ZU|Daily wurde in die Hauptseite in den Newsroom unter https://www.zu.de/newsroom/daily/ integriert. Die neuesten Artikel seit August 2024 werden dort veröffentlicht. Hier finden Sie das vollständige Archiv aller älteren Artikel.
Professor Dr. Karen van den Berg ist Professorin für Kunsttheorie und Inszenatorische Praxis an der Zeppelin Universität. Sie studierte Kunstwissenschaft, Klassische Archäologie und Nordische Philologie in Saarbrücken und Basel, wo sie auch promovierte. Von 1993 bis 2003 war sie Dozentin für Kunstwissenschaft am Studium fundamentale der Privatuniversität Witten/Herdecke. Seit 1988 realisiert sie als freie Ausstellungskuratorin zahlreiche Ausstellungsprojekte in öffentlichen Räumen und in Kunstinstitutionen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Kunst und Öffentlichkeit, Kunstvermittlung und Politik des Zeigens, Kunst und Emotionen, Rollenmodelle künstlerischen Handelns sowie die sozialen Effekte von Bildungsarchitekturen.
Genau 20 Jahre nach der denkwürdigen Eröffnung der Dependance des New Yorker Guggenheim-Museums in Bilbao beginnt wohl eine neue Ära in der Museumsgeschichte: So wird der vom französischen Stararchitekten Jean Nouvel entworfene und kürzlich eröffnete Louvre Abu Dhabi den Blick auf die Institution Museum verändern. Das liegt nicht nur an der imposanten, lichtdurchfluteten und extrem fotogenen Architektur und dem edlen Arrangement der Exponate, von denen dieser Tage Bilder durch alle Medien gehen.
Was bei dem Bau am Arabischen Golf mit seiner fünf Fußballfelder großen ikonischen Kuppel vor allem zu denken gibt, ist der extrem ambitionierte Anspruch des Großprojektes als Welt- und Universalmuseum und seine affirmative Schönheit. Der Louvre in Abu Dhabi verdankt sich dabei keineswegs allein kulturellen und philanthropischen Interessen. Auch steckt hinter dem Projekt mehr als die Hoffnung auf die symbolische Aufwertung der Stadt durch die Imagearchitektur und prestigeträchtige Exponate. Selbstverständlich war das Projekt in den Emiraten vom sogenannten „Bilbao-Effekt“ inspiriert, also von dem Versprechen, durch eine spektakuläre Museumsarchitektur Touristen anzuziehen: Schließlich ist dieser Effekt weltweit zum Mantra von Stadtplanern geworden.
Museen gelten länger schon als Wirtschaftsfaktoren und ökonomische Treiber, aber am Golf wird dieses Konzept in eine neue Dimension katapultiert und geschieht unter veränderten Vorzeichen. Die Gründung des Louvre Abu Dhabi ist ein Milliardendeal. Hier geht es nicht – wie vor 20 Jahren in Bilbao – um ein privates amerikanisches Museum, das eine Filiale in Europa errichtet, sondern um den französischen Staat, der ein Kunstgeschäft der Superlative abgeschlossen hat. Dabei hat Frankreich nicht etwa seine Kunstschätze veräußert, sondern sein kulturelles Know-how.
Allein um den Markennamen „Louvre“ bis 2047 nutzen zu dürfen, zahlt das Emirat 400 Millionen Euro an Paris. Weitere 164 Millionen Euro kosten die Aufbauhilfe und die Schulung der Kuratoren durch das Louvre-Personal, 190 Millionen Euro die Dauerleihgaben aus Paris und 195 Millionen Euro die Wechselausstellungen, die bis 2026 geplant sind.
Kunstmuseen gelten in Europa als Orte der Bildung und Weltaneignung und als Institutionen, die dem aufgeklärten selbstbestimmten Subjekt einen Raum zur ästhetischen und kritischen Urteilsbildung bieten. Zur „Schule der Befremdung“ – wie Peter Sloterdijk das idealtypische Museum bezeichnete – wird Haus am Golf sicher nicht. Das sehr spezifische und voraussetzungsreiche museale Ritual der schweigenden Betrachtung und Urteilsbildung, das zu Recht auch als Übung der Demokratiefähigkeit gedeutet wurde, wird daher in Abu Dhabi in ein exklusives Luxuserlebnis transformiert: Das selbsternannte Weltmuseum scheint eher ein Erlebnispark bürgerlicher Kultur, als dass es einen konkreten Begriff des Humanen entwerfen würde. Der Humanismus wird zur symbolischen Hülse, er wird zur Beute, zum Fetisch, den man sich kauft, wie man sich eben einen Luxusartikel leistet. Die Hervorbringung eines kritischen Blickes, der sich irritieren lässt und in seiner Urteilskraft herausgefordert wird, ist dabei weniger gefragt.
Emmanuel Macron bezeichnete das Gebäude bei der Eröffnung denn auch stolz als „Tempel der Schönheit“. Laura Weißmüller nannte es in der Süddeutschen Zeitung als „unverschämt schön“. Ich darf gespannt sein, ob dieser Artikel schon reicht, um mir die Einreise in den Golfstaat zu verweigern.
Titelbild:
| Gabriel Jorby / flickr.com (CC BY-ND 2.0) | Link
Bilder im Text:
| Gabriel Jorby / flickr.com (CC BY-ND 2.0) | Link
| EdiNugraha / Pixabay.com (CC0 Public Domain) | Link
Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Karen van den Berg
Redaktionelle Umsetzung: CvD