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Alexander Eisenkopf studierte Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Nach seiner Promotion über Just in Time-orientierte Fertigungs- und Logistikstrategien arbeitete und lehrte Eisenkopf in Gießen und Frankfurt.
Seit 2003 ist Eisenkopf Professor an der Zeppelin Universität und Gastdozent an der Wiener Wirtschaftsuniversität. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem auf Mobilität und Transportunternehmen.
Mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar wird ein vorläufiger Höhepunkt in der zunehmend hysterischen und panischen Diskussion um den Dieselmotor erreicht. Zwar frohlockt die klagende Deutsche Umwelthilfe (DUH), dies sei ein großer Tag für „saubere Luft“ in Deutschland, doch dürfte es sich bei nüchterner Betrachtung eher um einen schwarzen Tag für eine an rationalen Kriterien ausgerichtete Umwelt-, Verkehrs- und Wirtschaftspolitik handeln. Und der Schwarze Peter liegt jetzt bei den betroffenen Kommunen, die sich möglicherweise gezwungen sehen, Fahrverbote für Millionen Dieselfahrzeuge bis zur Schadstoffklasse Euro 5 zu verhängen.
Was ist geschehen, dass die Medien skandalträchtige Schlagzeilen platzieren wie bei einer erneuten Flüchtlingswelle, einem kriselnden Euro oder dem Austrittsgesuch eines weiteren EU-Landes? Seit geraumer Zeit wird in einer überschaubaren Zahl deutscher Städte an einzelnen Messstellen der seit dem 1. Januar 2010 gültige Jahresmittelwert von 40 µg NO2 je m³ Luft überschritten. Bereits 2017 ist die Zahl der Kommunen mit Grenzwertüberschreitungen aber von 90 auf schätzungsweise 70 zurückgegangen. Sogar das Umweltbundesamt schätzt, dass mittelfristig nur noch rund 20 Städte betroffen sein werden. In der Landeshauptstadt Stuttgart, deren Luftreinhalteplan Gegenstand des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht war, geht es um die Messstellen Neckartor (73 µg je m³ in 2017), Hohenheimer Straße (69 µg), Arnulf-Klett-Platz (56 µg) und voraussichtlich noch Waiblinger Straße. In München liefern allein die Messpunkte Landshuter Allee und Stachus Grenzwertüberschreitungen, wobei die Landshuter Allee mit 78 µg je m³ im vergangenen Jahr das berühmt-berüchtigte Neckartor als Hotspot abgelöst hat. Insgesamt ist der Ausstoß von Stockoxid im Verkehr seit 1990 um knapp 70 Prozent gesunken – bei massiv gestiegener Fahrleistung wohlgemerkt.
Angesichts der von vielen Medien reißerisch begleiteten Kampagne der DUH – nach der deutsche Großstädte eine einzige Stickoxidhölle seien, an der Mensch und Tier leiden und zugrunde gehen – nimmt sich die reale Gefährdung allerdings relativ bescheiden aus. Zwar sekundiert das Umweltbundesamt mit einer an die Medien durchgestochenen epidemologischen Studie, nach der 6.000 vorzeitige Todesfälle in Deutschland auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückzuführen seien, die von Stickoxiden ausgelöst werden, doch finden solche Schreckensszenarien bei Medizinern und Toxikologen nur wenig Widerhall. Man muss sich zudem vor Augen führen, dass beispielsweise für Büroarbeitslätze deutlich höhere Grenzwerte festgesetzt sind (60 µg je m³), ganz zu schweigen von Arbeitsplätzen in der Produktion (950 µg). Und in den USA, wo der Dieselskandal seinen Ausgangspunkt genommen hatte, liegt der entsprechende Grenzwert bei 100 µg je m³.
Eine von der EU festgesetzte Norm ist aber zunächst einmal einzuhalten, wie auch das Bundesverwaltungsgericht feststellt, und es liegt den Deutschen nicht, mit solchen EU-Normen im „Italian Style“ umzugehen: Man könnte ja auch darüber nachdenken, Messstationen ein wenig von der Straße weg zu versetzen, um das Problem zu lösen. Dagegen wird die Auseinandersetzung um den Diesel und mögliche Fahrverbote in einer Kombination ideologischer Verbohrtheit und deutscher Gründlichkeit geführt, allerdings ohne die entscheidenden Fragen zu stellen:
Jetzt wird der Schwarze Peter herumgereicht. Zunächst liegt er nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts bei den Kommunen, die sich fühlbar winden, um an Fahrverboten vorbeizukommen. Mit der Einführung einer Blauen Plakette wäre er bei der Bundesregierung, die ihn aber (noch) nicht nehmen will (mit Ausnahme des Bundesumweltministeriums). Intelligenter ist, unisono, ihn auf die Automobilindustrie abzuwälzen, die ohnehin moralisch versagt hat und am besten kollektiv bestraft werden müsste. Wohlfeil ist dann die Forderung nach einer komplizierten und in der Regel unwirtschaftlichen Hardware-Nachrüstung, bei der der Schwarze Peter nicht beim Autofahrer landen darf.
Kein Wort davon, dass deutsche Euro 6-Dieselfahrzeuge im Mittel etwa 150mg NOx/km emittieren, ausländische Wettbewerber jedoch mehr als das Vierfache. Kein Wort davon, dass die EU den Start von Euro 5 hätte verschieben müssen, da die NOx-Abgasbehandlung in Kombination mit dem Dieselpartikelfilter noch nicht in der Großserie erprobt war. Und kein Wort davon, dass die neuesten Fahrzeuge nach der Euro 6d-Norm auch im Realbetrieb hervorragende NOx-Werte erreichen, wie es der Karlsruher Motorenentwickler Koch belegen kann.
Anstatt darauf hinzuwirken, dass die EU-Kommission einen temporären Aufschub ihrer kritikwürdigen Grenzwertsetzungen vornimmt, und mit ergänzenden Maßnahmen mit einem hohen Nutzen-Kosten-Verhältnis dafür zu sorgen, dass die Immissionswerte an den hochbelasteten Straßenabschnitten auf den Zielkorridor einschwenken, erwarten uns in den nächsten Wochen und Monaten mediale Panikmache, blinder Aktionismus und Beschäftigungsprogramme für Rechtsanwälte, Gutachter, das Kfz-Gewerbe und die Schilderindustrie. Wie gut muss es einem Land (noch) gehen, das mit einem solchen Scheinriesen wie dem NO2 kämpft.
Titelbild:
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Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Alexander Eisenkopf
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm