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Ringvorlesung „Radical Dreaming“

Im Weltinnenraum der Träume

Zugleich aber lässt sich nun seit ein paar Jahren auch beobachten, dass Träume und Visionen für die Politik wieder bedeutsamer werden. Heute gerät langsam wieder in den Blick, dass die Imagination eine unverzichtbare Triebkraft für soziales und politisches Handeln darstellt.

Prof. Dr. Karen van den Berg
Lehrstuhl für Kunsttheorie und Inszenatorische Praxis
 
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    Zur Person
    Prof. Dr. Karen van Berg

    Professorin Dr. Karen van den Berg hat den Lehrstuhl für Kulturtheorie und inszenatorische Praxis an der Zeppelin Universität inne. Sie studierte Kunstwissenschaft, Klassische Archäologie und Nordische Philologie in Saarbrücken und Basel, wo sie auch promovierte. Von 1993 bis 2003 war sie Dozentin für Kunstwissenschaft am Studium fundamentale der Privaten Universität Witten/Herdecke. Seit 1988 realisiert sie als freie Ausstellungskuratorin zahlreiche Ausstellungsprojekte in öffentlichen Räumen und in Kunstinstitutionen – zuletzt mit den Ausstellungsreihen „Politics of Research“ und „Pari Mutuel“ im Flughafen Berlin Tempelhof. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Theorie des Inszenierens und Ausstellens; Kunst und Öffentlichkeit; Kunstvermittlung und Politik des Zeigens; Kunst und Emotionen (insbesondere Kitsch und Schmerz); Rollenmodelle künstlerischen Handelns; Altern und künstlerische Alterswerke; Soziale Effekte von Bildungsarchitekturen.

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Helmut Schmidt hat einmal gesagt, wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen. Frau van den Berg, Herr Söffner und Herr Avanessian: Befinden Sie sich aktuell in ärztlicher Behandlung? Also haben Sie noch Träume und Visionen? Und wenn ja, welche?

Prof. Dr. Karen van den Berg: Dieses Zitat von Helmut Schmidt steht für einen ganz bestimmten Politikstil, der sich für ideologiefrei hält und meint, über einen alternativlosen realistischen Blick auf die Welt zu verfügen. In diesem Denken gibt es nur den Souverän, der die Wirklichkeit so sieht, wie sie nun einmal angeblich ist und sich dann all jenen naiven Unwissenden oder Verblendeten gegenüberstellt, die eben noch träumen und über ihren unbedarften oder gar pathologischen Zustand aufgeklärt werden müssen.


Interessant ist, dass auch Sie gerade gefragt haben, ob wir „noch“ Träume haben, so als gehöre das Träumen einer niedrigeren Evolutionsstufe im Denken an. Dies ist ein recht gängiges Narrativ unserer Zeit. Demnach haben nur Kinder und jene Menschen Träume, die zwischen Realität und Phantasma noch nicht zu unterscheiden wissen. Hier zeigt sich: Träume gelten als epistemisch minderwertig. Nicht einmal die gegenwärtige Psychoanalyse misst ihnen noch große Bedeutung bei.


Zugleich aber lässt sich nun seit ein paar Jahren auch beobachten, dass Träume und Visionen für die Politik wieder bedeutsamer werden. Heute gerät langsam wieder in den Blick, dass die Imagination eine unverzichtbare Triebkraft für soziales und politisches Handeln darstellt. Ohne Imagination, so schreibt etwa der französische Philosoph Jacques Rancière, bewegen wir uns in einer „Wirklichkeit, die sich ununterbrochen selber darstellt.“ Um dem entgegenzuwirken, so argumentiert er weiter, brauchen wir das Imaginäre und die Kunst. Gerade die Kunst erzeuge einen Zwischenraum zwischen dem Realen und dem Fantastischen, zwischen Wissen und Nichtwissen, Sinn und Sinnlosigkeit, Logos und Pathos.


Diese Beobachtungen waren Ausgangspunkt für das Jahresthema „Radical Dreaming – Visionen, Imaginationen, Abgründe“. Wir wollen daher gerade vor dem Hintergrund aktueller weltweiter Krisen nach der Bedeutung des spekulativen Denkens und Imaginierens für die Erschließung von Zukunftshorizonten fragen. Dabei wird es, so viel kann man sagen, nicht um billige Phantasmen oder zynische Formen der Weltflucht gehen.


