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Am 19. Februar 1957 wird Rainer Wieland in Stuttgart-Bad Cannstatt geboren. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften und dem Referendariat in Tübingen, Heidelberg und Stuttgart wird er als Rechtsanwalt tätig und ist bis heute Mitinhaber einer Kanzlei in Stuttgart. Seit 1999 lässt er allerdings jegliche Nebentätigkeit ruhen. Im Jahr 1997 wurde er erstmals Mitglied des Europäischen Parlaments. Seit 2009 ist er dort Vizepräsident und in dieser Rolle aktuell zuständig für die Gebäude und Infrastruktur sowie das Budget des Parlaments. Wieland ist verheiratet und hat zwei Kinder.
„Die Europäische Union ist eine Rechtsgemeinschaft mit Differenzen im kulturellen, aber auch im prozessualen Bereich“, steigt Rainer Wieland in die Diskussion ein. „In Frankreich etwa kann man auch in Abwesenheit verurteilt werden, in Deutschland funktioniert das nicht.“ Allgemein setzt die EU sehr hohe Standards hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit, jedoch besteht an verschiedenen Stellen noch Handlungsbedarf.
Medial besonders in der Kritik stehen die Mitgliedsstaaten Ungarn und Polen. Inzwischen sind mehrere EU-Verfahren gegen Polen und Ungarn eröffnet worden, da diese Mitgliedsstaaten durch Reformen die Unabhängigkeit der Justiz gefährden. In Polen wird vor allem die Doppelfunktion des Justizministers, der zugleich Generalstaatsanwalt ist, kritisch gesehen. Dadurch haben Anfälligkeiten für politische Einflussnahmen bezüglich der Organisation der Staatsanwaltschaft und der Untersuchung von Fällen zugenommen. Auch in Ungarn hat das Fehlen von Rechtsvorschriften und Transparenz bei der Verteilung staatlicher Werbung weitreichende Konsequenzen. Dort wurden unter anderem erhebliche Mittel für staatliche Werbung regierungsfreundlichen Unternehmen zugewiesen, was zur Folge hat, dass die Regierung einen indirekten politischen Einfluss auf die Medien ausüben kann.
Vor rund zwei Jahren ist die auch als rechtspopulistisch eingestufte ungarische Regierungspartei Fidesz, die wie die CDU/CSU der Europäischen Volkspartei (EVP) angehört, aufgrund von mutmaßlichen Verstößen gegen EU-Grundwerte sowie wegen Verbalattacken gegen den damaligen EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker suspendiert worden. Wieland kommentiert: „Auch das ist rechtsstaatliches Verfahren.“ Der Austritt aus der EU-Parlamentsfraktion folgte erst kürzlich. Daran zeigt sich ein Rechtsstaatlichkeitsdilemma: Nulla poena sine lege (Keine Strafe ohne Gesetz), was Wieland erläutert: „Man kann nicht einfach eine Gruppe aus der EVP-Fraktion suspendieren, wenn in der Fraktionssatzung keine Suspension vorhanden ist.“ Die Fidesz hat auf die geplante Einführung einer entsprechenden Satzungsänderung reagiert und ist ihr durch einen eigenständigen Austritt zuvorgekommen. „Diejenigen, die für einen Rechtsstaat eintreten, müssen sich auch an die Regeln halten und im Rahmen des Regelwerks agieren“, gibt Wieland zu bedenken.
Und er weist darauf hin, dass nicht nur Polen und Ungarn, sondern auch Mitgliedsstaaten wie Rumänien oder Malta gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen, was auch aus dem EU-Rechtsstaatlichkeitsbericht deutlich hervorgeht. „Wir reden viel zu wenig über Rumänien, wo versucht worden ist, einen Präsidenten aus dem Amt zu mobben, oder über Malta, wo ehemalige und auch mutmaßlich aktuelle Minister in den Mord der Journalistin Daphne Caruana Galizia verwickelt sind.“ Wieland fordert, dass sich mehr Mühe gegeben werden muss, um auch solche Geschehnisse medial sichtbarer zu machen.
Um Rechtsstaatlichkeit in der EU zu stärken, wurde unter anderem 2018 von dem damaligen Haushaltskommissar Günther Oettinger der erste Entwurf für einen Rechtsstaatsmechanismus eingebracht. Die Idee sah vor, dass Mittel aus dem Europäischen Haushalt nur noch fließen sollten, wenn das Empfängerland über einen funktionierenden Rechtsstaat verfügt. Seit dem 1. Januar 2021 gilt nun der aktuelle Mechanismus. „Die Tür, die durch den Rechtsstaatsmechanismus aufgemacht wurde, kann nicht mehr so leicht geschlossen werden“, sagt Wieland. „Das war ein wichtiger Schritt: Denn wenn man für Rechtsstaatlichkeit eintreten will, muss man auch für rechtsstaatliche Verfahren eintreten.“
Auch auf die europäische Impfstrategie wurde in der Diskussion eingegangen. Die EU-Kommission hat aktuell rund 2,6 Milliarden Impfstoffdosen gesichert, die Mitgliedsstaaten werden zunehmend mit Impfstoff beliefert, die Impfungen sind im Gange und es gibt Gespräche, wie die Kapazitäten der Impfstoffproduktion erhöht werden können. Wieland mahnt: „Wir müssen schon jetzt versuchen, auch auf dem Balkan, im Kosovo und in Serbien Strukturen aufzubauen.“ Der Europapolitiker erzählt, wie ihn ein junger Kosovare kürzlich fragte, wann sie denn endlich Impfstoff erhalten – so wurde dort noch nicht einmal mit den Impfungen begonnen. Und doch hält Wieland abschießend fest: „Unterm Strich ist es eine Erfolgsgeschichte und innerhalb der EU laufen die Diskussionen ganz anders ab als oftmals in den Medien dargestellt.“
Titelbild:
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Bild im Text:
| Lea Riexinger / Zeppelin Universität (alle Rechte vorbehalten)
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm