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Alexander Eisenkopf studierte Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Nach seiner Promotion über Just in Time-orientierte Fertigungs- und Logistikstrategien arbeitete und lehrte Eisenkopf in Gießen und Frankfurt.
Seit 2003 ist Eisenkopf Professor an der Zeppelin Universität und Gastdozent an der Wiener Wirtschaftsuniversität. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem auf Mobilität und Transportunternehmen.
„Die Bahn schenkt Ihnen eine Stunde!“ war das Motto, mit dem die Deutsche Bahn im Juli 2002 für die Verkürzung der Fahrzeit durch die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Köln und Frankfurt warb. Seinerzeit feierten neben Kanzler Gerhard Schröder und Bahnchef Hartmut Mehdorn viele Prominente dieses Geschenk. Es war allerdings ein teures Geschenk, denn die Neubaustrecke durch den Westerwald mit zahlreichen Talbrücken und Tunneln kostete rund 6 Milliarden Euro, wovon der Steuerzahler den Löwenanteil übernahm.
Tatsächlich war und ist diese Strecke ein riesiges Verlustgeschäft, wenn man die Infrastrukturkosten mit einbezieht. Kurioserweise hatte bereits der damalige Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bahn AG ausrechnen lassen, dass auf dieser Strecke Fahrgasterlöse von 2,6 Milliarden DM (rund 1,3 Milliarden Euro) erwirtschaftet werden müssten, um den Break Even zu erreichen. Davon ist die Bahn angesichts eines Gesamtumsatzes von rund 4,2 Milliarden Euro im Fernverkehr auch 15 Jahre später noch meilenweit entfernt.
Zum Fahrplanwechsel im Dezember 2017 scheint sich ähnliches zu wiederholen. Zur Feier der Eröffnung der Schnellfahrstrecke München-Berlin werden Sonderzüge eingesetzt, in denen drei Ministerpräsidenten, der amtierende Bundesverkehrsminister Christian Schmidt und Bahnchef Richard Lutz mitfahren. Zum Abschlussfest in Berlin kommt dann auch Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Angesichts einer solchen publikumswirksamen Euphorie ist etwas kritische Reflexion angeraten. Nach einem Vierteljahrhundert wird ein Projekt der Bestimmung übergeben, das mit rund 10 Milliarden Euro rund das Dreifache der 1993 offiziell geschätzten Summe gekostet hat. 37 Tunnel und 27 Brücken auf einer 623 Kilometer langen Strecke sind ein in Beton gegossener beziehungsweise im Berg versenkter Hochgeschwindigkeitsrausch. Man hätte es einfacher und vor allem kostengünstiger haben können, wenn Bahn und Verkehrspolitik sich nicht an dem in der Zeit der Nach-Wende zwischen dem Bundeskanzler und dem thüringischen Ministerpräsidenten ausgehandelten Deal festgehalten hätten und die Trasse nicht über Erfurt führen würde, das sich jetzt als Bahnknoten neu erfinden muss.
Selbstverständlich ist es nicht zu bestreiten, dass die Neubaustrecke durch den Thüringer Wald erkleckliche Fahrzeitgewinne bringt – und dies nicht nur auf der vielzitierten Relation München-Berlin, sondern auch zwischen Nürnberg und Berlin oder Leipzig und München. Aufgrund neuer Linienführungen wirkt sich die Inbetriebnahme der Schnellfahrstrecke durch Fahrzeitverkürzungen und Angebotsverbesserungen im gesamten Netz positiv aus. So profitieren beispielsweise auch Bahnreisende zwischen Frankfurt und Berlin von einem größeren Zugangebot.
Im Zuge der Eröffnung der Neubaustrecke erwartet DB Fernverkehr eine Verdopplung der Fahrgastzahlen von 1,8 auf 3,6 Millionen Passagiere. Mit Unterstützung der Lobbyverbände wird vor allem ein Angriff auf die bei Fluggästen sehr beliebte Flugverbindung München-Berlin propagiert. Tatsächlich sind auf dieser Route aber nur rund 2 Millionen Personen im Jahr unterwegs. Auch wenn Flugreisen zwischen München und Berlin in spürbarem Maße substituiert werden, was verkehrs- und umweltpolitisch durchaus wünschenswert wäre, stellt sich die Frage, wie eine Verdopplung der Passagierzahlen erreicht werden soll.
Kritisch zu hinterfragen ist in diesem Zusammenhang auch die frohe Botschaft, dass die Fahrzeit zwischen München und Berlin auf unter vier Stunden sinkt. Dies gilt leider nur für drei Zugpaare täglich, während das Gros der stündlich abfahrenden Züge weiterhin rund viereinhalb Stunden unterwegs ist und die Ergänzungszüge sogar länger als fünf Stunden. Notabene: Mit dem Start der Sprinter zwischen München und Berlin wird der morgendliche Sprinter zwischen Frankfurt und Berlin eingestellt.
Skepsis gegenüber den euphorischen Wachstumserwartungen ist auch vor dem Hintergrund angeraten, dass mit dem Fernbus, dem privaten Pkw sowie den wachsenden digitalisierten Ridesharing-Angeboten starke Wettbewerber den preispolitischen Spielraum der Deutschen Bahn auf dieser Strecke wirksam begrenzen. In Frankreich haben der Fernlinienbus und die Mitfahrgelegenheiten dem Erfolgsmodell des TGV bereits spürbare Dämpfer versetzt.
Erst als Konsequenz der Liberalisierung des Fernlinienbusverkehrs hatte sich die Bahn in den vergangenen Jahren anstrengen müssen, die Zahl ihrer Reisenden zu erhöhen. Ein Wachstum der Verkehrsleistung um 18 Prozent seit 1993 zeugt wahrlich nicht von besonderer Dynamik – und dies trotz der milliardenschweren Investitionen in Schnellfahrstrecken seit der Bahnreform. Ob es der Bahn in der Zukunft gelingen wird, mit der neuen Trasse ihren Marktanteil von einem Zehntel im Personenfernverkehr nachhaltig zu steigern, steht daher in den Sternen.
Darüber zu philosophieren, ob eine alternative Verwendung der Investitionsmittel für andere Projekte im Personenverkehrsnetz oder gar für die notleidende Güterverkehrsinfrastruktur einen höheren Nutzen gebracht hätte, ist müßig: Sunk costs are sunk! Die Schnellfahrstrecke München-Berlin sollte aber ein Menetekel für die Zukunft sein. Angesichts der Tatsache, dass für Neu- und Ausbaumaßnahmen in den nächsten Jahren maximal 1,5 Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung stehen, ist eine Priorisierung der Maßnahmen unausweichlich. Dass der Kostenrahmen für das Projekt Stuttgart21 seitens der Deutschen Bahn unlängst auf 7,6 Milliarden Euro erhöht wurde, ist in diesem Kontext keine gute Nachricht.
Titelbild:
| Kevin Hackert / Flickr.com (CC BY-NC 2.0) | Link
Bilder im Text:
| Janismael02 / Eigenes Werk (CC-BY-SA 4.0) | Link
| Ansgar Koreng / Flickr.com (CC BY-SA 2.0) | Link
Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Alexander Eisenkopf
Redaktionelle Umsetzung: CvD