ZU|Daily wurde in die Hauptseite in den Newsroom unter https://www.zu.de/newsroom/daily/ integriert. Die neuesten Artikel seit August 2024 werden dort veröffentlicht. Hier finden Sie das vollständige Archiv aller älteren Artikel.
Eva Katharina Zepp hat an der ZU Communication and Cultural Management und im Minor Public Management and Governance studiert. Anschließend absolvierte sie ihren Master an der University of St. Andrews (Schottland) im Studiengang Theology, Imagination and the Arts. Derzeit ist Zepp Doktorandin bei Professorin Dr. Karen van den Berg am Lehrstuhl für Kunsttheorie und Inszenatorische Praxis und forscht zum Thema Schularchitektur und Praktiken sozialer Teilhabe.
- Michel Foucault (1984): Von der Freundschaft als Lebensweise. Michel Foucault im Gespräch. Berlin: Merve.
- Doreen B. Massey (2005): For space. London: SAGE.
- Jan-Werner Müller: Populismus: Theorie und Praxis. In: „Merkur“, 8/2015, S. 28-37.
- Jan-Werner Müller (2015): Wir ohne die Anderen. Süddeutsche Zeitung. 28.01.2015.
Einen Tag lang verbrachte Chantal Mouffe, die an der University of Westminster in London lehrt, an der ZU. In unterschiedlichen Veranstaltungsformaten stellte sie ihr Modell der agonistischen Politik vor: ein konflikthaftes Verständnis von Politik, das sich gegen die Vorstellung richtet, dass Politik, wenn sie nur rationalen Argumenten folgt, notwendigerweise auf einen Konsens hinausläuft. Für Mouffe hingegen muss Politik auch mit dem Fortbestehen von unvereinbar widerstreitenden Positionen rechnen. Mehr noch: Sie geht sogar davon aus, dass erst aus der Auseinandersetzung unvereinbarer Positionen pluralistische Strukturen entstehen. Jede Demokratie sei darauf angewiesen, dass sich alternative Positionen ausbilden. Entscheidend sei dabei, dass sich unterschiedliche Lager nicht als Feinde, sondern als Gegenspieler verstehen.
Derzeit befänden wir uns in einer post-politischen Ära, in der zwischen Mitte-rechts und Mitte-links kaum mehr Unterschiede bestünden, und das TINA-Prinzip („There Is No Alternative“) allgegenwärtig scheint. Heute fehle es an einem Bewusstsein dafür, dass widerstreitende Positionen eine notwendige Grundlage für jede Demokratie sind. Eine post-politische Haltung sieht Mouffe vor allem durch den Umgang mit rechtspopulistischen Positionen bestätigt. Diese würden tabuisiert und außerhalb des legitimen politischen Raumes angesiedelt. Gerade dadurch aber gefährde man demokratische Strukturen. Es nütze nichts, Populismus aus dem Raum legitimer Politik zu verbannen. Vielmehr ginge es darum, ihm – auch wenn man die Position zutiefst missachte – auf Augenhöhe zu begegnen.
In der Woche nach den Anschlägen in Paris stieg die Anhängerzahl jener Partei, über deren populistisches Potential seit ihrer Gründung in Deutschland diskutiert wird, erneut an. Glaubt man den Statistiken, wäre die Alternative für Deutschland derzeit die drittstärkste Partei im Parlament. Umso wichtiger erscheine es daher, das Phänomen des Populismus kritisch zu durchleuchten. Man müsse genauer analysieren, wie es im Populismus zur Konstruktion eines „common will“ und eines gleichermaßen inkludierenden wie exkludierenden „Wir“ kommt.
Wer sich näher mit dem Thema Populismus auseinandersetzt, wird höchstwahrscheinlich auf die Arbeit des Politikwissenschaftlers Jan-Werner Müller aufmerksam, der an der Princeton University Politische Theorie und Ideengeschichte lehrt. In zahlreichen Aufsätzen plädiert er dafür, Populismus von Demokratie klar abzugrenzen. Seine Ausführungen dienen als theoretischer Rahmen, um die Theorie Mouffes anhand der aktuellen Ereignisse zu befragen.
Ebenso wie Mouffe behauptet Müller zunächst, dass der Ausgangspunkt für die Entstehung populistischer Strömungen die Wahrnehmung einer „Krise der Repräsentation“ sei. Ziel sei es daher, der politischen Klasse eine Alternative entgegenzusetzen. Während Mouffe jedoch – ganz in der Rolle der intellektuellen Aktivistin – sogleich in die genaue Beschreibung der politischen Ausrichtung einer solchen Alternative eintaucht, geht Müller noch einen Schritt weiter. Eine anti-elitäre Haltung sei zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Eigenschaft populistischer Rhetorik.
