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Dr. Markus Rhomberg studierte nach dem Abitur zunächst Journalismus in Stuttgart und Weingarten. Danach folgten Studien der Politikwissenschaft, Theaterwissenschaft sowie Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Wien. Nach seiner Promotion arbeitete Rhomberg unter anderem in Friedrichshafen und Hamburg. 2010 kehrte Rhomberg an die Zeppelin Universität zurück und forscht aktuell zu öffentlichen Diskursen von Reformthemen oder der öffentlichen Kommunikation von Risiken.
Frank-Walter Steinmeier ist seit 2009 Vorsitzender der SPD-Fraktion im Bundestag und war von 2005 bis 2009 deutscher Außenminister. Der Jurist und Politikwissenschaftler startete seine politische Karriere in Niedersachsen und ist seit 1998 auf der Bundesebene aktiv. Vor seiner Ernennung zum Außenminister war er Chef des Bundeskanzleramtes und von 2007 bis 2009 auch Vizekanzler.
Steinmeier war Anfang Oktober zu Gast an der Zeppelin Universität. Er nahm am Fundraising Dinner der Zeppelin Universitätsgesellschaft e.V. (ZU|G) teil und hielt die Dinner-Speech mit dem Titel „Mut.Vernunft.Verantwortung: Europa am Scheideweg“.
Das Konzept der „imagined communities“ (vorgestellte Gemeinschaften) wurde 1983 von Benedict Anderson publiziert und entwickelt die These, Nationen seien gesellschaftlich konstruierte Gemeinschaften, die dadurch entstehen, dass ihre Mitglieder sich die Gemeinschaft vorstellen . Anderson äußert darin unter anderem, ein zentrales Moment bei der Entwicklung des modernen Staats und der Vorstellung einer nationalen Identität sei in den Prinzipien der Gleichzeitigkeit und der Vernetzung, die durch Medien geschaffen werden, verankert.
Juniorprofessor Markus Rhomberg wendet diese Theorie in seinem Artikel „Europa als ‚imagined community'?“ nicht mehr auf die Nationalstaaten, sondern auf die Europäische Union an. Er betont darin, die ursprüngliche Begrenzung auf bestimmte lokale Räume (eben etwa den Nationalstaat) sei heutzutage vernachlässigbar, stattdessen gebe es eine virtuelle Kopräsenz von Bürgern, die über Medienkommunikation in einen gemeinsamen Rahmen integriert werden.
Veröffentlicht wird sein Artikel 2013 in Filzmaier/Plaikner/Hainzl/Duffek (Hrsg.): „EU- Öffentlichkeiten", Wien, Facultas, (Edition netPOL – Politische Kommunikation).
Im Rahmen der Umgestaltung der Wirtschafts- und Währungsunion tritt EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy für eine verbindliche Umsetzung von Reformen in den 17 Euro-Ländern ein. Dies geht aus einem Vorbereitunsgpapier für ein Treffen des Europäischen Rates hervor, das der Süddeutschen und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorliegt. Konkret schlägt er vor, dass die jährlichen „länderspezifischen Empfehlungen" der Europäischen Kommission an die Euro-Länder verbindlich umgesetzt werden müssen. Bisher gilt dies nur für die Euro-Länder, die Geld aus dem Euro-Rettungsfond erhalten. Über den Vorschlag Van Rompuys soll bis Ende Dezember 2012 entschieden werden.
Die seit zwei Jahren anhaltende Krise macht laut Juniorprofessor Markus Rhomberg von der Zeppelin Universität vor allem eines deutlich: Das Fehlen einer europäischen Öffentlichkeit. Dieses stärke das bereits vieldiskutierte europäische Legitimationsdefizit noch weiter. Neben einem verhältnismäßig machtlosen Europäischen Parlament „ohne nennenswerte Rechte und Kompetenzen“ fehle ein Raum für Debatten und Einflussnahme der Bürger jenseits der politischen Arena. In seiner Forschung untersucht Rhomberg im Speziellen die Rolle der Medien für die Entstehung eines derartigen Raumes. Teile seiner Forschung erscheinen 2013 als Artikel zum Thema „Europa als ‚imagined community'?“ in der Publikation „EU-Öffentlichkeiten".
