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Dr. Thomas Pfister forscht am European Center for Sustainability Research (ECS) der Zeppelin Universität. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Nachhaltigkeit, die er aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Dabei analysiert er die Fragen nach Vertrauen, Legitimität und Demokratie, sowie das Zusammenspiel zwischen Politik und Wissenschaft. Pfister promovierte 2007 in Belfast und arbeitet seit September 2011 an der Zeppelin Universität. Er leitet die Nachwuchsgruppe EnergyCultures und beschäftigt sich dort im Rahmen seiner Arbeit mit der wechselseitigen Verknüpfung von Energie mit gesellschaftlicher Ordnung und Kultur, der Suche nach nachhaltigeren Energiekulturen und der Frage, wie ein solcher kultureller Wandel beeinflusst werden kann.
Also, Herr Pfister, Sie leiten die EnergyCultures Nachwuchsgruppe. Lassen Sie uns zuerst über Inhalte reden. Welche thematischen Schwerpunkte bearbeiten Sie mit diesem Forschungsprojekt?
Dr. Thomas Pfister: Wir gehen davon aus, dass in unseren modernen Gesellschaften Energie und Kultur so eng und untrennbar miteinander verwoben sind, dass man Energiesysteme als „soziotechnische“ Systeme verstehen muss. Diese beruhen zum einen auf materiellen und technologischen Elementen wie Kraftwerken, Rohstoffen oder Leitungen. Zum anderen umfassen sie aber eben auch auf die Alltagsroutinen, Werte und Handlungen all derjenigen Menschen, die Energie erzeugen, handeln, regulieren, transportieren, oder auch einfach nur in ihrem Alltag verbrauchen. Insofern muss jede Transformation eines solchen soziotechnischen Energieregimes auch eine kulturelle Transformation sein – vor allem, wenn man dabei auch noch den Anspruch hat, als Gesellschaft insgesamt nachhaltiger zu werden. Das ist nicht einfach, da es keine technische Lösung gibt, bei der wir einfach so weitermachen können wie bisher nur, zum Beispiel mit Solarenergie. Stattdessen wird auf der Suche nach Nachhaltigkeit im Allgemeinen und nach einem nachhaltigeren Energiesystem im Speziellen gesellschaftliche Ordnung grundlegend neu verhandelt. Es steht außer Frage, dass solch ein gesamtgesellschaftlicher Suchprozess mit vielen Unbekannten konfrontiert und daher immens wissensintensiv ist. Das heißt, um alternative Energieregime überhaupt entwerfen und diskutieren zu können braucht man neben alternativen Technologien auch neue analytische und normative Orientierungsrahmen.
Pfister: Hiermit kommen wir zum eigentlichen Kern unseres Interesses - der Rolle der Wissenschaft in diesem Prozess. Als gesellschaftliche Institution, soll Wissenschaft einer Gesellschaft helfen – durch die Produktion adäquaten Wissens – Orientierung in einer komplexen Welt zu gewinnen und Probleme zu bearbeiten. In Deutschland und der EU werden hierzu große Forschungsförderprogramme aufgelegt, um die Transformation unserer Energiesysteme gezielt durch problemrelevante Forschung zu unterstützen.
In der EnergyCultures Nachwuchsgruppe stellen wir uns u.a. die Frage, welche Instrumente die Wissenschaften überhaupt zur Verfügung haben um so eine grundlegende Neuordnung zu initiieren, zu moderieren oder gar zu beeinflussen. Auf keinen Fall wird es eine Wissenschaft sein, die sich einfach hinstellt und so tut als gäbe es genau eine richtige Lösung, die man (d.h. meistens die Politik) nur umsetzen müsse. Auch die Hoffnung auf eine rein technische Lösung ist letztlich viel zu kurz gegriffen. Jede Technologie ist in einem speziellen soziokulturellen Kontext eingebettet und prägt diesen gleichzeitig. Radikal neue Technologien, verlangen auch neue sozio-kulturelle Bedingungen. Daher sind soziale Innovationen oft genauso wichtig wie technologische.
Pfister: Gleichzeitig gibt es aber auch eine ganze Menge neuer Experimente, wie wissenschaftliche Wissensproduktion für eine breitere Teilhabe der Bürger geöffnet werden kann. Vieles davon wird auch bereits in Forschungsprojekten, zum Beispiel zur Energiewende in Deutschland, angewandt und weiterentwickelt. Auch die EU hat für ihr neues Forschungsrahmenprogramm das Leitbild einer Wissenschaft in und für die Gesellschaft formuliert, die verantwortungsvoll Forschung und Innovation betreibt. Wir analysieren, wie Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen diese Vorgaben aufnehmen, umsetzen, und untersuchen mögliche Probleme aber auch neuartige Ansätze und Innovationen, die eine tiefere Auseinandersetzung mit Energietranformationen ermöglichen könnten. Auch wird Wissen schon lange nicht mehr nur in Universitäten und staatlichen Forschungsinstituten produziert, sondern auch in Think Tanks, Beratungsunternehmen oder auch von sozialen Bewegungen.
Machen Sie nun Energieforschung oder Wissenschaftsforschung?
Pfister: Vielleicht keine Energieforschung im herkömmlichen Sinne, aber wir spielen über Bande. Wir betrachten das Thema nachhaltiger Energietransformationen aus der theoretischen Perspektive der sozialwissenschaftlichen Wissenschafts- und Technologieforschung. Empirisch untersuchen wir dabei einerseits wissenschaftliche Akteure, die in nationalen und EU Forschungsprogrammen aktiv sind, andererseits betrachten wir aber auch alternative Wissensproduzenten wie NGOs, Think Tanks bis hin zu Ökodörfern, Transition Towns, Energiegenossenschaften und Umweltverbänden. Weder in Deutschland noch in der EU haben ja schon ein umfassend nachhaltiges Energiesystem, sondern nur ein paar Ansätze und potentielle Entwicklungspfade, die umstritten sind, bisweilen zueinander im Widerspruch stehen und somit auch ins Leere laufen können. Die Diskussion solch eines zukünftigen Energiesystems wird zuerst einmal anhand von theoretischen Konzepten, Szenarien, Modellen, Indikatoren und Zielvorstellungen geführt. Wissenschaftliche Akteure, Praktiken und Methoden spielen in diesem Zusammenhang natürlich eine besondere Rolle und werden mit besonderen Erwartungen konfrontiert.
Pfister: Gleichzeitig sind diese konzeptionellen Debatten durch und durch umstritten und daher politisch. Wenn es um Definitionsmacht, dominante Zukunftsvisionen und die Auseinandersetzung zwischen widerstreitenden Konzepten geht, geht es auch um Geld, Einfluss und potentielle Gewinner und Verlierer. Insofern kann man die Nachwuchsgruppe auf jeden Fall der Wissenschaftsforschung zuordnen - aber immer vor dem Hintergrund der Transformation von Energiesystemen.
Noch einmal: Energie zieht sich durch jeden noch so kleinen Teilbereich unserer Gesellschaft. Daher wird im Rahmen der Neuordnung unserer Energiesysteme auch unsere Gesellschaft neu geordnet - das bezieht die Rolle der Wissenschaft mit ein. Hier tut sich ein Spannungsfeld auf, das für eine nachhaltige Energietransformation absolut zentral und für uns unglaublich spannend ist.
Wie wir schon gehört haben führen Sie dieses Projekt nicht alleine durch, sondern sind Leiter einer Nachwuchsgruppe – um was handelt es sich bei diesem, für die ZU neuen, Format, wie sind sie an dieses Projekt gekommen?
Pfister: Im Rahmen einer Nachwuchsgruppe sollen besonders qualifizierte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen die Gelegenheit bekommen - schon unterhalb der Professur – selbständig und unabhängig zu arbeiten.
Die Gruppe wird vom Bundesministerium für Forschung im Rahmen im Rahmen seines Programms ‚Forschung für Nachhaltige Entwicklung’ finanziert. Das Projekt zu bekommen war zwei Jahre ziemlich harte Arbeit. Wir haben uns in einem sehr kompetitiven zweistufigen Antragsverfahren mit externer Begutachtung durchgesetzt. Dieses spezielle Förderformat gibt uns nun die Möglichkeit, bis zu fünf Jahre intensiv in diesem Team an unseren Themen zu arbeiten.
Neben mir besteht das Team noch aus den Promovenden Sarah Glück, Martin Schweighofer und Mirko Suhari, unserer Assistenz Janet Gauss, die einige ZUler sicher vom Check-In kennen, sowie bislang zwei wissenschaftliche Hilfskräften.
Was erwarten Sie sich für Ergebnisse?
Pfister: Zunächst einmal leite ich ein Forschungsprojekt, das wissenschaftliche Ergebnisse im klassischen Sinn erzielen soll. Hier erhoffen wir uns neue Erkenntnisse über Energietransformationen als gesamtgesellschaftliche Such- oder Verhandlungsprozesse, und über die Rolle von Wissen und den Möglichkeiten, nachhaltige Energietransformationen durch bestimmte Formen von Wissen zu initiieren und zu begleiten. In diesem Zusammenhang erwarten wir auch viele relevante Erkenntnisse über neue Möglichkeiten und Agenden für die Sozialwissenschaften. Neben den Forschungsergebnissen geht es bei unserer Arbeit insbesondere auch um die akademische Weiterqualifizierung, das heißt drei erfolgreiche Dissertationen. Auch für mich ist die Nachwuchsgruppenleitung ein reizvoller alternativer, sprich habilitationsäquivalenter, Weg, mich für eine Professur zu qualifizieren.
Schließlich sollen die Ergebnisse unserer Grundlagenforschung später auch in Angebote für die praktisch beteiligten Akteure umgesetzt werden. Zum Beispiel könnten wir Institutionen der Forschungsförderung dabei zu helfen, Ihre Programme enger auf die Charakteristiken und Herausforderungen der gesamtgesellschaftlichen Neuausrichtung von Energiesystemem abzustimmen und gezielter transformationsrelevantes Wissen nachzufragen.
Titelbild: Wes Iversen / flickr.com (CC BY 2.0)
Bilder im Text: Josephine Heather / flickr.com (CC BY-NC-SA 2.0),
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Andreas Fusser / flickr.com (CC BY-NC-SA 2.0),
EssentNieuws / flickr.com (CC BY-SA 2.0)
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm | Redaktion