Jetzt widmen sie eine ganze Ringvorlesung dem Träumen – unter dem Titel „Radical Dreaming“. Worum wird es gehen?

Prof. Dr. Jan Söffner: Um sehr viele verschiedene Dinge wird es gehen. Um die Technologien unserer Gegenwart, um Science-Fiction, um kritische Traumtheorien und um kulturgeschichtliche Schlaglichter auf das Träumen, um Wirklichkeitsmodelle, Visionen – kurz, um es mit Shakespeare zu sagen, um den „Stoff, aus dem die Träume sind“ (was für ihn aber zum Beispiel noch eine geistige Substanz war, die nicht einfach subjektiv, immateriell und innerlich war, sondern feinstofflich gedacht war: als Geister, die eine eigene Realität hatten).

Wovon träumen die Deutschen? Diese Frage zu beantworten, ist nicht einfach – im Jahr 1998 zum Beispiel erklärten 34 Prozent der Menschen im Land, sie hätten in den vergangenen Monaten von der Arbeit geträumt, 22 Prozent von Verstorbenen und drei Prozent von Schwimmen oder Krieg. Aktuellere Zahlen lieferte der SPIEGEL, zuletzt vor ein paar Jahren. Eine Umfrage sollte die Träume der Menschen herauskitzeln. Darum wurden sie gefragt, welche drei Wünsche sie einer guten Fee nennen würden. Darauf antworteten die Befragten recht übereinstimmend: Mehr als die Hälfte wünscht sich Gesundheit, für fast 40 Prozent ist finanzielle Sicherheit ein Traum und nahezu ein Drittel wünscht sich Glück in der Familie. Fast ebenso häufig wie Partnerschaft und Kinder wurde mit 30,4 Prozent aber auch der Wunsch nach materiellen Dingen genannt. Die Teilnehmer wurden auch gefragt, worum sie die gute Fee bitten würden, wenn es explizit um etwas geht, was man kaufen kann. Hier wollten fast zwei Drittel der Befragten etwas haben, was sie dann auch ihr Eigentum nennen können. Für eine Reise entschieden sich 10,7 Prozent. Fast 8 Prozent fiel kein Kaufwunsch ein und immerhin mehr als 4 Prozent zeigten sich wunschlos glücklich.
Wovon träumen die Deutschen? Diese Frage zu beantworten, ist nicht einfach – im Jahr 1998 zum Beispiel erklärten 34 Prozent der Menschen im Land, sie hätten in den vergangenen Monaten von der Arbeit geträumt, 22 Prozent von Verstorbenen und drei Prozent von Schwimmen oder Krieg. Aktuellere Zahlen lieferte der SPIEGEL, zuletzt vor ein paar Jahren. Eine Umfrage sollte die Träume der Menschen herauskitzeln. Darum wurden sie gefragt, welche drei Wünsche sie einer guten Fee nennen würden. Darauf antworteten die Befragten recht übereinstimmend: Mehr als die Hälfte wünscht sich Gesundheit, für fast 40 Prozent ist finanzielle Sicherheit ein Traum und nahezu ein Drittel wünscht sich Glück in der Familie. Fast ebenso häufig wie Partnerschaft und Kinder wurde mit 30,4 Prozent aber auch der Wunsch nach materiellen Dingen genannt. Die Teilnehmer wurden auch gefragt, worum sie die gute Fee bitten würden, wenn es explizit um etwas geht, was man kaufen kann. Hier wollten fast zwei Drittel der Befragten etwas haben, was sie dann auch ihr Eigentum nennen können. Für eine Reise entschieden sich 10,7 Prozent. Fast 8 Prozent fiel kein Kaufwunsch ein und immerhin mehr als 4 Prozent zeigten sich wunschlos glücklich.

Was unterscheidet „radikales“ Träumen von „normalem“ Träumen? Das klingt gefährlich.

van den Berg: Radikale Träume sind tatsächlich gefährlich. Sie erfordern nicht nur eine besondere Klarsichtigkeit, sondern auch Mut. Martin Luther King bezahlte sein „I Have a Dream” mit dem Leben.


Prof. Dr. Armen Avanessian: Vor allem sollte man nicht vergessen, wie tiefgehend die Rolle und Funktion von Träumen nicht nur in unserem Leben, sondern für den Menschen als solches ist. Wir haben ja eine Stimme, um zu sprechen oder zu singen, und Ohren, um das zu hören. Und wir haben Augen, um zu sehen, aber was wir nicht wirklich haben ist ein Organ, um Bilder zu produzieren. Inwiefern hier Träume die bedeutende Nebenfunktion als Bilderproduzenten spielen, werde ich in meinem Vortrag mit der Literaturwissenschaftlerin Dr. Anke Hennig diskutieren.