Rhomberg betont, die Agenda der wichtigsten Themen und die Diskussion darüber schaffe Gemeinschaft und könnte zum Kern der Europäischen Öffentlichkeit werden. Diese sieht er aber bereits durch die Wichtigkeit des Nationalstaates und die Sprachbarrieren eingeschränkt.
Auch Frank-Walter Steinmeier, SPD-Fraktionsvorsitzender und ehemaliger deutscher Außenminister, ist sich des Kommunikationsdefizits der EU und der unter anderem daraus resultierenden, fehlenden gemeinsamen Öffentlichkeit bewusst. Eine Basis für sie verortet er grundsätzlich in den gemeinsamen Werten, betont aber auch, diese Werte seien „überformt durch eigene historische Erfahrungen und Konflikte, die das Bewusstsein in den jeweiligen Mitgliedsstaaten unterschiedlich geprägt haben.“ Ein Auflösen dieser Unterschiede „sollte Europa gar nicht wollen“, so Steinmeier, „eine stärkere Debatte jenseits des Europäischen Parlaments und der Europäischen Räte brauchen wir trotzdem, und dazu müssen die Menschen mehr zueinander kommen.“
Von einer derartigen gemeinsamen Öffentlichkeit oder gar einer gemeinsamen Identität ist man in Europa allerdings noch weit entfernt. Neben den starken nationalen Identitäten sieht der SPD-Fraktionsvorsitzende weitere Hindernisse in den Sprachbarrieren und sozialen Ungleichheiten.
Juniorprofessor Rhomberg jedoch hält zumindest letztere nicht für entscheidend: Wichtig sind seiner Ansicht nach vor allem „Personen und Themen, um die Vorstellung einer europäischen Öffentlichkeit herzustellen.“ Die Themen seien seiner Meinung nach trotz der ungleichen Wohlstandsniveaus „durchaus vorhanden“, die EU habe jedoch „keine Köpfe, die für diese Themen stehen“. Durch das Fehlen von Symbolen einer kollektiven Identität sei zudem der Prozess der Identitätsfindung eingeschränkt. Gerade diese Symbole jedoch spielen laut Professor Dr. Benedict Andersons Konzept der „vorgestellten Gemeinschaften“, mit dem sich Rhomberg in seiner Forschung auseinandersetzt, eine entscheidende Rolle für das Entstehen einer gemeinsamen Öffentlichkeit.
Steinmeier weist nachdrücklich darauf hin, dass trotz dieses Defizits die Entwicklung der EU grundsätzlich positiv zu bewerten und schon weit vorangeschritten sei. Vor 20 Jahren habe er es „nicht erwartet, dass europäische Nationalstaaten bereit sind, überhaupt an Souveränität abzugeben, um über den Weg der Integration mehr Einheit in Europa zu erreichen“, so der ehemalige Außenminister. „Dieser Weg ist natürlich nicht zu Ende gegangen, sondern wir werden auch weiter bereit sein müssen, Europa zu stärken“, führt er aus und kritisiert die Rückschritte, die seiner Meinung nach die aktuelle Regierung zu verantworten habe: „Die Verpflichtung der europäischen Mitgliedsstaaten auf eine gemeinsame Haushalts- und Finanzpolitik ist in einem Strandspaziergang von Frau Merkel und Präsident Sarkozy zunichte gemacht worden. Jetzt versuchen wir mühsam, Teile davon zu retten.“ Das am vergangenen Donnerstag in der Süddeutschen Zeitung zitierte Arbeitspapier von Herman Van Rompuy, dem ersten ständigen Präsidenten des Europäischen Rates, das fordert, die Nationalstaaten zur verbindlichen Umsetzung der „landesspezifischen Empfehlungen“ zu verpflichten, beurteilt Steinmeier als „einen weiteren“ dieser Versuche.