Schon als Mouffe im Seminar zu einer „construction of ‚Us‘ and ‚Them‘“ aufrief, wurde hinterfragt, wie genau diese Konstruktionsleistung aussehen könnte. Zeichnet sich Populismus nicht gerade durch eine vorschnelle Unterstellung eines „Wir“ aus, von dem angeblich vollkommen unstrittig ist, wen es einschließt und wen nicht? Genau an dieser Stelle knüpft Müller an. Wesentliches Merkmal des Populismus sei nicht nur eine anti-elitäre Haltung, sondern vor allem die Annahme, dass sich „das Volk“ als eine Einheit, ein bestehendes Faktum klar bestimmen ließe. Da ein authentischer Volkswille – auch Mouffe spricht von einem „common“ oder „collective will“ – vorliege, müsse dieser im Grunde nur noch abgelesen werden. In diesem Bewusstsein verfolgten Populisten stets den moralischen Anspruch, dass sie das wahre Volk „da draußen“ verträten. In der Praxis äußert sich dies beispielsweise in den jüngsten Aussagen Björn Höckes. In seinem vielbeachteten „Flaggen-Auftritt“ bei Günther Jauch behauptete er, dass „das Volk“ die „Notbremsung in der Asyl- und Einwandererpolitik“ auslösen werde oder diagnostizierte: „Dieses Volk hat Angst.“
Jan-Werner Müller stellt dem entgegen, dass sich ein klar abgrenzbares „Volk“ nach einem demokratischen Verständnis jedoch nicht fassen lasse. Zur Veranschaulichung dieses Phänomens hat Karen van den Berg in einem Vortrag auf dem diesjährigen Research Day auf die Gegenüberstellung des Begriffs „Volk“ mit dem Begriff „Bevölkerung“ verwiesen, mit der bereits Hans Haacke im Rahmen seines kontrovers diskutierten Kunstprojektes im Herzen des deutschen Reichstages arbeitete. Im Spannungsverhältnis zur Giebel-Inschrift des Reichstagsgebäudes („Dem deutschen Volke“) regt das Werk „Der Bevölkerung“ dazu an, einer exklusiven Vorstellung nationaler Identität kritisch zu begegnen. Das wilde Durcheinander der auf der Installation wachsenden Pflanzen, die sich gegenseitig ergänzen, überwuchern, verdrängen oder erneuern, skizziert eine Idee von Bürgerschaft als einen niemals enden wollenden, stets neu zu verhandelnden Prozess. Der Volkskörper nimmt demnach keine homogene, fixierte Form an, sondern hat einen beinahe amöbenartigen Charakter. Es ist voller „loose ends and ongoing stories“ , um ein Bild Doreen Masseys zu gebrauchen.
Fraglich ist nun jedoch, wie man diesem Volkswillen Gehör verschafft. So sehen Populisten ihre primäre Aufgabe darin, das Sprachrohr einer schweigenden Mehrheit zu sein. Höcke beharrte im besagten Auftritt beispielsweise darauf, dass die AfD „einem großen und wachsenden Teil der Bürger, die in Sorge sind […] um die Zukunft ihres Landes […] eine Stimme“ gebe. Daran zeigt sich zum einen, dass Populisten nicht grundsätzlich gegen Repräsentation sind, sondern nur gegen die amtierende politische Klasse als Volksvertreter. Dies bedeutet jedoch nicht – wie sie es behaupten – zwangsläufig mehr Teilhabe. Zu fragen wäre im Gegenteil, ob es nicht der Populismus selbst ist, der die Krise der Repräsentation noch verschärft. Denn zum anderen wird deutlich, dass das „Wir“ im populistischen Sinne sich selbst als ein unterdrücktes „Wir“ entwirft. Es erscheint nicht nur unmöglich, einen einzigen Volkswillen als evident auszuweisen, es ist darüber hinaus auch höchst fragwürdig, einen menschlichen Akteur auf die Funktion eines „Sprachrohrs“ zu reduzieren. Durch sein eingeschriebenes Selbst- und Weltverhältnis ist der Mensch immer auch Interpret von Ideen, Auffassungen und Interessen und in dieser Rolle – das beschreibt auch Müller – stets anfechtbar. Der Politiktheoretiker kommt daher zu dem Schluss, dass Populismus nicht nur anti-elitär, sondern anti-pluralistisch, ja sogar apolitisch sei. Er sei der „finstere Schatten“ der modernen repräsentativen Demokratie.
Hält man sich diese Einsichten vor Augen, stellt sich die Frage, ob Mouffes Äußerungen zum Populismus nicht zu kurz greifen. So blickt sie in ihrer Argumentation größtenteils auf die Außenperspektive von Populismus: Zwar mag eine binäre Codierung von „Wir“ und „Die“ auf einer zwischenparteilichen Ebene für eine Wiederbelebung einer politischen Streitkultur sorgen. Jedoch bleibt bei den Ausführungen Mouffes zweifelhaft, ob sich die angebliche Konstruktion eines „Wir“ nicht schon zuvor auf einer gewissermaßen innerparteilichen Ebene seiner demokratischen Grundlage entzieht. Denn was passiert im Inneren dieses „Wir“? Wie kommt es zustande? Und wovon muss man überzeugt sein, um an die Konstruktion dieses „Wir“ zu glauben?
Damit ist auch die Gegenspieler-Semantik skeptisch zu betrachten. Denn je klarer ein „Wir“ definiert wird, desto größer ist die Gefahr, dass ein Alleinvertretungsanspruch erhoben wird, im Sinne von „Wir – und nur Wir kennen den common will“. Die Wahrnehmung des „Die“ als Feind, den es zu bekämpfen gilt, wird durch den Populismus vielleicht gerade begünstigt.
Die Vorstellung, dem Rechtspopulismus einen Linkspopulismus entgegenzusetzen, ist deshalb wohl nicht in jeder Hinsicht überzeugend. Denkt man die Demokratie wie Mouffe als „Battlefield“, scheint der Populismus so etwas wie äußerste Grenzposten zu bilden. Diese widersprächen jedoch dem Verständnis einer multipolaren politischen Ordnung, für die sich Mouffe eigentlich einsetzt. Denn die Demokratie bewegt sich nicht in einem klar begrenzten Feld. Dieses Feld hat bewegliche Grenzen, die immer wieder neu umkämpft und verhandelt werden müssen. Durch sein anti-pluralistisches Potential scheint der Populismus diese Grenzen jedoch gerade zu verfestigen.
Vielleicht ist es an der Zeit eine räumliche Logik von dem „Schlachtfeld“ der Demokratie zu entwickeln, von einer simplen Logik von „links“ und „rechts“ hin zu einer mehrdimensionalen Vorstellung zu gelangen, die die Wahrnehmung eines „vorne“ und eines „hinten“ zulässt. Mouffes Überlegungen zu einem neuen „links“ oder „rechts“, das sich jeweils in einer „multiplicity of sites“ abspielt und ein Verständnis autonomer, in sich geschlossener sozialer Bewegungen überwindet, gilt es daher genauer zu betrachten.
Zunächst könnte es schon helfen, sich die Gefechtszone als runde Gefechtszone vorzustellen, innerhalb derer klare Grenzziehungen obsolet sind. Zu dieser Vorstellung gehört dann auch – und hier kommen wir Chantal Mouffe wieder näher –, dass wir populistische Strömungen vom Diskurs nicht ausschließen, so wie es beispielsweise einige Leute nach dem Auftritt Höckes gefordert haben. Denn dann würde man Populisten in ihrer Beanspruchung eines Interpretationsmonopols gar nicht so unähnlich. Möglicherweise kann man sich in den meisten Fällen auf einen scheinbar immanenten Widerspruch populistischer Strömungen verlassen. Denn auf dem Weg zu einem klar definierten „Wir“ können sie den eigenen Pluralismus oftmals nicht überwinden, sie scheitern an einer definierbaren Grenzziehung. So beginnen sie allmählich, sich von selbst aufzulösen.
Angesichts der Gefühlswelt, auf die sich Mouffe immer wieder bezieht, ist es vielleicht gestattet etwas pathetisch zu schließen, und zwar mit einer „Moral des Unbequemen“, die Michel Foucault formuliert: „[...] es sich niemals erlauben, sich mit seinen eigenen Gewissheiten und Evidenzen bequem einzurichten; […] Darin liegt eine ganze Ethik der Evidenz, die nie einschläft. Sie schließt nicht etwa eine Ökonomie des Wahren oder Falschen aus, aber sie geht auch nicht in dieser auf.“
Titelbild: Louish Pixel / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)
Bilder im Text: ABC / Zeppelin Universität
Marc Oliver John / flickr.com (CC BY-NC-SA 2.0)
Screenshot / ARD
James Rea / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)
Beitrag (redaktionell unverändert): Eva Katharina Zepp
Redaktionelle Umsetzung: Alina Zimmermann und Florian Gehm