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Lisbeth Zimmermann, geboren in Oldenburg, studierte nach dem Abitur am Spessart-Gymnasium in Alzenau (Bayern) Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin mit einem Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes. Ihr weiterer wissenschaftlicher Weg führte sie im Rahmen des Exzellenzclusters „Herausbildung normativer Ordnungen“ jeweils als Promotionsstipendiatin an die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, die Technische Universität Darmstadt sowie an das Leibniz-Institut HSFK. Für ihre Arbeit zu „Global Norms with a Local Face? The Interaction of Rule of Law Promotion and Norm Translation in Guatemala“ wurde sie an der TU Darmstadt promoviert und von der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Lateinamerikaforschung für ihre „herausragende Dissertation“ ausgezeichnet. Aufenthalte als Gastforscherin führten sie u.a. an die Elliott School of International Affairs an der George Washington University in Washington D.C. und an das Department of Political and Social Sciences des European University Institute in Florenz. Außerdem war Zimmermann Sprecherin der Nachwuchsgruppe der Sektion „Internationale Politik“ der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft und Stipendiatin des Programms „Fast Track: Exzellenz und Führungskompetenz für Wissenschaftlerinnen auf der Überholspur“ der Robert Bosch Stiftung. Seit 2015 ist Lisbeth Zimmermann Leiterin des von der DFG geförderten Projektes „Internationale Normen im Streit. Kontestation und Normrobustheit“ am Leibniz-Institut HSFK. Lisbeth Zimmermanns Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen aktuelle Herausforderungen einer multilateralen Weltordnung, Internationale Organisationen, Normen in den internationalen Beziehungen, Demokratie- und Rechtstaatlichkeitsförderung sowie Peacebuilding.
Können Sie kurz Inhalt, Ziel und Vorgehensweise des neu gestarteten Forschungsprojekts erklären?
Prof. Dr. Lisbeth Zimmermann: Das Projekt soll erforschen, unter welchen Bedingungen internationale Organisationen (IOs) ihre Politik ändern, wenn sie von Politikbetroffenen kritisiert werden. Eine Bewegung von Kinderarbeitern aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt kämpfte beispielsweise in den vergangenen 20 Jahren dafür, dass internationale Organisationen das internationale Kinderarbeitsverbot weniger streng auslegen. Wann lassen IOs solche Kritik an ihrer Politik abprallen, wann lässt sich Politikwandel beobachten?
Eine weitverbreitete These ist, dass internationale Organisationen bürokratische Kolosse seien, in denen Außeneinflüsse durch eine hierarchische Kultur und rigide Organisationsstrukturen gefiltert werden. Zivilgesellschaftlicher Protest gegen von IOs vertretene Normen werde zwar oft rhetorisch und prozedural aufgenommen, führe aber selten zu tiefgreifendem Politikwandel in internationalen Organisationen – IOs sind also „geschlossene Organisationen“, in denen von der Kritik Politikbetroffener eher wenig ankommt.
Aktuelle Forschung beschreibt IOs dagegen als „offene Organisationen“. Durch Reformen im Bereich des New Public Managements würden Organisationskulturen und -strukturen zunehmend durchlässiger und ihre formalen „Grenzen“ spielten immer weniger eine Rolle. Stattdessen kämpften bereichsspezifisch professionelle Netzwerke in internationalen Organisationen um Kontrolle und ihr jeweiliger Einfluss präge das Verhalten internationaler Organisationen. Zivilgesellschaftlicher Protest, das wäre die abgeleitete These, scheitert nicht an der bürokratischen Kultur, sondern muss Unterstützung bei durchaus innovationsfreudigen professionellen Netzwerken generieren, um IOs zu beeinflussen.
Wir untersuchen, welches Modell auf internationale Organisationen eigentlich besser zutrifft und ob diese Unterscheidung erklären kann, wann wir Politikwandel beobachten oder nicht. Wir vergleichen dafür Reaktionen von ILO (Internationale Arbeitsorganisation), UNICEF, UNODC (Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung) und WHO in verschiedenen Politikbereichen auf die Kontestation ihrer Politik durch Betroffenengruppen: Drogenbekämpfung, Kinderarbeit, Menschenschmuggel und weibliche Genitalverstümmelung.
Welche Kriterien waren bei der Auswahl der zu untersuchenden internationalen Organisationen von besonderer Bedeutung?
Zimmermann: Das war ein sehr komplexer Prozess. Zu Politikwandel in internationalen Organisationen gibt es ja keine quantitativen Datensätze. Wir mussten also ausführlich recherchieren und brauchten natürlich Fälle, wo wir unterschiedliche Reaktionen auf Kritik von Politikbetroffenen beobachten konnten – zum Beispiel recht viel Entgegenkommen bei UNICEF beim Thema Kinderarbeit oder sehr langsames, eingeschränktes Entgegenkommen bei UNODC beim Thema Menschenschmuggel. Gleichzeitig musste es in den Fällen ähnliche Kritik durch Betroffenengruppen geben. Wir haben nach Fällen in verschiedenen Politikbereichen gesucht, in denen auch jeweils unterschiedliche internationale Organisationen aktiv sind – zum Beispiel UNODC und WHO beim Thema Verbot von Drogenkonsum und -handel oder ILO und UNICEF beim Verbot von Kinderarbeit.
Wie muss man sich die Beeinflussung von internationalen Organisationen durch professionelle Netzwerke vorstellen?
Zimmermann: Auch internationale Organisationen haben sich auf Druck ihrer Mitgliedstaaten in den vergangenen 20 Jahren verändert: Es gibt oft viel weniger entfristete Stellen, stattdessen hüpfen Mitarbeiter auf Kurzzeitverträgen von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz – oder Consultants werden beauftragt, neue Themenfelder zu erschließen. IO-Mitarbeiter bilden also weniger eine Identität in der Organisation aus, sondern sind eher in ihre eigenen Netzwerke hinein sozialisiert – Netzwerke, die an ähnlichen Themenstellungen arbeiten wie etwa Peacebuilding oder Finanzmärkte. Man arbeitet also vielleicht ein paar Jahre für den IWF, dann für die Weltbank, bei einer privaten Consulting oder für eine NGO – das Netzwerk von Menschen mit ähnlicher Expertise bleibt aber stabil und versucht, die eigenen Themen in unterschiedlichen internationalen Foren einzubringen.
Ob wir da aber Unterschiede sehen, ob manche Organisationen eher wie geschlossene Bürokratien funktionieren und manche eher netzwerkbasiert, das müssen wir im Projekt erst noch erforschen.
Kann eine solche Beeinflussung auch eine Gefahr für die von den jeweiligen Organisationen vertretenen Normen bedeuten?
Zimmermann: Auch das gilt es zu erforschen. Zunächst wäre es ja gut, wenn internationale Organisationen legitime Kritik auch aufnehmen und sich wandeln, denn es muss ja auch Innovationskraft im globalen Regieren geben. Schlecht wäre gleichzeitig, wenn die eigentlich bestehenden, legitimen Entscheidungsstrukturen in den Organisationen ausgehöhlt werden und informelle Netzwerke quasi diktieren, was internationale Organisationen tun, ohne dass es irgendeine Form der Kontrolle oder Rechenschaftspflicht gibt.
Können sie an einem Beispiel aus der Vergangenheit veranschaulichen, wie ein Politikwandel durch die Kritik Betroffener erfolgt ist?
Zimmermann: Ich habe ja bereits die Kinderarbeiterbewegung erwähnt. Seit den 1990er Jahren versuchen sich Kinderarbeiter, zum Beispiel in Südamerika oder Afrika, in Gewerkschaftsstrukturen auch über Länder hinweg zusammenzuschließen. Sie kämpfen für ein Recht auf Arbeit – weil sie damit Familieneinkommen unterstützen können, weil sie damit an Status in ihren Gesellschaften gewinnen. Sie argumentieren, dass ein strenges Verbot sie nicht schützt, sondern ihre Arbeit kriminalisiert und ihnen den Rechtsschutz nimmt, sich gegen Ausbeutung und unfaire Behandlung zu wehren. In der ILO herrschte aber immer eine westliche Sicht auf Kindheit vor: Kinder sollen spielen und in die Schule gehen und etwas lernen; Arbeit ist für Kinder schlecht und Kinderarbeiter nehmen zudem Erwachsenen die Arbeit weg. Auch im Rest der Welt sollte Kinderarbeit also möglichst umfassend verboten sein. Hier gab es aber ein Umdenken, die ILO konzentriert sich in ihrer Arbeit heute vor allem auf die schlimmsten Formen der Kinderarbeit – trotzdem hat sie das Ziel der Abschaffung von Kinderarbeit beibehalten.
Internationale Organisationen wie die WHO der UNICEF sind für die Bevölkerung ganz stark mit dem Einsatz für bestimmte Normen verbunden. Ist es für den Erhalt dieser Organisationen nicht auch gefährlich, die Gestalt ihrer Normen über die Zeit stark zu verändern?
Zimmermann: Gesellschaften verändern sich über die Zeit und unsere Interpretation ihrer Regeln verändert sich ebenfalls. Beispielsweise finden wir heute, dass die Gleichheit der Geschlechter beinhaltet, dass wir mit aktiven institutionellen Gleichstellungsmaßnahmen für eine Gleichheit, beispielsweise im Universitätskontext, arbeiten müssen. Das war vor 50 Jahren noch nicht der Fall. So ist es auch im internationalen Kontext. Unsere Interpretation von Kinderrechten ist heute anders als vor 50 Jahren; und sie mag anders ausfallen, ob ich im Süden Indiens lebe, in Bolivien, in den USA (übrigens der einzige UN-Mitgliedsstaat, der die Kinderrechtskonvention nicht unterschrieben hat) oder in Deutschland. Früher dachten viele internationale Organisationen, sie können internationale Rechte mit der „one size fits all“-Methode verbreiten. Heute sind sie sensibler für lokale Interpretationen solcher Normen geworden und die Belange von Betroffenen. Diese Vielfalt zu erhalten, aber trotzdem die Aushöhlung zentraler internationaler Schutznormen zu bewahren, ist sicher eine der großen Herausforderungen im globalen Regieren.
Welchen praktischen Nutzen könnten Organisationen aus Ihrer Forschung ziehen?
Zimmermann: Wir hoffen, besser zu verstehen, wie internationale Organisationen eigentlich funktionieren. Sind internationale Organisationen also reflexive Bürokratien, die sich wandelnden Legitimitätsforderungen im globalen Regieren anpassen und die globale Normen mit pluralen Wertevorstellungen verbinden können? Oder prallt Kritik an ihnen ab, sodass sie statt positiver Menschenrechtsverbreiter inzwischen Homogenisierer oder Machtakkumulierer sind? Welche Veränderungen sind in diesem Fall eventuell vonnöten, für die sich Staaten und zivilgesellschaftliche Gruppen einsetzen sollten? Lösen sich ihre Grenzen zudem auf, indem sie zunehmend von Expertennetzwerken gesteuert werden, die nicht rechenschaftspflichtig sind? Und wie können wir hier besorgniserregende Entwicklungen aufhalten? Erkenntnisse aus dem Projekt zu diesen Fragen sind dann natürlich auch für die Politik relevant.
Titelbild:
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Redaktionelle Betreuung und Umsetzung: Florian Gehm