Laut Steinmeier fehle es nicht an Köpfen und Kämpfern für die europäische Vision, er ist jedoch der Meinung, die Politik müsse „sich mehr bemühen, auch die Bürger zu überzeugen, dass wir trotz Krise den richtigen Weg beschritten haben.“
Überhaupt dürfte Europa trotz der kaum zu überwindenden Unterschiede und Schwierigkeiten alternativlos sein. Europa hat als Staatenverbund in der internationalen Gemeinschaft sowohl wirtschaftlich wie auch politisch ein enormes Gewicht, das für die Nationalstaaten längst unabdingbar geworden ist. Gerade Deutschland sieht Steinmeier dabei in einer besonderen Verantwortung: Es befände sich wirtschaftlich gesehen in einer „unwirklichen Insellage“, sei aber eben keine Insel. Da zwischen 60 und 80 Prozent der in Deutschland hergestellten Güter und Waren ins europäische Ausland gingen, sei es wie kaum ein anderes Land auf den europäischen Binnenmarkt angewiesen. Auch deshalb, betont Steinmeier, sei es schon in eigenem Interesse wichtig, sich nicht „ins nationale Schneckenhaus zurückzuziehen“. Diese Einsicht sei nicht neu und bleibe dennoch folgenschwer: „Es kann uns auf Dauer nicht gutgehen, wenn die gesamte europäische Nachbarschaft dahinsiecht“, so Steinmeier. Zum Erhalt der wirtschaftlichen Stabilität hält er ein weiteres ökonomisches Zusammenwachsen der europäischen Mitgliedsländer für unabdingbar: „Wir haben den Euro bei noch unvollständiger Wirtschafts- und Währungsunion eingeführt – und jetzt geht kein Weg daran vorbei: Wenn man die gemeinsame Währung halten will, dann muss dieses Defizit von damals aufgearbeitet werden.“
Gerade in diesen Zeiten der anhaltenden Krisenstimmung in Europa komme es darauf an, dass Politiker stärker erklären, was sie mit welchen Konsequenzen tun. Steinmeier lastet es der aktuellen Regierung an, nicht ausreichend kommuniziert zu haben, dass „der Weg aus der Krise nicht umsonst zu haben ist. Dass sie zu wenig darüber gesprochen hat, dass wir als stärkstes Exportland in Europa abhängig sind von einer wirtschaftlichen Stabilität innerhalb der gesamten Europäischen Union.“
Die Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit könnte das Ergebnis eines weiteren Zusammenwachsens sein, eigentlich ist sie aber schon Voraussetzung dafür, dass dieser Prozess überhaupt gelingt. Gemäß Markus Rhomberg kann nur sie „jenen politischen Raum integrieren, für den in den Entscheidungssystemen der EU Regelungen erlassen werden“.
Laut Steinmeier sei eine europäische Öffentlichkeit aber nicht nur demokratisch notwendig, sondern könne auch zu einem besseren Umgang mit europäischen Problemen beitragen: „Wir werden niemals völlig die gleichen Themen haben, aber wir haben ähnliche Themen, deren Lösung einfacher würde, wenn wir dazu eine gesamteuropäische öffentliche Diskussion hätten.“ Woran sie scheitern kann, ergänzt er selbst: „Damit das gelingt, muss Europa erfahren werden, und zwar nicht nur von den gesellschaftlichen Eliten, sondern auch von denjenigen, die nicht dazugehören oder sich nicht dazugehörig fühlen.“ Soziale Ungleichheiten würden sich nicht von selbst erledigen, sondern bräuchten politische Kräfte, denen bewusst sei, dass soziale Balance eine Voraussetzung nicht nur für die Demokratie, sondern auch für das Zusammenleben in Europa sei.
Bilder: Florian Gehm und Anna Staab