ZU|Daily wurde in die Hauptseite in den Newsroom unter https://www.zu.de/newsroom/daily/ integriert. Die neuesten Artikel seit August 2024 werden dort veröffentlicht. Hier finden Sie das vollständige Archiv aller älteren Artikel.
Luise Heinz studierte Soziologie an der Technischen Universität Dresden, wo sie auch ihre Diplomarbeit zur "Soziologie des Flirts" schrieb. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich vor allem mit Prozessen der Veränderung von Rezeptionsverhalten sowie mit Intimsemantik. Seit Oktober 2014 ist sie an der Zeppelin Universität als Akademische Mitarbeiterin für den Lehrstuhl für Allgemeine Medien- & Kommunikationswissenschaft tätig und arbeitet zudem am DFG-Forschungsprojekt "Mediatisierte Medienrezeption" mit.
Frau Heinz, wieso haben Sie sich gerade für den Begriff „Liebe“ entschieden?
Dipl.-Soz. Luise Heinz: Der Begriff der „Liebe“ – vor allem in seinem Bezug auf Partnerschaft und die damit einhergehenden Phänomene und Probleme – ist mir in den letzten Jahren immer wieder begegnet. Zugegeben, dieser Satz könnte wohl von den meisten unterschrieben werden, aber die Liebe als soziologisches Problem zu begreifen, verändert die Perspektive auf dieses Phänomen dann doch geringfügig. Zudem passt der Begriff ganz fantastisch in die Vorweihnachtszeit, wenngleich ich vorwarnen sollte: Sobald sich Soziologen der Liebe annehmen, ist mit Entzauberung zu rechnen.
Inwiefern beschäftigen Sie sich in Ihrem Forschungsalltag mit Liebe?
Heinz: Liebe kommt in meiner Forschung zumeist als mit zu beachtende Variable vor. Ich verwende jedoch meist den eher unempathischen Begriff der Intimkommunikation und beschäftigte mich bislang vor allem mit konkreten kommunikativen Gattungen wie dem Flirt und der Koketterie – dabei kann es sich um semantische Ableger der Liebe handeln, muss es aber nicht.
Was bedeutet Liebe aus wissenschaftlicher Sicht?
Heinz: Da hat jede Disziplin sicherlich ihren ganz eigenen Zugang. Während die Psychologen Hirnaktivitäten messen und die Biologen Transmitter quantifizieren, halte ich es doch eher mit Luhmann, welcher ganz schnöde behauptet: Liebe ist kein Gefühl, es ist die Codierung von Intimität. Das mag beim Leser erst mal auf Widerstände treffen, da sich wohl niemand sein Gefühl einfach absprechen lassen möchte, jedoch gewinnt diese Behauptung an Plausibilität, wenn man sich vor Augen führt, dass „Liebe“ zu jeder Zeit in jedem Kulturkreis etwas anderes meint.
Es sind verschiedene Regeln und Verhaltensnormen, unterschiedliche Motive, Verbindlichkeiten und Lebensformen an diesen Begriff geknüpft.
So ist bekanntlich die Verbindung von romantischen Motiven mit der Ehe eine Erfindung der Neuzeit, trotzdem erscheint uns diese Form der Ehe ganz selbstverständlich. Dass in der Erfragung des Ehekonsenses („Ich will dich lieben, achten und ehren etc.“) die Liebe auftaucht, ist eine sehr moderne, evangelische Angelegenheit. Zuvor sollte dieser eher vor Zwangsheirat schützen und unter anderem ausschließen, dass einer der Beteiligten nicht im Vollbesitz seiner psychischen Urteilskraft in eine Sache reinschlittert, die erst mit dem Ableben ein weltliches Ende findet. Was Liebe ist, können wir nicht aus dem Gefühl heraus wissen, sondern wir deuten ein Gefühl aufgrund der Informationen, die uns unsere Umwelt zur Verfügung stellt – das können Bücher, Filme oder die Kommunikationen unserer Eltern sein. Liebe ist also stets zu einem gewissen Grad sozial determiniert und muss erlernt werden. Das ist natürlich nicht ganz einfach und höchst krisenanfällig. Sollte sich denn über Weihnachten eine solche Krise anbahnen, hilft es vielleicht zu erwähnen, dass das gängige Verständnis von Liebe auf einer Vielzahl von „unwahrscheinlichen“ Erwartungen beruht, die im Feiertagsstress auch mal erodieren oder enttäuscht werden können.
Nun haben Sie sich in Ihrer Diplomarbeit mit der „Soziologie des Flirts“ beschäftigt. Wie verändert eine wissenschaftliche Betrachtung die eigene Wahrnehmung von Liebe?
Heinz: Zugegeben, man neigt dazu, die Paarkommunikationen im eigenen Umfeld auf klassische Motive der Liebessemantik hin abzuklopfen. Das führt nicht immer zu Beifallsbekundungen, was vor allem daran liegen mag, dass das „Erlernen“ der Liebe und die mehr oder minder kopierte Wiedergabe dieser erlernten Motive, wie z.B. die Versicherung der Exklusivität durch das öffentliche Zurschaustellen von Intimität, selbst als Einschränkung ihrer Authentizität angesehen wird: Liebe als kulturell-semantisches Verhaltensmuster steht unter Spontanitätszwang, das Gefühl muss sich aus sich selbst begründen und die kommunikative Vermittlung des Gefühls muss dies glaubhaft wiedergeben. Diese eigentlich paradoxe Situation führt gern zu Unterstellungen a la: „Das machst/sagst du doch nur um ...“, also zu Zweifeln an den authentischen, handlungsbegründenden Gefühlen des Partners.
Wie hat sich Liebe in den letzten Jahren, Jahrzehnten und Jahrhunderten verändert? Welche Rolle spielt dabei beispielsweise das Internet?
Heinz: Die letzte Frage wüsste ich auch gern zu beantworten, da kann ich Ihnen in zwei Jahren vielleicht mehr verraten. Meine These ist jedoch, dass „traditionelle“ Motive bzw. Sinngebungen der „höchstpersönlichen“ Kommunikation nicht mehr primär orientierend wirken und sich bereits semantische Formen kristallisieren, die auf die Vervielfältigung medialer Übertragungswege reagieren. Die vielfältigen Zugänge zu intimen Kommunikationen im Virtuellen lassen vermuten, dass sich kein „programmatisch“ generalisierter Begriff von Liebe konstituiert, sondern eine Vielzahl von Begriffen und Ideen durch die heterogene Anwendung verschiedener „Semantikfragmente“ anschlussfähig gehalten werden. Soll heißen: Jeder mediale Übertragungsweg nötigt den Nutzern eigene Regeln auf – das betrifft natürlich schon den Brief oder das Telefon, durch das man sich schlecht zulächeln kann, jedoch vervielfältigen sich diese Formen gerade rasant. Auf WhatsApp gelten andere Kompensationsregeln der Kommunikation als auf Facebook oder Skype. Das finde ich spannend, ich will herausfinden, welche das sind und wie diese das Bild von Liebe verändern.
Was halten Sie von der Aussage, Liebe sei durch digitale Angebote wie Dating-Websites kommerzialisiert worden? Wie könnte sich dieser Trend weiterentwickeln?
Heinz: Ich denke mit dieser Aussage ist erst einmal nichts ausgesagt. Was soll das heißen? Die Verteilung von Liebe folgt den gleichen Regeln wie die Verteilung von materiellen Gütern? Will man durch Liebe ein „mehr“ an etwas anhäufen? War das nicht schon immer so, ist das nicht sogar ein zentrales Moment der Liebe oder kann man nicht vielleicht behaupten, es sei heute deutlich weniger der Fall als z.B. um 1900? Ich denke man verstellt sich den Blick mit solch polemisierenden Feststellungen. Interessanter fände ich die Frage, inwiefern sich Intimkommunikationen – um im Jargon zu bleiben - „bedarfsorientierter“, also spezialisierter zeigen und damit auf die Anforderungen einer hochdifferenzierten Gesellschaft reagieren. Am Beispiel von Dating-Websites wäre also zu Fragen: Reagiert das Angebot vorselektierter Lebenspartner nicht vielmehr auf zwangsläufig hochselektive Lebensentwürfe unter den Bedingungen von potentiell unendlichen Möglichkeiten?
Titelbild: Priscilla Tonon Ramos / flickr.com (CC BY-NC 2.0)
Bilder im Text: Isabelle the Dreamer / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)
Albert Palmer / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)
Redaktionelle Umsetzung: Felix Lennart Hake, Florian Gehm & Alina Zimmermann