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Im Vertiefungsseminar „Populismus, Radikalismus, Extremismus“ haben sich die Autorinnen und Autoren dieses Artikels intensiv mit Theorien, Entstehungsgeschichten und Charakteristika von Populismus auseinandergesetzt. Geleitet wurde das Seminar von Alexander Ruser, Vertretungsprofessor für den Lehrstuhl für Kulturtheorie und -analyse. Teil des Seminars war aus aktuellen Gründen auch die Beschäftigung mit der Person und der Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. In diesem Text versuchen sie, das „Phänomen Trump“ aus einer positiven Richtung zu beleuchten.
Steckt in uns allen vielleicht ein kleiner Trump, der nur darauf wartet, endlich gehört zu werden? Haben wir nicht alle Angst vor einer ungewissen, vielleicht sogar perspektivlosen Zukunft? Sehnen wir uns nicht doch nach der Wiederkehr der so scheinbar „wunderbaren, alten Zeit“? Trump hat genau das auf den Tisch gelegt und spricht damit die Gefühle einer Vielzahl der Amerikaner an. Emotionsgeladene Reden, die bei den Zuhörern Gefühlsausbrüche über den Weltschmerz hervorrufen, nutzte Trump gezielt, um den Wutbürger auf seine Seite zu bekommen. Doch was versteckt sich tatsächlich hinter der Fassade Trumps und seiner Glaubwürdigkeit?
Sein Versprechen an die Menschen: keine Lügen. Dieses Statement sieht vielversprechend aus. Auch Aussagen wie „Ich kenne die Guten. Ich kenne die Schlechten. Ich kenne die Überbewerteten“ geben ein Gefühl von Zuverlässigkeit und Schutz. Trump gibt sich hier als ein Menschenversteher, der zu erkennen scheint, wie die Menschen ticken, was sie bewegt und was sie nun am dringendsten brauchen, um ihre Angst und ihre Wut zu stillen.
Er schafft eine Vertrauensbasis, die den Menschen Halt geben soll. Seine anzüglichen Wörter werden dabei gekonnt ignoriert, denn die Bürger hören nur, was sie schon lange hören wollen. Dass er dabei seine Steuererklärung nicht veröffentlicht, dass er gegen Ausländer schimpft – zumal seine Frau ja selbst aus Slowenien stammt – und eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zwar realisierbar aber nicht bezahlbar ist, machen den Eindruck, nur im Kurzzeitgedächtnis angekommen zu sein. Klimawandel? Den gibt es doch gar nicht, nicht bei Trump. Und das sind nur die harmlosen Aussagen. Seine Unbekümmertheit machte ihn schlussendlich greifbarer und authentischer als seine Gegnerin, die ja schließlich in eine E-Mail-Affäre verwickelt war.
Der echte Trump trumpfte mit knallharten Forderungen und Wahlversprechen, die ihn beliebt machten. Plausibel klingt vor allem, dass die USA wieder an erster Stelle stehen sollen. Das Motto „Make America Great Again“ zielt darauf ab, dass Arbeitsstellen wieder ins eigene Land verlagert werden, Drogendealer und illegale Einwanderer abgeschoben und die Infrastruktur wieder auf Vordermann gebracht wird – und macht Trump dabei zu einem überzeugenden Helden.
Was aus dem deutschen Blickwinkel eigentlich kaum nachvollziehbar scheint, ist ganz plausibel für viele Amerikaner: Donald Trump ist einer, der den amerikanischen Traum lebt. Einer, der es aus eigener Kraft nach ganz oben geschafft hat – oder zumindest fast aus eigener –, einer, der aus seinen Niederlagen und Verlusten gestärkt hinausgegangen ist. Und keiner, der zum politischen Establishment – der Elite in Washington – angehört, der Klasse an Menschen, von denen sich das Volk nicht mehr repräsentiert fühlt. Ein Neueinsteiger, jemand, der aus dem „normalen“ Leben zu kommen scheint.
Die Amerikaner haben genug von all den Berufspolitikern, die in ihrem Leben kaum etwas abseits der Politik getan haben, von den „Familienclans“, die immer wieder eine große Portion Macht innehaben, von all den Spielchen, Affären und Unehrlichkeiten bis hin zur Korruption. Es gab die Kennedys, die Bushs – die es ja auch in diesem Wahlkampf wieder versucht haben – und nun eben die Clintons. Ein Paar, dessen Leben als Inspiration für „House of Cards“ gilt, das seit Jahrzehnten in verschiedenen Posten aktiv ist und nach Bills Präsidentschaften und dem gescheiterten Versuch von Hillary 2008 nun endlich wieder zurück ins Zentrum der Macht wollte. Kritisiert wird Hillary für den Umgang mit den Affären Bill Clintons, für halbgare Entschuldigungen während des E-Mail-Skandals oder wegen ihrer Reputation als gefühlloser Eisschrank. Saudi-arabische Spenden an die Clinton-Stiftung und hochdotierte Reden vor Bankern tun dabei ihr Übriges. So entstand in der amerikanischen Öffentlichkeit der Eindruck, dass die Clintons sich nicht an Gesetze gebunden fühlen. Auch das machte sie wohl zu einer der unbeliebtesten Kandidaten aller Zeiten.
Die Amerikaner wollen jemanden, der klar ausspricht, was er denkt – und nicht „diplomatisch“ wie „die da aus Washington“ auftritt. Einen, der nicht zur Klasse der Menschen gehört, die sich immer weiter von den „normalen“ Amerikanern entfernt, der Millionen für seinen Machterhalt ausgibt und die Sichtweise der arbeitenden Bevölkerung verlernt. Und Sätze wie „Ich bin kein Politiker. Mein einziges Interesse seid Ihr“ holen genau die Menschen ab, die sich zurückgelassen fühlen.
Doch vor allem ist Trump auch derjenige, der Wandel verspricht – Wandel, den sich die weiße Mittelschicht herbeisehnt, die sich in den vergangenen acht Jahren unter Obama oft vernachlässigt gefühlt hat. Umfragen zeigen, dass von vielen Wählern der Wandel das ausschlaggebende Attribut für Trump war. Daher verwundert es auch wenig, dass Clintons Strategie, mit ihrer politischen Erfahrung zu punkten, nicht aufging: nur 14 Prozent sprachen Clinton die Fähigkeit zu, einen Wandel herbeizuführen. Hinzu kam auch eine gewisse Selbstgefälligkeit des Clinton-Teams: Als sicher wahrgenommene Staaten wie Michigan und Wisconsin besuchte Clinton selten. Bereits 2008 warfen Kritiker ihr vor, Gegner nicht ernstzunehmen: Obama galt damals genau wie Trump und auch Sanders als wenig aussichtsreicher Kandidat. Bereits damals war das Motto mit „Yes, we can“, das Clinton schlug, eines des Wandels. Lektion gelernt? Wohl kaum.
Es gilt also, die Spaltung zwischen Politik und Bürgern wieder zu verkleinern, beide zu versöhnen. Damit nicht mehr nur gesagt wird „Wir nehmen die Sorgen und Nöte der Bürger ernst“, sondern auch wirklich danach gehandelt wird. Und genau diese Sehnsucht verkörpert Trump, einer aus der Mitte des Volkes.
„No publicity is bad publicity“ – ein klarer Leitsatz der Trumpschen Medienstrategie. Und sie ging auf: Einer Studie zufolge wurde Trump innerhalb des vergangenen Jahres in den acht größten Medienunternehmen mehr als doppelt so oft erwähnt wie Clinton. Auch in den sozialen Medien gewann Trump den Kampf um Aufmerksamkeit. Hierzu verhalf ihm – insbesondere auf Twitter – seine Mischung aus Infotainment und polemischen Behauptungen, mit denen er Kritiker adressiert und eigene Themen besetzt hat: „Wow,
es sind geheime Aufnahmen aufgetaucht, dass die krumme Hillary so viele
Syrer wie möglich reinlassen will. Wir können das nicht zulassen –
ISIS!“ Seine eigenen Anhänger einigt er durch seine Inszenierung als politischer Außenseiter mit großen Ambitionen: „An alle Amerikaner, ich sehe euch und ich höre euch. Ich bin eure Stimme.“
Seine aggressive und polemische Rhetorik verschafft ihm jedoch nicht nur den Vorteil der erhöhten Aufmerksamkeit: Er dreht auch das Spiel mit den Mainstream-Medien zu seinen Gunsten um. Indem er Skandale bewusst durch „politisch unkorrekte“ Aussagen produziert, immunisiert er sich gleichzeitig gegen ihre Auswirkungen. Andere Politiker hingegen stolpern über „politisch unkorrekte“ Aussagen oder nehmen Schaden daran, dass die Mainstream-Medien Aussagen entkontextualisieren und skandalisieren – auch in Deutschland, man erinnere sich an „eine Armlänge Abstand“. Um dieser Gefahr zu entgehen, ziehen sie sich oft auf allgemeingültige Floskeln zurück. Trump hingegen erklärt „Political Correctness“ zum Kampfbegriff und vertritt mit klarer, einfacher Sprache extreme Positionen, die bei seiner Wählerklientel gut ankommen.
