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Ramona Maria Kordesch wurde 1986 in Klagenfurt am Wörthersee geboren. Nach dem Studium der Katholischen Theologie und der Angewandten Relgionswissenschaften in Graz und Tübingen fokussierte sie sich im Rahmen ihrer Promotion auf den interdisziplinären Dialog zwischen Theologie und Wirtschaft. Zusätzlich analysierte Kordesch im Rahmen ihrer Arbeit aktuelle wirtschaftsethische Fragen der Kirche. Ab Mai 2013 arbeitete Kordesch an der Zeppelin Universität und forschte dort als Mitglied des Civil Society Center | CiSoC zusammen mit Prof. Dr. Stephan A. Jansen über innovatiove Systeme für Wohlfahrtsorganisationen im Rahmen einer Projektkooperation mit dem Diözesan-Caritasverband Rottenburg-Stuttgart. Heute arbeitet Kordesch als Wissenschaftliche Leiterin am Center for Leadership in Civil Society, das wiederum am Leadership Excellence Institute Zeppelin | LEIZ angesiedelt ist.
Am 11. Februar 2013 gab Papst Benedikt XVI. während der Routine seiner allwöchentlichen Pressekonferenz mit den Worten „declaro me ministerio Episcopi Romae renuntiare" seinen Rückzug aus dem Amt des Bischofs von Rom bekannt. Im ersten Versuch einer Stellungnahme sprach der damalige Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano von nichts weniger als einem „Donnerschlag des Himmels“, der den Vatikan und die katholische Kirche zunächst in Ratlosigkeit stürzte. Das Beben in Rom erschütterte auch die Weltöffentlichkeit, die sich um die letzte Kontinuität unserer Zeit – das Bollwerk des Papsttums – besorgt zeigte. Gleichzeitig kam dem epochalen Entschluss des sichtlich erschöpften Pontifex aus den Reihen der Diplomatie großer Respekt zu. Schließlich regelt Kanon 332 §2 des Kirchenrechts die Möglichkeit der Amtsniederlegung, doch ist in den vergangenen 2.000 Jahren der Kirchengeschichte nur ein einziger Rücktritt bekannt. Kirchenhistorikern gilt Coelestin V. als unbedeutender Kompromiss der Führungsfolge und war 1249 nur fünf Monate im Amt. Dieser historische Rücktritt war sicher leichter zu erklären als jener von Papst Benedikt.
Eine hinreichende Replik muss damit kritisches Verständnis für viele Reaktionen aufbringen, vor allem aber für die physischen und psychischen Herausforderungen des Amtes, die Papst Benedikt bereits 2012 im Interviewbuch „Licht der Welt“ äußerte – dieses Werk entstand aus einem Gespräch mit Peter Seewald. Angesichts der Existenz zweier Päpste aber war in Rom seit Jahrhunderten wieder ungewiss, wie sich apostolische Nachfolge und lehramtliche Führung regeln lassen würden, während Spekulationen um nunmehr vollzogene Konsequenzen aus VatiLeaks nicht verstummen wollten. Einerseits begleiteten medial gesteuerte Skandale das Pontifikat von Papst Benedikt XVI. unerlässlich, andererseits wirkten tätige Versuche der Erklärung, Richtigstellung und Sanktionierung – etwa wie in der Affäre um die Rehabilitierung des Holocaust-Leugners Richard Williamson – eher blass. Desaster in punkto Reaktionsgeschwindigkeit und Kommunikation des Heiligen Stuhls, dessen Führungskenntnisse und Kommunikationskanäle im Ablauf von 2.000 Jahren doch eher voraussehend als nachdrücklich wirken müssten, dürfen aber den Blick nicht verstellen auf Wesen, Ansprüche, Herausforderungen und Ziele des 265. Oberhauptes der universalen Kirche.
2005 lag auf der Hand, dass das auf allen öffentlichen Parketten leidenschaftliche Pontifikat von Johannes Paul II. – das in seinen letzten Tagen von einer Theologie des Leidens und des Kreuzes geprägt war – mit der zum Himmel tönenden Botschaft „Santo Subito“ nicht übertroffen werden konnte. Schon in den ersten Tagen Benedikts war überdeutlich, dass sich das neue Papstcharisma entlang einer vernünftigen Leidenschaft zur Ordnung der Kirche entwickeln würde. So war Benedikt bei ökumenischen Gastgeschenken in Deutschland stets zurückhaltend, besuchte aber regelmäßig die Synagogen dieser Welt und entdeckte für die Kirche in orthodoxen Formen der Liturgie eine geistige Heimat, die ihn dazu veranlassten, den Titel des „Patriarchen des Abendlandes“ abzulegen.
Während die einen bis zum Schluss keine Weiterentwicklung des Panzerkardinals erkennen konnten, sprechen andere heute von einem Kirchenlehrer der Postmoderne, der seine ersehnte Emeritierung lieber als Professor denn als Papst erleben wollte. Letztendlich wird jedoch die Schwierigkeit der formalen wie ideellen Beherrschung des vatikanischen Machtapparates später für einschlägige Kommentatoren als Fallstricke der Führungsfolge ab Johannes Paul II. gelten.
Heute kann das Pontifikat von Benedikt XVI. als ein Lehrstück über die Herausforderungen und Konsequenzen der Konsolidierung von Organisationen herhalten. In Zeiten der Entkonfessionalisierung moderner Gesellschaften, die mit den Errungenschaften der Technik wie der Individualisierung von Glaubensbiografien einhergehen, will zur Kenntnis der eigenen Disruptionsbedingungen geraten werden. So empfiehlt etwa die Tradition des Jesuitenordens zunächst Kenntnissicherung und innere Vergewisserung, soll ein wahrhaftiges Urteil gefasst werden und eine Lösung reifen können.
Die theologische Überarbeitung und pastorale Aktualisierung des Katholischen Katechismus kann als ein konkretes Projekt Benedikts gelten, das weiterem Innovationshandeln einen zuverlässigen Boden bereitet hat. Die mitunter heftig umstrittene Kontinuität der Pontifikate von Benedikt XVI. und Franziskus muss jedoch in den Enzykliken beider Urheberschaft – aller Kritiker zum Trotz – vielmehr herausgelesen als hineininterpretiert werden. So hat Franziskus in seiner erste Enzyklika „Laudato Si‘“ nunmehr gültig zu Grunde gelegt, was Benedikt bereits in seiner Rede im Deutschen Bundestag so prägnant angesprochen hat: Die Achtung menschlichen Lebens, der menschlichen Person und seiner sozialen und ökologischen Umwelt als moralischer Fingerzeig der Kirche, die für dieses zivile Ringen alle Wertschätzung verdient hätte. Dass diese aber auch „Null-Toleranz“ gegenüber eigenen Vergehen und Verbrechen bedingt, hat sich zur Herkulesaufgabe beider Pontifikate entwickelt. Doch die Mühlen mahlen langsam in den einberufenen kirchlichen Untersuchungsverfahren, während die Zeit für Benedikt endlicher wurde. Dass sich ein Leader auch zum First-Follower entwickeln kann, wenn veränderte Rahmenbedingungen dazu auffordern, vollzog sich anschaulich in Benedikts Rückzug. Der Akademiker am Stuhl Petri verabschiedete sich am 28. Februar 2013 vom Kardinalskollegium und den Gläubigen nicht ohne für ein geregeltes Konklave gesorgt und seiner Nachfolge die eigene Dienerschaft versprochen zu haben.
2018, fünf Jahre nach seinem Rücktritt, ist Benedikt XVI. in Rom aus dem öffentlichen Leben beinahe verschwunden – sowohl beim Kitsch als auch bei der Klasse. Während die Mehrzahl der Souvenirhändler auf Benedikt-Devotionalien verzichten kann, treibt Franziskus – auch dank dem spontanen Einsatz modernder Kommunikationskanäle – alle Sympathiewerte für Kirche und Papsttum in noch nie geahnte Höhen. Mit der scharfen Kritik von Papst Franziskus an eigenen kirchlichen Strukturen gehört das Sprechen über Disruption mittlerweile auch in Rom zur Tagesordnung, während die Person des emeritierten Papstes ungewollt als Galionsfigur des Protestes beharrender Kräfte vereinnahmt wird. Die inneren Zerwürfnisse weiter zu befeuern, kann jedoch schwerlich die Absicht des emeritierten Papstes sein, der sich dereinst über das Gleichnis des „einfachen Arbeiters im Weinberg des Herren“ der Kirche und ihrer Welt vorangestellt hat.
Titelbild:
| Giuseppe Ruggirello (CC BY-SA 3.0) | Link
Bilder im Text:
| WDKrause (CC BY-SA 3.0) | Link
| Special Olympics 2017 / flickr.com (CC0 Public Domain) | Link
Beitrag (redaktionell unverändert): Dr. Ramona M. Kordesch
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm