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Dr. Joachim Landkammer wurde 1962 geboren und studierte in Genua und Turin. Nach seinem dortigen Philosophiestudium, abgeschlossen mit einer Arbeit über
den frühen Georg Simmel und einer ebenfalls in Italien durchgeführten Promotion über den Historikerstreit, hat Joachim Landkammer als Assistent und wissenschaftlicher Mitarbeiter von Prof. Dr. W. Ch. Zimmerli an den Universitäten Bamberg, Marburg und Witten/Herdecke gearbeitet. Seit 2004 ist er Dozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Zeppelin Universität und Verantwortlicher des ZU-artsprogram für den Bereich Musik.
Joachim Landkammer arbeitet neben seiner Lehrtätigkeit und einer gewissen journalistischen Textproduktion an verschiedenen interdisziplinären Themen in
den Anwendungs- und Grenzbereichen der Philosophie, der Ästhetik und der Kulturtheorie. Ein dezidiertes Interesse gilt dem Dilettantismus und der Kunst- und Musikkritik.
Einige gute Vorschläge für eine zu diesem Zweck zu erstellende Schwarze Liste des Künftig-nicht-mehr-zu-Sagenden hat in der Jahresendausgabe vom 30. / 31. Dezember die „Beruf und Chance“-Beilage der FAZ gemacht. Schon daran, also am Ort der Publikation, der nicht das FAZ-Feuilleton war, erkennt man Tragweite und Brisanz der Sache. Es ist eben kein Anliegen von kulturbeflissenen Germanistik-im-Nebenfach-Schöngeistern, die sich hier ästhetisch-literarisch animierte Sorgen um den Verlust variantenreicher Diktionskunst machen, sondern es ist die knallharte Arbeitswelt der höheren Managementetagen, die es gründlich satt hat, von früh bis spät mit nichtssagenden, abgestumpften Worthülsen zugedröhnt zu werden. Und wenn schon dort, in dieser Welt der angeblich so kalten Funktionalität und Effizienz, Anlass gesehen wird, zu höherer Sprachsensibilität aufzurufen und gewisse schlechte Redegewohnheiten als hohl und unsinnig zu denunzieren, wie viel mehr müsste eine Universität als eine der Wissenschaftlichkeit in ihrem Reden über Wirtschaft, Kultur und Politik verpflichteten Stätte selbstkritischer Gedankenproduktion sich diese Sorgen zu Herzen nehmen?
Dass man auch hier von der Arbeitswelt lernen kann – und muss –, ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass viele der in der FAZ-Beilage angezeigten Sprachverirrungen gar nicht (mehr) typisch sind für den „Managersprech“ der Chefbüros, sondern längst Einzug gehalten haben in das allfällige Normal-Geplapper alltäglicher bürokratisch-administrativer Kommunikationszusammenhänge. Dass beispielsweise ständig irgendetwas „priorisiert“ werden beziehungsweise – was noch schlimmer ist – „absolute Prio eins“ haben muss, dass es immer „intelligente Lösungen“ sein müssen, dass statt vernünftigen Zeitangaben die „KW 29“ und ein Termin statt „baldig“ „zeitnah“ genannt wird, all das kennen wir aus universitären Kontexten auch. Richtig Kopfschmerzen sollte es uns aber bereiten, dass das (Un-)Wort „Narrativ“, für das ja Geistes- und Kulturwissenschaftler ein gewisses Erfindungsrecht beanspruchen könnten, mittlerweile in FAZ-Arbeitsweltkreisen als ebenso aufdringlich-aufgeblasen wie „nichtssagend und überflüssig“ wahrgenommen wird. Verrät dieses Abrutschen des schönen Begriffs unter die Gürtellinie des FAZ-Sprachgeschmacks nicht etwas über dessen mögliche Substanzlosigkeit und rät es uns nicht, mit ihm künftig eher sparsam umzugehen?
Sicher: Man kann den Sinn solcher Sprachregelungsproklamationen selbsternannter Verbalgeschmacksrichter auch prinzipiell in Frage stellen. Verfällt nicht die Beliebigkeit, mit der hier die Verbrauchtheit bestimmter Wendungen dekretiert wird, der gleichen sprachlichen Konventionalität, die eigentlich bekämpft werden soll? Und hängt nicht Sinn und Unsinn eines Ausdrucks auch von anderen, komplexeren Faktoren seiner Verwendung ab (etwa: Häufigkeit, Emphase, Kontext)? Und ist nicht Redundanz, also Wiederholung, Stereotypisierung, Standardisierung der Rede nicht unumgänglich und gerade Voraussetzung für kreative Abweichung?
Das mag alles sein, und man kann solche Sprechverbote getrost für ironisch-übertrieben halten (so lesen sich ja auch die jeweiligen kurzen Begründungen der einzelnen FAZ-Autoren) – und damit für wenig verbindlich. Als Neujahrsempfehlung zur erhöhten Aufmerksamkeit bei der künftigen Wortwahlhygiene taugen sie allemal. Bevor uns das nächste Mal der abwiegelnde Nicht-Spruch „Alles gut“ (ebenfalls auf der FAZ-Unwortliste) aus dem Mund fällt, könnte man zumindest kurz zögern, um sich zu überlegen, was genau man eigentlich gerade meint. Denn dass „alles gut“ wäre, kann auch bei größter Jahresanfangseuphorie im Ernst niemand behaupten. Erst recht nicht „zeitnah“ in „KW 3“.
Titelbild:
| Carolina Sanchez B / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
Bild im Text:
| Joachim Landkammer / Privat
Beitrag (redaktionell unverändert): Dr. Joachim Landkammer
Redaktionelle Umsetzung: CvD