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Alexander Eisenkopf studierte Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Nach seiner Promotion über Just-in-Time-orientierte Fertigungs- und Logistikstrategien arbeitete und lehrte Eisenkopf in Gießen und Frankfurt. Seit 2003 ist Eisenkopf Professor an der Zeppelin Universität und Gastdozent an der Wiener Wirtschaftsuniversität. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem auf Mobilität und Transportunternehmen.
„Ich bin bestürzt über das, was in den vergangenen Tagen geschehen ist. Vor allem bin ich fassungslos, dass Verfehlungen dieser Tragweite im Volkswagen Konzern möglich waren.
Als Vorstandsvorsitzender übernehme ich die Verantwortung für die bekannt gewordenen Unregelmäßigkeiten bei Dieselmotoren und habe daher den Aufsichtsrat gebeten, mit mir eine Vereinbarung zur Beendigung meiner Funktion als Vorstandsvorsitzender des Volkswagen Konzerns zu treffen. Ich tue dies im Interesse des Unternehmens, obwohl ich mir keines Fehlverhaltens bewusst bin.
Volkswagen braucht einen Neuanfang – auch personell. Mit meinem Rücktritt mache ich den Weg dafür frei.
Mein Antrieb war es immer, dem Unternehmen, vor allem unseren Kunden und Mitarbeitern zu dienen. Volkswagen war, ist und bleibt mein Leben.
Der eingeschlagene Weg der Aufklärung und Transparenz muss weitergehen. Nur so kann wieder Vertrauen entstehen. Ich bin überzeugt, dass der Volkswagen Konzern und seine Mannschaft diese schwere Krise bewältigen werden."
Einen neuen Präzedenzfall für den in unserer schnelllebigen Medienwelt mittlerweile gängigen Empörungsjournalismus liefert der Skandal um manipulierte Abgastests von Diesel-Pkw der Marke Volkswagen in den USA. Bevor der Umfang der Betrügereien überhaupt in Ansätzen bekannt war, forderte der sogenannte Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer den Kopf von Martin Winterkorn. Jakob Augstein hetzt auf SPIEGEL ONLINE über den VW-Konzern und vergleicht dabei Kapitalismus mit organisierter Kriminalität. Und grüne Politiker und Umweltorganisationen wittern ihre Chance, die gesamte Automobilindustrie in die Schmuddelecke zu stellen, um das Auto als nach wie vor verhasstes Sinnbild individueller Mobilität zu diffamieren.
In der Tat ist Ungeheuerliches geschehen. Ein urdeutscher Konzern mit 200 Milliarden Umsatz und weltweit fast 600.000 Beschäftigten hat in betrügerischer Weise bei der Prüfung der Abgasgrenzwerte von Millionen Diesel-Pkw manipuliert und Zulassungsbehörden und Kunden vorsätzlich getäuscht. Dies kann man nur als bandenmäßige Kriminalität bezeichnen. Man ist zu Recht geschockt und fragt sich, was im Zuge dieses Skandals noch so alles an Unappetitlichkeiten herauskommen wird.
Die wirtschaftlichen und sonstigen Folgen dieses „Dieselgate“ sind derzeit unabsehbar. Volkswagen sieht sich mit Milliardenbelastungen durch Strafzahlungen, Schadenersatzforderungen und Absatzeinbußen aufgrund von Imageschäden konfrontiert. Es wird sogar befürchtet, dass die Automobilindustrie insgesamt und die deutsche Wirtschaft Wachstumseinbußen hinnehmen müssen. Sicher ist auf jeden Fall ein weiterer Vertrauensverlust unseres marktwirtschaftlichen Systems.
Der Shitstorm zu Volkswagen und die ohnehin verhasste Figur des millionenschweren VW-Chefs Winterkorn hat in den Medien kurzfristig den Willkommenshype für Flüchtlinge abgelöst. Die Story bietet Chancen für Schlagzeilen, dass der Kapitalismus wieder einmal versagt habe und systemimmanente moralische Verderbtheit und Gier uns nach der Banken- und Eurokrise erneut in den Abgrund führten. Das ist jedoch Kapitalismus-Bashing pur, verbunden mit ideologisch motivierten Interventionsphantasien. Offensichtlich funktioniert aber doch die Logik des Kapitalismus: Volkswagen wird für sein Fehlverhalten vom Markt – und vom Staat – in aller Härte und gnadenlos bestraft. Der Börsenkurs ist abgestürzt, Köpfe rollen, die Staatsanwaltschaft ermittelt, und es wird diskutiert, ob die Haftpflichtversicherungen der betroffenen Manager ausreichend hoch sind. Jetzt den Untergang des „Made in Germany“ heraufzubeschwören und eine ganze Industrie und unser Wirtschaftssystem in Misskredit zu bringen, könnte am Ende mit zu einer „self-fulfilling prophecy“ beitragen.
Wichtig wäre ein nüchterner und sachorientierter Blick auf einige Hintergründe, der durch den allgegenwärtigen Empörungsjournalismus derzeit weitgehend verhindert wird. Dabei fallen folgende Punkte auf:
Es bleibt zu hoffen, dass Volkswagen die gegenwärtige Krise als Chance zur Katharsis nutzt und sich im Interesse von Mitarbeitern, Eigentümern, Lieferanten und der Gesellschaft insgesamt grundlegend erneuert. Dazu gehört auch, dass größenwahnsinnige Phantasien, größter Automobilhersteller der Welt zu werden, erst einmal ausgeträumt sind.
Titelbild: JT / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)
Bild im Text: Kārlis Dambrāns / flickr.com (CC BY-NC 2.0)