Warum das für Trump spricht? Er hat die Debatte zurückgebracht. Nicht nur in der Politik, sondern auch in der Gesellschaft wird wieder gestritten, entgegen der häufig propagierten „Alternativlosigkeit“. Denn Demokratie heißt auch, unbequeme Meinungen aushalten zu müssen und sich im besten Fall mit ihnen inhaltlich, emotional und vor allem auf Augenhöhe auseinanderzusetzen. Dazu muss der Einzelne bereit sein, seine Filter Bubble zu verlassen, in der nur die eigene Meinung verstärkt wird. Und dazu müssen die Journalisten aufhören, um der Klickzahl ihres Mediums Willen Aussagen zu Skandalen aufzubauschen. Nur so wird Politik wieder greifbar, kontrovers und interessant.
Vielleicht ist der Sieg Trumps auch der Sieg der „emotionalen Wahrheit“, des Post-Truth–Begriffes, der von den Oxford Dictionnaries zum Wort des Jahres ernannt wurde. Dementsprechend ist die erste Lehre des Wahlergebnisses die feststellbare Niederlage des Fact-Checking, welches von vielen Medien und Clinton als Antwort auf Populismus betrieben wurde. „Und wenn du glaubst, dass Hillary Clinton Donald Trump mit Fakten, Intelligenz und Logik besiegt, hast du augenscheinlich im vergangenen Jahr 56 Primaries und Caucuses verpasst, in denen 16 republikanische Kandidaten genau das versucht haben und ihm alles mögliche an den Kopf warfen – und nichts konnte seine destruktive Kraft stoppen”, schrieb Michael Moore. Vier Monate später stellen wir fest, dass er richtig lag. Trumps Aussagen waren ernstzunehmen. Seine Strategie beruht auf Bullshitting, was auch heißt, keine Rücksicht auf Wahrheit oder Lüge zu nehmen. Die Leute wollen emotional mitgenommen werden, Fakten gelten schlichtweg als „unsexy“.
Wofür sollten wir also dankbar sein? Vor allem hat die Wahl gezeigt, welchen Politikertypus die Bevölkerung präferiert – und welchen nicht. Politiker – oder wohl eher Nicht-Politiker – sollten authentisch sein, aus keiner bestehenden Elite stammen, eventuell sogar Quereinsteiger sein. Sie sollten „offen“ gegenüber Medien sein und nicht nur schwammige Parolen, Stump-Speeches, wiederholen – und auch in den sozialen Medien „authentisch“, nicht aufpoliert, daherkommen. Der neue Politikertypus überzeugt mit Emotionen, mit seiner Persönlichkeit und weniger mit Fakten, er spricht so, dass das Volk ihn versteht. Er ist jemand, der sein Gehalt symbolisch als Robin Hood des 21. Jahrhunderts spendet statt sich am Amt zu bereichern.
Als Alternative bei der vergangenen Wahl hat er als Weckruf für westliche Demokratien und Politiker gedient und ihnen gezeigt, dass sie anscheinend den Wähler und seine Bedürfnisse aus den Augen verloren haben. Im Gegensatz zu dem einen, der aus dem Volk zu kommen scheint.
Titelbild:
| Gage Skidmore / flickr.com (CC BY-SA 2.0), Link
Bilder im Text:
| Gage Skidmore / flickr.com (CC BY-SA 2.0), Link
| Michael Vadon - Own work, CC BY-SA 4.0, Link
| Screenshot: @realDonuldTrump / twitter.com
| Gage Skidmore / flickr.com (CC BY-SA 2.0), Link
Beitrag (redaktionell unverändert; Autoren des Artikels in alphabetischer Reihenfolge): Jaella Brockmann, Martin Deville, Lea Haiges, Katharina Koerth, Tobias Linden, Matej Peulic, Irina Schnell und Alina Zimmermann
Redaktionelle Umsetzung: Alina Zimmermann