Auf jeden Fall bedeutet das aber nicht, dass wir Träume nur anthropologisch betrachten sollten. Die Frage „Do Androids Dream of Electric Sheeps?” – so lautet der Titel eines Romans von Philip K. Dicks, der als Vorlage für die Blade Runner-Filme diente – weist da in eine spannende Richtung (ich bin in diesem Zusammenhang auch gespannt auf den Vortrag von Elisabeth Bronfen mit dem Titel „Do Androids Dream of Shakespeare?“). Vielleicht wissen wir in Zukunft mehr über die Träume von anderen Wesen. Davon könnten wir sicher auch einiges über uns selbst lernen.


All das sind, denke ich, einigermaßen radikale Aspekte des Träumens selbst, noch bevor wir an spezifische Inhalte denken.


Söffner:
Ich denke, es gibt noch einen anderen Aspekt des Radikalen. Das Wort kommt von radix, der Wurzel; und wie die Wurzel ihre Funktion und damit das, was sie ausmacht, verliert, sobald man sie ausgräbt, so verhält es sich – metaphorisch gesprochen – auch mit Träumen. Das Problem der Träume ist, dass wir über sie nicht sprechen können, ohne wach zu sein (das gilt natürlich auch für mich selbst – genau das tue ich hier gerade auch).


Wenn man wach ist, verlieren sie aber die merkwürdige Einheit von dynamischen Bildern und Klängen und Gerüchen und Haltungen und Neigungen und Begehren und Gefühlen, die weitgehend keinerlei Aussage haben und doch so sinnerfüllt zu sein scheinen. Im wachen Zustand können wir nicht mehr nachvollziehen, was dieser Sinn war, den er ergeben zu haben scheint. Man scheint von Träumen aufgefordert zu sein, sie in eine andere Ordnung zu übertragen, ihre Bilder allegorisch, metaphorisch, metonymisch oder was auch immer aufzufassen, um sie etwas aussagen zu lassen. 


Das kann sehr produktiv sein (ich bin etwa ein großer Freund der Psychoanalyse), aber selten bleibt man an dem Punkt stehen, an dem man sich erstmal auf der Zunge zergehen lässt, dass etwas Sinn ergeben kann, ohne zu bedeuten, und das heißt, dass man denken kann, ohne über etwas nachzudenken – dass es ein dynamisches Denken gibt, das nicht zur Konstitution von Denkgegenständen vordringt.


Wenn Karen van den Berg gerade gesagt hat, dass Träume eine Alternative zu einer Realität sind, die sich fortwährend selbst darstellt, dann gerade deshalb: Es fehlt ihnen die Darstellungsdimension, sie repräsentieren nichts – zumindest nicht, solange man sie träumt. Ist man aber einmal wach, dann überträgt man sie in eine Ordnung der Darstellung.

Welchen Stellenwert haben Träume in der Wissenschaft?

Söffner: Gerade diese ist eine wichtige Herausforderung. Sigmund Freud meinte, dass Träume aufgrund ihrer besonderen, scheinbar keine Aussage treffenden Form des Denkens der Königsweg in das seien, was er das Unbewusste nannte. Man kann noch heute – ihm folgend – die provokante Frage stellen, ob das wache Denken nicht ein Substrat haben könnte, das ähnlich funktioniert wie Träume; ob und inwiefern also das Radikale, das Wurzelhafte des Traumdenkens, auch in unser waches Denken eingeht und es formt, ohne dass wir das immer merken würden. Freud suchte dieses Denken zu verstehen, indem er Träume auszulegen begann und auf die Gegenstände eines unbewussten Denkens festlegte. Carl Gustav Jung kritisierte ihn dafür und sagte, das Entscheidende sei nicht nur, was Träume sagen, sondern vielmehr, wie sie es sagen, mit anderen Worten achtete er mehr auf die Form als auf den Gehalt der Träume.


Das Problem daran ist aber, dass auch er noch die eigentliche Frage übersprungen hat, nämlich diejenige, ob Träume überhaupt etwas sagen. Die gegenwärtige experimentalpsychologische Forschung hat demgegenüber mit recht großem Erfolg zeigen können, dass Träume vor allem Gelerntes (Haltungen, Fertigkeiten, Erinnerungen, Neigungen, Denkformen) „konsolidieren“, das heißt vor dem Vergessen bewahren und gleichzeitig verbessern – dass die Träume im Träumen Sinn ergeben, halten sie daher bestenfalls für eine zufällige Begleiterscheinung: Träume haben nichts zu sagen, sie sprechen nicht mit uns, sie ereignen sich. Die Frage ist aber, selbst wenn man dem folgt, ob solche Begleiterscheinungen von Hirnaktivitäten nicht dennoch ein unterschwelliges Denken sein können – und damit Ausdruck eines Unbewussten (wenn auch vielleicht nicht des Freudschen Unbewussten).


Und welchen Stellenwert haben Träume noch in der Gesellschaft? Schließlich kann ich mir von der virtuellen Videospielewelt meine Träume bis zum vermeintlich traumhaften Sex alles aus dem Internet besorgen.

Avanessian: Eine spannende und wichtige Frage. Auch weil sie uns veranlasst zu differenzieren zwischen Träumen während unseres Schlafes, die seit Jahrtausenden als Boten geheimer oder unbewusster Wahrheiten gelten, und anderen Phänomenen wie Wunschträumen, Tagträumen oder anderen metaphorischen Verwendungen des Begriffes. Für all diese wären diese Fragen wohl anders zu beantworten. Und ein radikaler Aspekt von nächtlichen Träumen wäre in dem Kontext wohl, dass wir sie nicht kontrollieren können und sie auch nicht gesellschaftlich sanktionierten Mustern darüber gehorchen, was denn begehrenswert und traumhaft schön ist und was nicht.


Söffner: Und was das Virtuelle und seine Verbindung zu Träumen angeht, hat das Radikale, das Unterirdische der Träume ein Pendant auch in der Immersion, dem wachen Eintauchen, besonders dem Eintauchen in virtuelle Welten, wie sie ihrerseits immer radikaler geplant werden (unter anderem als Metaversum). Auch in der Immersion geht es damit – wie beim Abtauchen in den Schlaf – um ein Eintauchen und eine Sinnerfahrung ohne reflexive Distanz. In der Virtualität folgt das Sinnerleben dabei den Sinnesreizen und das heißt der algorithmisch bereits errechneten Welt – es gibt nicht das, was Freud den latenten Traumgedanken nannte, also kein Denken in dynamischen Bildern mehr, sondern nur noch immersive Effekte dieser Bilder. Man träumt die virtuellen Welten nicht selbst, sondern lässt sie gewissermaßen seitens der Algorithmen träumen. Ich sage das ohne Wertung – wohl aber als Feststellung, dass dieser Umstand für die Vorlesung durchaus von Interesse sein könnte.

Radikale Träume sind tatsächlich gefährlich. Sie erfordern nicht nur eine besondere Klarsichtigkeit, sondern auch Mut, sagt ZU-Professorin Karen van den Berg und erinnert damit unter anderem an den US-Bürgerrechtler Martin Luther King. Seine Rede „I Have A Dream“, die er am 28. August 1963 beim Marsch auf Washington für Arbeit und Freiheit vor mehr als 250.000 Menschen vor dem Lincoln Memorial in Washington, D.C., hielt, ist das Aushängeschild der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und steht wie keine andere für die Übel der Rassentrennung und Ungleichheit. Zitate aus ihr sind im politischen und gesellschaftlichen Leben der Vereinigten Staaten allgegenwärtig. Sie gilt (zusammen mit einer Rede Präsident Lincolns aus dem Jahr 1863) als eine der wichtigsten 100 politischen Reden Amerikas. Im Jahr 2008 konnten laut einer Umfrage 97 Prozent der amerikanischen Schüler Auszüge aus ihr korrekt Martin Luther King und seinem Anliegen zuordnen. Wegen seines Engagements für soziale Gerechtigkeit erhielt er 1964 den Friedensnobelpreis. Am 4. April 1968 wurde King bei einem Attentat in Memphis erschossen.
Radikale Träume sind tatsächlich gefährlich. Sie erfordern nicht nur eine besondere Klarsichtigkeit, sondern auch Mut, sagt ZU-Professorin Karen van den Berg und erinnert damit unter anderem an den US-Bürgerrechtler Martin Luther King. Seine Rede „I Have A Dream“, die er am 28. August 1963 beim Marsch auf Washington für Arbeit und Freiheit vor mehr als 250.000 Menschen vor dem Lincoln Memorial in Washington, D.C., hielt, ist das Aushängeschild der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und steht wie keine andere für die Übel der Rassentrennung und Ungleichheit. Zitate aus ihr sind im politischen und gesellschaftlichen Leben der Vereinigten Staaten allgegenwärtig. Sie gilt (zusammen mit einer Rede Präsident Lincolns aus dem Jahr 1863) als eine der wichtigsten 100 politischen Reden Amerikas. Im Jahr 2008 konnten laut einer Umfrage 97 Prozent der amerikanischen Schüler Auszüge aus ihr korrekt Martin Luther King und seinem Anliegen zuordnen. Wegen seines Engagements für soziale Gerechtigkeit erhielt er 1964 den Friedensnobelpreis. Am 4. April 1968 wurde King bei einem Attentat in Memphis erschossen.

Welche Rolle spielt der Bedeutungsverlust von Visionen, wenn es darum geht, schlagkräftige Strategien für die Zukunft zu entwickeln? Wenn niemand mehr von etwas Großem träumt, kann es dann überhaupt noch revolutionäre Fortschritte und Erfindungen geben?

Söffner: Gern würde ich erstmal zurückfragen, ob revolutionäre Erfindungen ein Selbstzweck sind. Vielleicht wäre es ja ab und an auch mal gut, ein paar weniger davon zu haben. Jedenfalls glaube ich nicht, dass ein gegenwärtiger Mangel an Träumen und Visionen (von dem ich mir nicht sicher bin, ob es ihn gibt) auch einen Mangel an revolutionären Erfindungen produziert hätte oder produzieren würde. Wohl aber geht oder ginge ein solcher Mangel an Träumen mit einem Mangel an Sinnerfahrung einher – und das wiederum ist umgekehrt nicht unbedingt nur etwas Schlechtes.


Ist es also sogar gut, dass wir weniger Visionen haben? Schließlich hatten auch die größten Massenmörder der Geschichte Visionen. Nur waren diese grausam und barbarisch.

Söffner: Genau das meine ich damit, dass ein Mangel an Sinnerfahrung nicht unbedingt schlecht ist. Die größten Massenmörder verstanden es, anderen ihre Träume (oder eher Fantasien – gerne auch Gewaltfantasien) aufzudrängen und sie taten es natürlich schon damals immer mit den technisch avanciertesten Mitteln, die ihnen jeweils zur Verfügung standen (beginnend mit der Dichtung). Sie generierten damit Sinnerfahrungen, auf die man vielleicht besser verzichtet hätte. Die Technologie, die zu diesem Zweck gegenwärtig bereitsteht, ist auch in ihrem Potenzial nicht zu unterschätzen, Ideologien in faktische Albträume zu verwandeln.


Auch Sie halten zwei Vorträge – gleich zum Auftakt der Vorlesung. Es wird um Nachtgespenster und „Träumen als Denken“ gehen. Können Sie uns eine kleine Vorschau geben?

van den Berg: In meinem Vortrag werde ich ganz unterschiedliche Formen von Traumbildern vorstellen. Das Spektrum reicht von Bildern, die den spirituellen Offenbarungscharakter von Träumen zeigen, über verstörende monströse Bilder von Albträumen bis hin zu Bildern, die sich mit Träumen befassen, die nicht im Schlaf geträumt werden, sondern Kindheitsträume oder Lebensträume genannt werden. Künstlerinnen und Künstler werden Jusepe de Ribera, Johann Heinrich Füssli, AKIZ und die Fotografin Wendy Ewald sein, die versucht, Kindheitsträume aus der amerikanischen Provinz einzufangen. Für mich ist dabei die bildliche Logik von besonderem Interesse und die Frage, welche Erkenntnis- und Erfahrungsdimension des Träumens die Bilder vermitteln und welche Anstrengungen von den Künstlerinnen und Künstler unternommen werden, diese Black Box des Träumens epistemisch zu bestimmen.


Söffner: Um die epistemische Dimension geht es mir in anderer Form auch, indem ich mich verschiedenen Traumdeutungen widme, die kulturgeschichtlich sehr verschieden ausgefallen sind. Ich möchte mich mit dem Träumen als Denken auseinandersetzen.

Titelbild: 

| Javardh / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Bilder im Text: 

Wes Hicks / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link

| Unseen Histories / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

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