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Hongkong

Widerstand zwecklos?

von Prof. Dr. Klaus Mühlhahn | Zeppelin Universität
06.07.2022
Es ist sehr wahrscheinlich, dass Hongkong wie eine chinesische Stadt auf dem Festland wird: wirtschaftlich einigermaßen erfolgreich, aber politisch repressiv. Langfristig glaube ich aber, dass sich Hongkong nie völlig anpassen wird und der rebellische Geist der Stadt nicht dauerhaft unterdrückt werden kann.

Prof. Dr. Klaus Mühlhahn
Lehrstuhl für Moderne China-Studien
 
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    Zur Person
    Prof. Dr. Klaus Mühlhahn

    Klaus Mühlhahn hat am 1. Juni 2020 sein Amt als Präsident der Zeppelin Universität angetreten. Zuvor war er seit 2018 Vizepräsident an der FU Berlin für die Bereiche Forschung, Nachwuchsförderung sowie Wissenstransfer und Ausgründungen. Mühlhahn gilt als einer der renommiertesten Sinologen in Deutschland. Nach dem Studium der Sinologie und der Promotion an der FU Berlin führte ihn sein wissenschaftlicher Weg zunächst von 2002 bis 2004 als Visiting Fellow an das Center for Chinese Studies der University of California, Berkeley. Weitere Stationen waren von 2004 bis 2007 als Professor für gegenwärtige chinesische und asiatische Geschichte das Institut für Geschichte der University of Turku, Finnland, und von 2007 bis 2010 als Professor für Geschichte und außerordentlicher Professor für ostasiatische Sprachen und Kulturen die Indiana University Bloomington, USA, bevor Mühlhahn im selben Jahr als Professor für chinesische Geschichte und Kultur an die FU Berlin zurückkehrte. An der Zeppelin Universität übernimmt Mühlhahn den Lehrstuhl für Moderne China-Studien.

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    Factbox
    Zum Weiterlesen: Hongkong - umkämpfte Metropole von 1841 bis heute

    Von einem unbekannten Fischerdorf an der Peripherie Chinas wurde Hongkong während 156 Jahren britischer Herrschaft zu einer der spektakulärsten und kosmopolitischsten Städte der Welt. Hongkongs Entwicklung – von der Besetzung durch die Briten über die Rückgabe an China im Jahr 1997 bis zum Kampf um Selbstbehauptung in der Gegenwart – ist die faszinierende Geschichte einer Stadt zwischen den großen Mächten in Ost und West. Die seit Sommer 2019 immer wieder aufflackernden Proteste und schweren Ausschreitungen sind ohne Bezug auf die komplexe Geschichte Hongkongs nicht zu verstehen. Das Buch analysiert vor dem historischen Hintergrund den gegenwärtigen tiefgreifenden Wandel der Beziehungen zwischen China, Hongkong und der Welt.

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Herr Mühlhahn, was fasziniert Sie so sehr an Hongkong, dass Sie dem Stadtstaat ein ganzes Buch widmen?


Prof. Dr. Klaus Mühlhahn:
Hongkongs Entwicklung – von der Besetzung durch die Briten über die Rückgabe an China bis hin zum Kampf um Selbstbehauptung in der Gegenwart – ist die faszinierende Geschichte einer Stadt der Widersprüche und Superlative: Hongkong war und ist eines der wichtigsten Zentren des globalen Kapitalismus, das 1997 dem größten und heute mächtigsten sozialistischen Land der Welt übergeben wurde. Ein einzigartiges Experiment.


Hongkong wurde 1841 als britische Kolonie gegründet. Warum war das Territorium für die britische Kolonialmacht so bedeutsam?

Mühlhahn: Großbritannien suchte in Ostasien einen logistischen Stützpunkt. Zum einen ging es dabei um merkantile Interessen, aber auch um militärische Machtentfaltung. Beides zusammen sollte Großbritannien erlauben, in Ostasien sicher und erfolgreich Geschäfte zu machen – insbesondere mit der Einfuhr von indischem Opium.


Wie entwickelte sich Hongkong zu dem globalen Handels- und Finanzzentrum, wie wir es heute kennen?

Mühlhahn: Bis zum Zweiten Weltkrieg stand Hongkong stets im Schatten von Shanghai. Aber nach dem Zweiten Weltkrieg, nachdem Shanghai aufgrund des kommunistischen Sieges seine Funktion als Tor zum chinesischen Festland verloren hatte, flüchteten viele Unternehmer aus Shanghai nach Hongkong. Mit ihrer Ankunft begann der Aufschwung Hongkongs und die Entwicklung zu einem globalen Handels- und Finanzzentrum.

Im Jahr 1997 erfolgte die Rückgabe Hongkongs an die Volksrepublik China. Was ist von dem Erbe der britischen Kolonialherrschaft geblieben?

Mühlhahn: Das britische Erbe der Kolonialherrschaft ist in vielerlei Weise sichtbar und spürbar. Natürlich sind die Bauten der Kolonialzeit noch allgegenwärtig. Außerdem gibt es Institutionen, die während der Kolonialperiode entstanden und bis heute wirksam sind. Ich denke etwa an bestimmte Einrichtungen der Korruptionsbekämpfung oder der Regulierung – beispielsweise bei der Nahrungsmittelsicherheit. Im politischen Bereich spielen Institutionen der Kolonialzeit auch heute noch eine entscheidende Rolle, zum Beispiel in Form der starken Stellung der Regierungschefs, des Exekutivrats oder des Legislativrats.


Peking geht seitdem zunehmend radikal mit Hongkong um, hat dem Stadtstaat ein Sicherheitsgesetz aufgezwungen. Seither schrumpft die Autonomie der Sonderverwaltungszone, Peking unterdrückt die Opposition. Was hat die Volksrepublik mit Hongkong vor?

Mühlhahn: Der Wendepunkt kam um 2013, als Xi Jinping chinesischer Staatspräsident wurde. Die Regierung des Festlandes begann, sich stärker in Hongkong einzumischen. Sie war unzufrieden mit der Art, wie die Hongkonger Regierung mit den Protesten der Bürger umging; diese wiederum erlebten eine Hongkonger Regierung, die ihre Probleme nicht verstand – oder nicht bereit war, auf sie einzugehen. Die Situation spitzte sich immer weiter zu und mündete in die Proteste von 2014 und 2019. Die Volksrepublik hat vor allem Angst davor, dass aus Hongkong heraus sich in China eine Welle von Protesten und Rufen nach Freiheit ausbreiten könnte.


Hongkong hat in der Folgezeit für demokratische  Elemente gekämpft, die von chinesischer Seite auf wenig Gegenliebe gestoßen sind. Wie demokratisch war Hongkong?


Mühlhahn: Hongkong war nie richtig demokratisch. Während der britischen Kolonialzeit wurde der Hongkonger Bevölkerung eine echte Mitbestimmung verwehrt. Auch nach der Rückgabe an China konnten demokratische Institutionen und Verfahrensweisen nie wirklich an Effektivität und Legitimität gewinnen.

Hongkong ist zuletzt aus dem medialen Blickfeld geraten. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage in der Metropole ein?

Mühlhahn: Als Reaktion auf die Proteste 2019 hat die Regierung des Festlandes harte Maßnahmen gegen die Demokratiebewegung und gegen die freie Presse der Stadt ergriffen. Die im Juni 2020 erlassenen nationalen Sicherheitsgesetze sind sehr weit gefasst und bewusst vage. Sie verbieten Aufruhr, Subversion, Absprachen mit ausländischen Mächten und Terrorismus – aber es werden keine klaren Definitionen für diese Aktivitäten gegeben. Seit der Einführung des Gesetzes wurden mehr als hundert Menschen verhaftet, weil sie Protestparolen gerufen, vor Gericht geklatscht und die Reaktion der Regierung auf die Covid-19-Pandemie kritisiert hatten. Hunderttausende sind aus der Stadt weggezogen. Die Situation in Hongkong ist also sehr schwierig.


Ist es China gelungen, die von jungen Hongkongern ausgerufene Revolution erfolgreich zu unterbinden?

Mühlhahn: Man muss leider sagen: ja. Die Demokratiebewegung ist weitgehend zum Erliegen gekommen. Allerdings hat sich Hongkong in seiner Geschichte mehrfach neu erfunden. Oft wurde die Stadt für tot erklärt, aber sie ist immer wieder zurückgekommen. Ich würde die Kreativität und Resilienz Hongkongs nicht unterschätzen.


Die Proteste und Straßenkämpfe der vergangenen Jahre zeugen von gewachsenem zivilgesellschaftlichem und politischem Engagement. Lässt sie diese Tatsache hoffnungsvoll in Hongkongs Zukunft blicken?


Mühlhahn: Was die unmittelbare Zukunft Hongkongs – also die nächsten Jahre – angeht, bin ich eher pessimistisch. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Hongkong wie eine chinesische Stadt auf dem Festland wird: wirtschaftlich einigermaßen erfolgreich, aber politisch repressiv. Langfristig glaube ich aber, dass sich Hongkong nie völlig anpassen wird und der rebellische Geist der Stadt nicht dauerhaft unterdrückt werden kann.


Hongkongs Sonderstatus – unter anderem mit seiner eigenen Währung und einem kapitalistischen Wirtschaftssystem – läuft 2047 aus. Wie wird es mit dem Stadtstaat danach weitergehen?

Mühlhahn: Hongkong ist China wirtschaftlich weiterhin wichtig. Nur in Hongkong können chinesische Firmen Anteile ausgeben beziehungsweise ausländische Finanzierungen erhalten. Daher glaube ich, dass der Sonderstatus Hongkongs unter der Formel „Ein Land, zwei System“ beibehalten wird. Politisch wird das Festland aber seinen Griff wohl kaum lockern.

Zum Weiterlesen: Hongkong - umkämpfte Metropole von 1841 bis heute


Titelbild: 

| Yufeng Fei / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Bild im Text: 

| Bady Abbas / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

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