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Jörg-Uwe Nieland, Jg. 1965, Dr. phil., Studium der Politikwissenschaft an den Universitäten Duisburg, Bochum und Berlin; seit 2019 akademischer Mitarbeiter Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft an der Zeppelin Universität Friedrichshafen; 2009 bis 2016 Mitarbeiter am Institut für Kommunikations- und Medienforschung, seit 2016 assoziierter Mitarbeiter am Institut für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln; seit 2014 Sprecher bzw. stell. Sprecher der Fachgruppe »Mediensport und Sportkommunikation« in der DGPuK; Vorstandsmitglied der Initiative Nachrichtenaufklärung e.V. Forschungsschwerpunkte: Medialisierung und Medienentwicklung, Sportkommunikation und Sportpolitik, Politische Kommunikation, Populärkultur (u.a. Fanforschung).
Die Entstehung des Mediensports untersucht die reichhaltige und vielfältige Geschichte des Sportdokumentarfilms. Herausgearbeitet wird, wie groß der Einfluss des Sportdokumentarfilms mit seinen Methoden, Erzählweisen, Kameraperspektiven etc. auf den Sportspielfilm und später auf die Live-Berichterstattung von Spitzensportereignissen im Fernsehen war. Zugleich werden zu den großen Themen des Sportdokumentarfilms – etwa zu Aufstieg und Fall von Sporthelden oder zu herausragenden Sportereignissen wie den Olympischen Spielen – exemplarisch Filme vorgestellt. Sie finden Ergänzung durch konzentrierte Exkurse zur Medien- und Dokumentarfilmgeschichte nebst technischen Entwicklungen von Aufnahme- und Wiedergabetechniken sowie zur Genese und Popularität relevanter Disziplinen des Leistungssports. Eine umfangreiche Film- und Literaturliste rundet das Buch ab. Es richtet sich vor allem an Studierende und Lehrende der Film-, Sport-, Medien und Kommunikationswissenschaft sowie an alle Filmschaffenden.
Wie hat sich der moderne Sport zum Mediensport entwickelt?
Dr. Jörg-Uwe Nieland: Der moderne Sport ist aufs Engste mit den Medien verbunden. Der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstehende Wettkampfsport ist regelrecht angewiesen auf das Medienpublikum. Die (redaktionelle und auch werbliche) Kommunikation über den Sport (und natürlich seinen Protagonistinnen und Protagonisten) generiert – als die globale Kulturform – Aufmerksamkeit und in der Folge auch Einnahmen. Die Medien sind an einem spannenden, weil ergebnisoffenen Berichterstattungsgegenstand interessiert. Das Publikum möchte über den Sport informiert und unterhalten werden. Die sozialen Medien verstärken die Verbindung zwischen Sport und Medien, denn über die verschiedenen Plattformen können einerseits Sportlerinnen und Sportler wie Veranstalterinnen und Veranstalter und auch Vereine und Verbände direkt mit dem Publikum in Kontakt treten; andererseits ermöglichen sie eine kommunikative Bindung wie auch Beteiligung des Publikums (über Likes, Kommentare etc.).
Was ist ein Sportdokumentarfilm?
Nieland: Auch wenn die Mediengeschichte von Anfang an mit dem Sport verbunden war und Sportwettkämpfe sowie die Hintergründe der Wettkämpfe und vor allem ihrer Protagonistinnen und Protagonisten in den Medien auf die unterschiedlichste und vielfältigste Art und Weise dokumentiert wurden und werden, existiert keine exakte Definition von Sportdokumentarfilmen.
Der Film „Deutschland. Ein Sommermärchen“ (D 2006) ist in Deutschland der erfolgreichste Dokumentarfilm der vergangenen 15 Jahre (rund 4 Millionen Zuschauer). International hat die Dokuserie „30for30“ (ESPN; bislang knapp 120 Folgen seit 2009) Maßstäbe gesetzt, da sie Themen jenseits der 1:0-Sportberichterstattung aufgreift.
Die dokumentarischen Formen sind einem ständigen, oft von technologischen Entwicklungen angetriebenen Veränderungen unterworfen. Zu den neuen Produktionstechniken zählen hochauflösende Digitalkameras ebenso wie Miniatur-Point-of-View-Kameras und Hochgeschwindigkeitskameras. Als neue Vertriebsformen sind Internet, Pay-TV und Streaminganbieter zu nennen. Neue Anbieter wie Red Bull nutzen Sportdokumentarfilme auch als Marketingtool. Schließlich etablieren sich neue Erzählstrukturen, bei denen auch Elemente aus fiktionalen Hollywoodfilmen integriert werden.
Welche Themen eignen sich besonders als Stoff für Sportdokumentarfilme und was macht ihn so erfolgreich?
Nieland: Besonders attraktiv sind Heldengeschichten und innerhalb dieser Heldengeschichten sind es die Aufstiege der Underdogs und die Überwindung von Niederlagen. Erfolgreich sind Sportdokumentarfilme unter anderem, weil die Protagonistinnen und Protagonisten bekannt und beliebt sind, weil Leistung(en) und Erfolg(e) bemerkenswert sind und weil zahlreiche Geschichten Teil des nationalen Gedächtnisses und der Identifikation sind.
