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Automatisiertes Fahren

Erst am 35. Mai?

von Prof. Dr. Alexander Eisenkopf | Zeppelin Universität
29.10.2015
Es steht zu erwarten, dass die menschlichen Fähigkeiten zur sicheren Beherrschung eines Fahrzeugs mit der zu erwartenden fortschreitenden Nutzung der Automatik abnehmen und daher nicht mehr ausreichen werden, um extrem komplexen Fahrsituationen zu begegnen.

Prof. Dr. Alexander Eisenkopf
ZEPPELIN-Lehrstuhl für Wirtschafts- & Verkehrspolitik
 
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    Zur Person
    Prof. Dr. Alexander Eisenkopf

    Alexander Eisenkopf studierte Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Nach seiner Promotion über Just-in-Time-orientierte Fertigungs- und Logistikstrategien arbeitete und lehrte Eisenkopf in Gießen und Frankfurt.
    Seit 2003 ist Eisenkopf Professor an der Zeppelin Universität und Gastdozent an der Wiener Wirtschaftsuniversität. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem auf Mobilität und Transportunternehmen.  

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    Factbox
    Der 35. Mai: Oder Konrad reitet in die Südsee

    Erich Kästner (Autor), Horst Lemke (Illustrator)
    dtv Taschenbuch, Mai 2004 (Erstausgabe 1931)
    ISBN-10: 3423708425
    ISBN-13: 978-3423708425 

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Der 35. Mai: Oder Konrad reitet in die Südsee


Zumindest die technologischen Voraussetzungen scheinen im Wesentlichen geschaffen, und anhand von einzelnen Anwendungen wurde bereits der Nachweis erbracht, dass es im Prinzip funktioniert. Es könnte also bald soweit sein, dass wir „ohne Schofför“ fahren, wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen es hergeben würden und die Politik die Automobilindustrie ausreichend unterstützt. Allerdings ist das Verständnis, was automatisiertes Fahren bedeutet, nicht homogen. In der aktuellen Diskussion, die auch die Internationale Automobilausstellung IAA im September beherrscht hat, fokussiert man auf das sogenannte hochautomatisierte Fahren. In diesem Szenario übernimmt das Fahrzeug seine Längs- und Querführung für einen gewissen Zeitraum beziehungsweise unter gewissen Bedingungen selbst – so zum Beispiel bei einer Autobahnfahrt. Der Fahrer muss das System nicht dauerhaft überwachen, aber in der Lage sein, das Fahrzeug nach Aufforderung – mit einer angemessenen Zeitreserve – zu übernehmen. Schwächer ausgeprägt ist der Automatisierungsgrad beim teilautomatisierten Fahren, wo der Fahrer das eigentlich selbstfahrende Fahrzeug jederzeit kontrollieren und übernehmen können muss. Einen weiteren Quantensprung gäbe es beim vollautomatisierten Fahren, in dem das System für einen definierten Anwendungsfall vollständig und unwiderruflich für die Fahrzeugführung verantwortlich ist. Auch für den Eventualfall einer kritischen Situation ist kein menschlicher Fahrer erforderlich, so dass wir an der Grenze zum autonomen Fahren stehen, dem eigentlichen Roboterauto: Allerdings erhält auch in diesem Szenario das Automobil keine Autonomie, sondern folgt den Vorgaben einer externen Steuerung.

Automatisierung offenbar gewünscht, aber noch nicht umgesetzt...
Automatisierung offenbar gewünscht, aber noch nicht umgesetzt...

Interessant ist das automatisierte Fahren sowohl aus einzel- wie auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht. Automobilhersteller und -zulieferer versprechen sich zusätzliche Absatzchancen für derartige Systeme, aber auch für ihre Fahrzeuge selbst. Möglicherweise erschließt man neue Kundengruppen, weil Autofahren unkomplizierter, sicherer und umweltfreundlicher wird, zumindest wenn man den Prognosen der Experten glauben mag. Sie versprechen eine Erhöhung der Verkehrssicherheit, da 90 Prozent der Unfälle im Straßenverkehr auf menschliches Versagen zurückzuführen sind. Außerdem soll die Effizienz des Verkehrs steigen, denn automatisierte und vernetze Fahrzeuge wären in der Lage, bei entsprechender Marktdurchdringung den Verkehrsfluss bei hohem Verkehrsaufkommen zu optimieren und Staus zu vermeiden. Damit dürfte auch eine Senkung mobilitätsbedingter Emissionen verbunden sein. Daher ist automatisiertes Fahren auch volkswirtschaftlich hochrelevant.
Doch ist dies alles wirklich so, wie es die Protagonisten des automatisierten Fahrens heute versprechen? Beginnen wir mit dem zunächst besonders einleuchtenden Sicherheitsargument. Bei den derzeit diskutierten Einführungsszenarien – wie der Autobahnpilot – werden die Sicherheitsgewinne überschaubar sein, denn diese Infrastrukturen sind ohnehin bereits besonders sicher. Weiterhin werden auch beim automatisierten Fahren gefährliche Situationen auftreten, die dann nicht mehr dem Fahrer zugerechnet werden können, sondern aufgrund von im System hinterlegten Entscheidungsregeln gelöst werden, womit die Notwendigkeit einer Maschinenethik besteht. Damit stellt sich die Frage, wer hier die Haftung übernimmt. Systemische Sicherheit auf ausreichendem Niveau statistisch nachzuweisen ist zudem extrem anspruchsvoll.

Noch kommen automatisierte Systeme etwas sperrig daher...
Noch kommen automatisierte Systeme etwas sperrig daher...

Generell ist es problematisch, im Szenario des hochautomatisierten Fahrens den Menschen als unzuverlässiges Glied in einer unkritischen Normalsituation aus der Verantwortungskette herauszulösen, von ihm aber in einer kritischen Situation die Übernahme von Steuerung und Risiko zu verlangen. Es steht zu erwarten, dass die menschlichen Fähigkeiten zur sicheren Beherrschung eines Fahrzeugs mit der zu erwartenden fortschreitenden Nutzung der Automatik abnehmen und daher nicht mehr ausreichen werden, um extrem komplexen Fahrsituationen zu begegnen. So gibt es für den bereits teilautomatisierten Bereich des Luftverkehrs Studien, die klar zeigen, dass durch den Autopiloten Aufmerksamkeit und Fähigkeiten der Flugzeugführer reduziert werden. Nimmt man andererseits die strengen Regelungen zur Schnittstelle Automatik/Mensch im Bahnverkehr als Referenz, dürfte es in absehbarer Zeit keine Szenarien hochautomatisierten Fahrens für den Pkw geben.

Auch das Argument der Stauvermeidung ist nicht alternativlos. Seit Jahren versucht man mit (externen) dynamischen Verkehrsbeeinflussungsanlagen, den Verkehrsfluss zu optimieren. Derartige Systeme stoßen allerdings an ihre Grenzen, wenn das Verkehrsaufkommen kritische Parameter übersteigt, was immer häufiger auf deutschen Straßen der Fall ist. Und ein komfortables und einfaches Angebot von Automatenfahrzeugen würde ja den Pkw-Verkehr zu Lasten des öffentlichen Verkehrs eher weiter ansteigen lassen und damit auch das Argument sinkender Emissionen konterkarieren – der sogenannte Rebound-Effekt.

Platooning – System von Scania für automatisiertes LKW-Fahren im Test.
Platooning – System von Scania für automatisiertes LKW-Fahren im Test.

Hinzu kommt der vermeintliche Verlust an Selbstbestimmung und persönlicher Freiheit in einem Fahrzeug, das zumindest gefühlt fremdgesteuert unterwegs ist. Die Akzeptanzfrage dieser neuen Technologie erscheint keinesfalls geklärt. Zwar sind Anwendungsfälle, wie der Autobahnpilot und das Valet Parking, sehr attraktiv für den Nutzer, da sie eine Unterstützung in wenig attraktiven beziehungsweise stressigen Fahrsituationen bieten, aber eine umfassende Automatisierung verneint Motive des Autofahrens jenseits der reinen Funktionalität, die nicht nur für Porsche-Fahrer relevant sind. Hinzu kommen Fragen des Datenschutzes und der Verlässlichkeit der Systeme, die nach dem Manipulationsskandal bei Volkswagen und den Massenrückrufen bei Toyota und General Motors neu gestellt und beantwortet werden müssen. Die Wirtschaftspolitik sollte auch nicht wieder in eine „Leitmarkt-“ und „Leitanbietereuphorie“ verfallen, eine Strategie, die sowohl in der Solarbranche wie auch bei der Elektromobilität krachend gescheitert ist.

Gescheitert ist auch das Geschäftsmodell der Stadt „Elektropolis“ im Kinderbuch von Erich Kästner. Nach einem Kollaps des Stromnetzes löst sich die schöne neue Welt in Wohlgefallen auf: „Die automatischen Autos schossen wie Blitze vorbei, prallten gegeneinander oder sausten in Häuser hinein und rasten treppauf. Die elektrischen Lampen schmolzen. Die künstlichen Gärten welkten und blühten in einem fort. Am Himmel erschien schon die Zeitung von übermorgen.“ Mit Internet am Himmel und der Zeitung von übermorgen wäre es leichter zu prognostizieren, wann das flächendeckende automatisierte Fahren kommt. Da wir beides nicht haben, bleibt zumindest die Hoffnung auf den 35. Mai.


Titelbild: ZU

Bilder im Text: Pilot_micha / flickr.com (CC BY-NC 2.0); Steamtalks Steamtalks / flickr.com (CC BY-NC 2.0); Scania Group / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)

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