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Prof. Dr. Dietmar Schirmer ist seit August 2015 Vertretungsprofessor für Empirische Policy-Forschung. Nach dem Studium in München und Berlin sowie der Promotion in Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin, lehrte er an der Freien Universität Berlin, der Cornell University, der Universität Wien sowie der University of British Columbia und der University of Florida. Er war außerdem Fellow am Deutschen Historischen Institut in Washington D.C. und ist Mitglied der American Political Science Association und des Council for European Studies.
Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich der historisch-institutionalistischen vergleichenden Politikwissenschaft und der politischen Kulturforschung. Gegenwärtige Forschungsprojekte befassen sich mit dem Verhältnis von Nationalstaatlichkeit und regionalen Minderheitennationalismen in der EU sowie mit der Staatsarchitektur Europas seit der Renaissance.
So, das Unerwartete ist passiert. Nr. 45 in der Reihe der US-Präsidenten wird nicht Hillary R. Clinton, sondern Donald J. Trump heißen. Dass es so kommen könnte, wussten wir alle, dass es so kommen würde, dachten die wenigsten. Wenn Trumps Sieg überwältigend erscheint, dann nur deshalb, weil er so überraschend kam, nicht weil er so klar gewesen wäre. Es gab mehr US-Bürger, die für Clinton stimmten als für ihn – letztlich hat es nur deshalb gereicht, weil die bevölkerungsmäßig kleinen und mittleren „roten“ Staaten im Electoral College überrepräsentiert sind und weil seine Gegnerin eine ungeliebte Kandidatin war. An dem Umstand, dass die Republikanische Partei die demographische Entwicklung ins Gesicht bläst, hat sich nichts geändert, ebenso wenig wie an dem Umstand, dass sie aufgehört hat, eine republikanische Partei in der Tradition des amerikanischen Liberalismus zu sein.
Und nun? Eigentlich sollte dieses Stück von einem Psychologen geschrieben werden, nicht von einem Politikwissenschaftler. Trump gewann ja nicht mit einem kohärenten Policy-Programm, sondern auf dem Rücken populistischer Versatzstücke, die er seinem Zielpublikum mit dem sicheren Gespür des Dealmakers zugeworfen hatte. Dass Steuersenkungen und öffentliche Investitionen nicht zur Entschuldung führen werden, ist offensichtlich. Erst in den kommenden Monaten wird sich erweisen, welche der im Wahlkampf gemachten Zusagen dem künftigen Präsidenten tatsächlich wichtig sind und welche nur die Funktion hatten, den Handel zwischen dem Kandidaten Trump und dem rechten, weißen Amerika zum Abschluss zu bringen. Seine Haltung in der Abtreibungsfrage etwa war wohl in erster Linie eine Verbeugung gegenüber dem kulturellen Konservatismus eines tief religiösen Segments der Wählerschaft. Man wird nicht falsch liegen, wenn man annimmt, dass Trump selbst in dieser Sache wenig leidenschaftlich ist – und ob und wieviel politisches Kapital Trump in einen Rollback im Abtreibungsrecht investieren wird, wird nicht von Überzeugungen, sondern von Nützlichkeitserwägungen abhängen.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt überwiegen die Unwägbarkeiten. Wird Trump ein Präsident sein, der seine Administration mit dem autokratischen Touch führen wird, mit dem er seine Unternehmungen geführt hat? Oder wird er ein außengeleiteter Präsident sein vom Schlage George W. Bushs, weil er weder die Geduld noch die Detailliebe aufbringt, die die mühselige Durchsetzung von Policies verlangt? Mein Tipp wäre die Autokratie, aber mehr als ein Tipp ist das nicht.
Ein bisschen mehr Klarheit werden wir haben, wenn sich das Puzzle aus Weißem Haus und Kabinettspositionen zusammenfügt. Dass der brave Reince Priebus vom Republican National Committee den Posten des Chief of Staff einnehmen wird, ist ein Zugeständnis an die Partei und ihr Establishment, dass mit Stephen Bannon (Breitbart News) ein Vertreter des weißen Nationalismus und race-baiter extraordinaire zum Chefstrategen im Weißen Haus aufrücken soll, lässt das Schlimmste erwarten. „Bring on the hate“ betitelte die New York Times ihr Editorial zu dieser Personalie.