Welche Defizite zeigt der Sportdokumentarfilm?
Nieland: In der Tat nimmt die Zahl der Sportdokumentarfilme, die sich mit den Schattenseiten des globalisierten und in extremer Weise kommerzialisierten Sports beschäftigen, ständig zu. Thematisiert werden beispielsweise Doping, Wettbetrug, Korruption oder auch der sexuelle Missbrauch und Rassismus im Sport.
In den vergangenen Jahren haben sich bei Filmwettbewerben Sportdokumentarfilme gegen sportfremde Filme durchsetzen können und so mehr Aufmerksamkeit bekommen. Wie steht es um die Aufmerksamkeit von Sportdokumentarfilmen in der Forschung? Erstaunlicherweise hat die Forschung – und zwar in den verschiedenen Teildisziplinen – bislang kaum auf den Bedeutungsaufschwung der Sportdokumentarfilme, die Vielfalt und die Variationen des Genres reagiert. Das Potenzial für die Forschung und auch die Lehre wird hier meiner Meinung nach verschenkt.
Was ist die Idee und was die Ziele des vorliegenden Buches?
Nieland: Auf das Forschungsdefizit wollten wir reagieren. Dem Wechselverhältnis von Sport- und Gesellschaftsentwicklung wollten wir nachgehen. Dieses Verhältnis lässt sich besonders in Sportdokumentarfilmen betrachten. Ziel war es, sich dem Phänomen Sportdokumentarfilm aus filmwissenschaftlicher, sportwissenschaftlicher und kommunikationswissenschaftlicher Sicht zu nähern. Anhand von Filmanalysen sollten die zentralen Themen, Verfahren und auch Erfolgskriterien von Sportdokumentarfilmen historisch und vergleichend aufgearbeitet werden. Ausgewählt haben wir ein Konvolut von relevanten Sportdokumentarfilmen (Schwerpunkt West- und Mitteleuropa sowie USA). Im Anschluss ging es darum, die Dokumentarfilmästhetik bei der Beschäftigung mit unterschiedlichen Sportarten und sportrelevanten Themen – auch im Vergleich – zu analysieren.
Warum stehen Autorendokumentarfilme Im Mittelpunkt der Filmanalysen und können Sie uns an einem Beispiel die Methoden der Filmanalyse näherbringen?
Nieland: Autorendokumentarfilme sind die klassische und weiterhin häufigste Form von Sportdokumentarfilmen. Ihnen liegt „die Handschrift“ eines Autors – übrigens leider nur sehr weniger Autorinnen – zugrunde. Die Handschrift, also der besondere Zugang zum Material, die Erzähl- und Darstellungsweisen haben wir in den Filmanalysen betrachtet. Trotz dieser Konzentration auf Autorendokumentarfilme soll unsere Auswahl auch ein Systematisierungsvorschlag für weitere Forschung sein.
Blicken wir nun in die Zukunft. Wie verändern Streamingplattformen die Inhalte von Sportdokumentarfilmen?
Nieland: Streamingplattformen produzieren und zeigen vor allem Dokuserien. Hier erzählen und dokumentieren sie meist den Zeitraum einer Saison und können so unterschiedliche Haupt- und Nebenaspekte aufgreifen. Diese Form der Sportdokumentarfilme reagiert damit auf die Seh- und Nutzungsgewohnheiten sowie die Erwartungshaltungen des Plattformpublikums.
Wie wird sich der Sport wandeln und welche Rolle könnte dabei die (bio-)technologische und pharmakologische Körperoptimierung spielen?
Nieland: Der Sport und das Sportverständnis wandeln sich. Der Sport regiert und forciert gesellschaftliche Veränderungsprozesse wie die Individualisierung, die Globalisierung und die Selbstvermessung und die Selbstoptimierung. Diesen Prozess begleiten, reflektieren und kritisieren die Sportdokumentarfilme. Wohin die Reise geht, ist offen – und spannend.
Welche Auswirkungen hat E-Sport auf den Mediensport?
Nieland: Der E-Sport weist sicherlich nicht alle Kriterien des klassischen Sports auf; aber er ist sicherlich ein Teil des Mediensports. E-Sport fordert den klassischen olympischen Sport heraus.
Wie sehen Sie diese Entwicklungen?
Nieland: Bislang ist es dem Sport noch immer gelungen, die neuen Entwicklungen zu integrieren. Dies wird auch mit dem E-Sport gelingen. Als problematischer sehe ich die Kommerzialisierung und damit verbunden die Konzentration auf wenige Sportarten, wenige Stars. Der Sport hat seine Unschuld längst verloren. Die Sportdokumentarfilme können helfen, die aktuellen Entwicklungen zu reflektieren und an die Integrations- und Identifikationskraft des Sports für den Einzelnen und die Gesellschaft zu erinnern.
Titelbild:
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Bild im Text:
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Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm