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Privatdozent Dr. Marcel Kau, LL.M. (Georgetown), hat sich 2013 an der Universität Konstanz im Öffentlichen Recht sowie im Völker- und Europarecht habilitiert und seit dem unter anderem in Berlin und München Vorlesungen gehalten, sowie eine Professur für Staats- und Verwaltungsrecht vertreten. Seit 2012 kommt er regelmäßig für Lehraufträge an die Zeppelin Universität und bietet Seminare und Vorlesungen im Öffentlichen Recht, Verwaltungsrecht, Europäischen Gemeinschaftsrecht oder Völkerrecht an.
Großes mediales Aufsehen erregte der griechische Vize-Finanzminister Dimitris Mardas, als er vor wenigen Tagen die noch ausstehende Forderungen Griechenlands gegen Deutschland auf den Betrag von 278,7 Milliarden € bezifferte. Aus der Perspektive des Völkerrechts ist bereits die Frage nach der Bezeichnung dieser Geldforderung von großer Bedeutung: Denn so weit von „Reparationszahlungen“ die Rede ist, beziehen sich diese auf die Begleichung unmittelbar durch die Geschehnisse eines Krieges verursachte Schäden, während der Begriff „Entschädigungen“ insbesondere im Hinblick auf typisch nationalsozialistische Unrechtstaten und im Hinblick auf die bei einzelnen Personen verursachte Schäden verwendet wird. Auf den ersten Blick mag hierin eine rechtliche Spitzfindigkeit liegen oder sogar bloß ein „juristischer Trick“, wie der griechische Ministerpräsident Tsipras mutmaßt. Wenn die damit verbundenen Fragen jedoch nach rechtlichen Beurteilungsmaßstäben behandelt werden sollen, ist es unvermeidlich, sich auch an den terminologischen und inhaltlichen Festlegungen des Völkerrechts zu orientieren. Schließlich muss sich ein Staat, der sich auf den Standpunkt stellt, er besäße einem anderen Staat gegenüber einen Anspruch auf Leistung, nach dessen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen fragen lassen.
Zunächst ist heute davon auszugehen, dass nach einer erkannten Bestimmung des Völkerrechts ein geschädigter Staat von einem dafür verantwortlichen Staat für erlittene Schäden einen finanziellen Ausgleich fordern kann. Im Anschluss an Urteile des ständigen Internationalen Gerichtshofs im Chorzów-Fall (1928) sowie des Internationalen Gerichtshofs zum Gabcíkovo-Nagamaros-Projekt (1997), wird dieser Anspruch gegenwärtig überwiegend aus dem Völkergewohnheitsrecht abgeleitet. Allerdings war dies im Hinblick auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs und die Nachkriegszeit durchaus umstritten. So hat insbesondere Alfred von Verdross den „Wiedergutmachungsanspruch“ zwar aus dem Völkergewohnheitsrecht abgeleitet. Im Gegensatz hierzu sah etwa Hans Kelsen hierfür eine vertragliche Vereinbarung als erforderlich an. Die vertragliche Praxis nach dem Ersten Weltkrieg und auch später geschlossene Abkommen sprechen eher für letztere Rechtsauffassung. Ungeachtet der Frage, worauf sich ein Anspruch auf Reparationen im Einzelnen zurückführen lässt, gibt es jedoch Hinweise, dass ein solcher Anspruch – selbst wenn er ohne ausdrückliche vertragliche Vereinbarung bestanden hätte – mittlerweile erfüllt wurde und daher von Rechts wegen nicht erneut eingefordert werden könnte.
Die ersten Vereinbarungen über die Frage von Kriegsreparationen datieren zurück auf die Jahre 1945 und 1946 und betrafen mit dem „Deutschen Reich“ einen Staat, der zu diesem Zeitpunkt seine völkerrechtliche Handlungsfähigkeit eingebüßt hatte. Im Hinblick auf Reparationszahlungen ist vor allem das Pariser Abkommen (14. Januar 1946) relevant, auf dessen Grundlage deutsche Vermögenswerte aufgestellt und nach einem im Abkommen vorgesehenen Verteilungsschlüssel an die begünstigten Staaten auskehrt wurden. Der griechische Anteil lag hierbei bei 2,7 % bzw. 4,35 %, während beispielsweise auf Frankreich ein Anteil von 16 % bzw. 22,8 % entfielen. Obwohl das Londoner Schuldenabkommen
(27. Februar 1953) sich nicht in erster Linie mit Reparationsfragen befasste, war darin vorgesehen, dass aus dem Zweiten Weltkrieg herrührende Forderungen zurückgestellt werden. Eine endgültige Regelung konnte nach damaliger völkerrechtlicher Anschauung nur im Rahmen eines Friedensvertrages mit Gesamtdeutschland erfolgen.
Daher trat die Reparationsfrage zunächst zurück und die Bundesrepublik Deutschland vereinbarte zwischen 1958 und 1964 mehrere sog. Globalabkommen, von denen das mit Griechenland am 18. März 1960 abgeschlossen wurde und eine Zahlung von 115 Mio. DM vorsah. Gegenstand des Abkommens waren Entschädigungen für „typisch nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen“. Im Gegenzug zu den geleisteten Zahlungen blieb die Bundesrepublik fortan von weiteren Forderungen verschont. Zwar waren mit den Globalabkommen keine individuellen Leistungen an Einzelpersonen verbunden, es entsprach jedoch der damals weitgehend unangefochtenen völkerrechtlichen Doktrin der „Mediatisierung des Einzelnen“, dass die Zahlung an den jeweiligen Heimatstaat geleistet wurde, der die entstandenen Schäden an Leben, Körper oder Gesundheit seiner Staatsangehörigen zu befriedigen hatte.
Die Reparationsfrage erlangte erst wieder mit der Vollendung der deutschen Einheit und dem Abschluss des sog. „Zwei-plus-Vier Vertrags“ (12.9.1990) Aktualität. Indem die Vertragsstaaten jedoch keinerlei Regelung über Reparationen der ehemaligen Kriegsgegner in das damalige Vertragswerk aufnahmen, wurde auf internationaler und völkerrechtlicher Ebene davon ausgegangen, dass das wiedervereinigte Deutschland keine über die früheren Regelungen hinausgehenden Reparationen zu leisten hätte. Auf dieser Grundlage haben in den vergangenen Jahren sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der Bundesgerichtshof die Klagen ausländischer Staatsangehöriger auf Leistung von Reparationen oder Entschädigungen gegen die Bundesrepublik Deutschland abgewiesen. Nach dem Urteilsspruch des Internationalen Gerichtshofs aus dem Jahr 2012 war schließlich auch im Ausland gegen die Bundesrepublik eingereichten Klagen wegen der Staatenimmunität kein Erfolg beschieden. Es erscheint auch wenig wahrscheinlich, dass der IGH sein erst drei Jahre altes Grundsatzurteil in nächster Zeit revidieren und Klagen gegen die Bundesrepublik Deutschland vor ausländischen Gerichten als zulässig einstufen wird.
Nach alledem zeigt sich, dass es für die griechischen Forderungen gegen die Bundesrepublik Deutschland an belastbaren Rechtsgrundlagen fehlt. Einerseits sind Entschädigungen für „typisch nationalsozialistisches Unrecht“ durch das Abkommen von 1960 abgegolten. Andererseits können Reparationen jenseits des Pariser Abkommen von 1946 nur auf ausdrücklicher vertraglicher Grundlage gefordert werden. In Ermangelung eines solchen Abkommens ist davon auszugehen, dass die Frage der Reparationen für Schäden, die aus Ereignissen des Zweiten Weltkriegs herrühren, aus völkerrechtlicher Perspektive ihre Erledigung gefunden hat. Nicht zuletzt die Bundesregierung hat darauf hingewiesen, dass mit Reparationen üblicherweise unmittelbare Kriegsschäden reguliert werden und dass – nunmehr 70 Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs – keine belastbaren Anknüpfungspunkte für tatsächliche Kriegsfolgeschäden zu erkennen seien.
Unabhängig von völkerrechtlichen Gegebenheiten stünde es der Bundesrepublik Deutschland zwar aus moralischen oder sonstigen politischen Erwägungen grundsätzlich frei, mit Griechenland ein Entschädigungs- oder Reparationsabkommen abzuschließen. In diesem Fall bestünde jedoch eine große Wahrscheinlichkeit, dass zahlreiche weitere Staaten auf den Abschluss entsprechender (weiterer) Reparations- und Entschädigungsabkommen dringen würden. Im Ergebnis spricht daher die von einer solchen freiwilligen Vereinbarung ausgehende Präjudizwirkung gegen den Abschluss eines Leistungsabkommens zwischen Deutschland und Griechenland.
Titelbild: Bernard Forand / flickr.com (CC BY-NC-SA 2.0)
Bilder im Text: "Alexis Tsipras3" by Lorenzo Gaudenzi - Own work.
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Moyan Brenn / flickr.com (CC BY 2.0)
Beitrag (redaktionell unverändert): PD Dr. Marcel Kau
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm & Alina Zimmermann