Man kann sich ein Trump-Kabinett vorstellen, das eine wahre Liste des Schreckens wäre – etwa: Newt Gingrich als Außenminister, Rudy Giuliani als Attorney General, der Climate Change Denier Myron Ebell als Kopf der Environmental Protection Agency, Jeff Sessions, erprobter Kämpfer gegen die Immigration, als Secretary of Homeland Security und Sarah Palin, die Fracking für ein Gottesgebot hält, fürs Innere und mit Zuständigkeit für Nationalparks und Public Lands.
Was die Policy-Präferenzen der Präsidentschaft Trump anbelangt, gab es in den Tagen seit der Wahl einige Gesten, die auf Konzilianz deuten: Vom Knast für seine Gegnerin war nicht mehr die Rede - was sich aber rasch ändern kann, siehe oben unter „Giuliani“ und „Attorney General“-, die sofortige und vollständige Abschaffung von Obama Care scheint ebenfalls nicht ganz oben auf der Agenda zu stehen - was sich ebenso rasch ändern mag, falls Trump seiner Partei etwas Großes bieten muss, um etwas Anderes zu bekommen. Eine gewisse Ironie mag man darin sehen, dass Trump ein Infrastrukturprogramm auflegen könnte, das Obama vielleicht gewollt, aber nie durch den Kongress bekommen hätte.
In anderen Hinsichten sieht es schlimmer aus. Die Spaltung der Gesellschaft hat bereits im Wahlkampf eine Schärfe gezeigt wie seit der Civil Rights-Ära nicht mehr – und es wird eher schlimmer als besser werden, wie die Personalie Stephen Bannon zeigt. Team Trump scheint unter anderem damit beschäftigt zu sein, Wege zur Aushebelung der Vier-Jahres-Sperrklausel zu erkunden, die das Pariser Klimaabkommen für den Fall der Kündigung vorsieht. Für die internationale Klimapolitik wäre das zwar nicht automatisch das Ende, aber ein sehr harter Schlag. Mexiko, dessen Exporte zu vier Fünfteln in die USA gehen, droht der ökonomische Kollaps. Ob der Trumpsche Wirtschaftsprotektionismus sich durchsetzen lässt, muss sich zeigen – hier liegt die Möglichkeitsspanne zwischen einer punktuellen Neuverhandlung existierender (NAFTA) beziehungsweise der Abwendung von noch nicht ausverhandelten Verträgen (Europa und Asien) einerseits und einer grundlegenden Abkehr von der Freihandelsorientierung, die traditionell von beiden amerikanischen Parteien getragen worden war.
Es besteht immer noch eine kleine Chance, dass – wenn wir dereinst die Präsidentschaft Trump evaluieren werden – wir sagen werden, dass sich Trump als Präsident nicht anders verhalten hat, als man es von einem republikanischen Präsidenten angesichts der (ideologischen, nicht elektoralen) Krise des Republikanismus zu erwarten hatte. Es kann aber auch sein, und ich halte es für wahrscheinlicher, dass wir dann in einer fundamental anderen Welt leben werden, geprägt durch Nationalismus, Protektionismus und einen free-for-all-Multipolarismus. Für uns Europäer wird eine ganz entscheidende Frage sein, ob der Sieg des Trumpschen Populismus in den USA uns als Warnschuss dient, unseren eigenen Kram in Ordnung zu bringen, oder ob er dem europäischen Populismus weiteren Auftrieb geben wird. Im ersten Fall könnte die äußere Krise der EU helfen, ihre innere Krise zu überwinden. Ob der zweite Fall eintritt, werden wir spätestens nach der französischen Präsidentschaftswahl 2017 wissen.
Titelbild:
| Bill B / flickr.com (CC BY 2.0), Link
Bilder im Text:
| Gage - 2012 Electoral College map, CC-BY-SA 4.0, Link
| File:USA Counties with names.svg: User: Mr. Matté | This file: Magog the Ogre (talk) (contribs) - File:USA Counties with names.svg (original version; public domain), CC0, Link
| Torbakhopper / flickr.com (CC BY-ND 2.0), Link
Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Dietmar Schirmer
Redaktionelle Umsetzung: Alina Zimmermann