem Level 2 („partial automation“) der Klassifizierung der Society of Automotive Engineers (SAE). Auf diesem Level übernimmt das System für einzelne Fahraufgaben die Funktionen Beschleunigung, Lenkung und Bremsen. Teslas Autopilot ist als ein SAE Level 2-System klassifiziert. Bei Stufe 0 und 1 dagegen wird der Fahrer nur mehr oder weniger unterstützt (z.B. durch Parkassistenzsysteme, Spurhaltesysteme, Bremsassistenten). Mit Level 3 („conditional automation“) wird es dann interessant. Der Fahrer kann sich bei einzelnen Fahraufgaben komplett vom Fahrbetrieb abwenden, bleibt aber „in the loop“, das heißt er muss innerhalb einer gewissen Reaktionszeit auch wieder die Kontrolle übernehmen können. Erst auf Stufe 4 („high automation“) ist er für bestimmte Fahrmodi überhaupt nicht mehr gefordert, und das System übernimmt tatsächlich sämtliche Fahraufgaben und deren Überwachung. Mit Stufe 5 („full automation“) gilt dies dann für alle Fahrmodi; das Auto fährt auch ohne Fahrer und man könnte auf ein Lenkrad und Pedale verzichten.
Die Probleme der deutschen Hersteller hören beim autonomen Fahren nicht auf. Womit haben die etablierten Branchengrößen noch zu kämpfen?
Eisenkopf: Wie bereits erwähnt wurde, ist das autonome Fahren nicht die einzige Baustelle der Automobilhersteller. Der mit diesem Jahr wirksame Flottengrenzwert von 95 Gramm CO2 je Kilometer und die absehbare deutliche weitere Verschärfung bis 2030 lassen sich mit einer Weiterentwicklung der bestehenden Verbrennungsmotoren unter gegebenen Rahmenbedingungen faktisch nicht erreichen. Auch die „Dieselkrise“ sitzt den Firmen noch im Nacken, wie die jüngsten Geschäftszahlen von Daimler zeigen.
Um die Flottengrenzwerte einzuhalten, müssen die Hersteller massiv den Anteil von E-Autos oder zumindest von Plug-In-Hybriden erhöhen, um allfällige hohe Strafzahlungen zu vermeiden. Dies ist ein abenteuerliches Unterfangen, da mit E-Autos kein oder deutlich weniger Geld verdient wird als mit Verbrennern, hohe Investitionen erforderlich sind und der Umfang der Wertschöpfung sinkt, was Auswirkungen auf Beschäftigung und sozialen Frieden in den Fabriken hat. Da sich die Käufer zudem immer noch in Zurückhaltung üben, entsteht eine gefährliche Mixtur. So hat die Automobilindustrie beim jüngsten Autogipfel im Kanzleramt bis zu 20 Milliarden Euro an staatlichen Hilfen gefordert.
Ganz außer Acht gelassen werden scheinbar die Bedürfnisse der Konsumenten: Sind Menschen überhaupt schon so weit und dazu bereit, sich von Künstlicher Intelligenz steuern zu lassen?
Eisenkopf: Diese Frage lässt sich nur empirisch beantworten; Die Ergebnisse der entsprechenden Studien zur Akzeptanz automatisierten Fahrens sind durchaus gemischt. Tendenziell ist man in den USA optimistischer als in Deutschland. Hier ist man zwar bereit, die neue Technik zu nutzen, möchte aber mehrheitlich die finale Kontrolle haben. Interessant sind auch Unterschiede aus soziodemografischer Perspektive: So steht die junge Stadtbevölkerung dem Thema „autonomes Fahren“ besonders aufgeschlossen gegenüber; die größte Skepsis herrscht bei der älteren Landbevölkerung, obwohl letztere eventuell einen besonders großen Nutzen daraus ziehen könnte.
Was denken Sie persönlich: Ist die Zukunft der Mobilität ausgemachte Sache oder könnte es auch ganz anders kommen?
Eisenkopf: Wie die Zukunft der Mobilität aussehen soll, wird gerade intensiv in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft diskutiert. Angesichts der Investitionszyklen und der Beharrungskräfte im System wird es mit der „schönen neuen Welt der Mobilität“ noch etwas dauern, und es ist keineswegs ausgemacht, dass das, was heute als Hype gefeiert wird, sich morgen auch durchsetzen wird. Zur Frage, ob die Zukunft der Mobilität eine Zukunft hat, werden wir übrigens im Rahmen der Initiative „Denkraum Bodensee“ im September diesen Jahres einen Kongress in der Region veranstalten. Ich bin sehr gespannt, welche Antworten dort gefunden werden.
Titelbild:
| Samuele Errico Piccarini / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
Bild im Text:
| Matti Blume / Eigenes Werk (CC BY-SA 4.0) | Link
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm