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Carlota Memba Aguado studiert seit September 2016 Politics, Administration and International Relations an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Zur Zeit absolviert sie ein Auslandssemester an der Université Catholique de Lille in Frankreich, zuvor verbrachte sie ein Semester an der Yangon University in Myanmar. Berufserfahrung sammelte sie bisher bei einem Praktikum am Internationalen Caritas-Zentrum in Köln, im spanischen Generalkonsulat in Lima, Peru, und im Lerndienst im Rahmen des Weltwärts-Programms in Tansania. Im Rahmen ihres Studiums ist Memba Aguado unter anderem Teil der International Student Group der Zeppelin Universität und der Initiative „welt_raum“. Für ihr Engagement wurde sie mit dem Diversitätsstipendium der ZU und einem Stipendium der Baden-Württtemberg-Stiftung ausgezeichnet.
Warum Myanmar? Das ist die übliche Frage, die einem gestellt wird, wenn man sich dafür entscheidet, ein Auslandssemester in einem Land zu verbringen, das in Europa eher unbekannt ist. Bei manchem klingelt es eher im Kopf, wenn stattdessen die Kolonialbezeichnung des Landes, nämlich Burma, benutzt wird. Was ist das überhaupt für ein Land? Wenn ich über Myanmar nachdenke, das Land, in dem ich an der größten nationalen Universität, der University of Yangon, für fünf Monate studiert habe, kommen mir folgende Begriffe in den Sinn: politisch und sozial engagierte Studierende, eine Vielfältigkeit an Religionen, neue Technologien, nationaler Stolz, Landwirtschaft, zivilgesellschaftliche Revolutionen, diverse Kulturangebote und Aktivismus. Hinzu kommt aber auch eine Ratlosigkeit – jedes Mal, wenn ich auf die Diskussionen über die Menschenrechtslage des Landes zurückblicke.
In Europa kennt man Myanmar eher aus den Nachrichten und dem Menschenrechtskontext im Nordwesten des Landes – insbesondere geht es dann um die Lebenssituation der sogenannten Rohingya. Viele internationale Medien hatten sich bis vor kurzem diesem Thema gewidmet, doch zurzeit hört man wenig über die Situation der dort lebenden Menschen in der Presse – die Aufmerksamkeit der Medien scheint sich erschöpft zu haben. Nichtsdestotrotz handelt es sich weiterhin um ein relevantes Thema, das eine stark eurozentrische Perspektive eingenommen hat. In Zeiten, in denen die westliche Welt durch eine „antimuslimische Welle“ bedroht scheint, wirkt es für die Politik plausibel, einen Blick auf andere Länder zu werfen, um von der eigenen Situation abzulenken.
Jedoch sind die Realitäten Europas und – in diesem Fall – Asiens sehr unterschiedlich und daher auch nicht vergleichbar. Myanmar ist ein sehr diverses Land – sowohl religiös als auch ethnisch. Den größten Bevölkerungsanteil bilden die Burmesen, und die Mehrheitsreligion ist der Buddhismus. In der Metropole Yangon leben die Gemeinden der meist repräsentierten Religionen des Landes – Buddhismus, Hinduismus, Islam, Judentum und Katholizismus – friedlich zusammen. Jedoch kommt es auf dem Land immer wieder zu Auseinandersetzungen. In elf von 14 Regionen Myanmars gibt es Indizien für bewaffnete Konflikte. Politisch betrachtet ist Myanmar ein sehr zentralisiertes Land, was dafür sorgt, dass sich viele Minderheiten nicht repräsentiert fühlen – eine dieser Minderheiten sind die Rohingya.
Um den historischen Kontext des Konflikts zu verstehen, sollte man wissen, dass die Rohingya ursprünglich in Bengal lebten. Dieser Raum war einst Teil von Britisch-Indien, heute kennt man ihn unter dem Namen Bangladesch. Manche Menschen von dort kamen als Sklaven oder als Saisonarbeiter nach Arkan (heute Rakhine-Staat) im Nordwesten Myanmars, als das Land ebenfalls noch eine Provinz Britisch-Indiens war.
Als Großbritannien nach dem Zweiten Weltkrieg das japanisch besetzte Myanmar zurückeroberte, besetzten sie administrative Positionen innerhalb der Regierung vorwiegend mit Menschen aus der muslimischen Bevölkerung. Nach der Unabhängigkeit wurden die Spannungen zwischen der buddhistischen Mehrheit und der muslimischen Minderheit immer größer. Zwischen 1962 und 1988 kam es immer wieder zu Fluchtwellen in Bangladesch und Myanmar. Schlussendlich schlossen die Regierungen Bangladeschs und Myanmars ein Abkommen – und Myanmar nahm die vertriebenen Flüchtlinge, die heute als Rohingya bezeichnet werden, auf.
Aus diesem Grund sehen die Bewohner Myanmars die Rohingya oftmals nicht als Staatsangehörige, sondern als illegale Einwanderer, die keinen Flüchtlingsstatus besitzen – obwohl sie eigentlich bereits vor der kolonialen Besatzung dort lebten. Auch die Bezeichnung Rohingya wird von einem Teil der myanmarischen Bevölkerung abgelehnt, da die epistemologische Bedeutung des Wortes „Einheimischer Arkans“ ist.
Die Rohingya wurden 1978 vom Zensus ausgenommen und sind somit nicht als eine der 135 offiziellen Ethnien des Landes anerkannt. Nach dem 1982 verabschiedeten „Citizenship Law“ sind sie damit offiziell staatenlos. Die Attacken der Rohingya-Miliz auf Polizisten und Bewohner des Rakhine-Saates in den Jahren 2016 und 2017 waren einer der Auslöser der institutionalisierten Gewalt des Militärs in der Region. Bis heute ist der nordwestliche Teil des Rakhine-Staates vom Militär kontrolliert – und für die Außenwelt nicht zugänglich. Was genau dort geschieht, weiß keiner gewiss – außer dem militärischen Teil der Regierung.
Als eine der relativ wenigen in Myanmar lebenden Westlichen hatte ich einen sehr hohen Anteil an Privilegien, die es mir ermöglicht haben, umstrittene Fragen an interessante Menschen zu stellen. Durch Zufall lernte ich einen ehemaligen Diplomaten kennen, der nach seiner Pensionierung begann, das Myanmar Institute of Strategic and International Studies (M-ISIS) zu leiten. Mit ihm führte ich eine lange Unterhaltung über das Thema, außerdem bekam ich von ihm eine wissenschaftliche Arbeit, die sich genau mit diesem Thema befasst. Die oben genannten, sachlichen Informationen basieren auf dieser Arbeit – und da es sich beim Institut um eine Regierungsinstitution handelt, konnte ich manche Schlussfolgerungen aus den gegebenen oder fehlenden Informationen selbstständig ziehen. Die offizielle Version des Konflikts aus Sicht des ehemaligen Diplomaten entspricht jener der Regierung: Es handelt sich um eine außerordentliche Lüge der internationalen Medien.
Darüber hinaus hatte ich als einzige europäische Austauschstudentin an der University of Yangon die Möglichkeit, die Perspektive meiner myanmarischen Kommilitonen – alle angehende Politologen – zu hören. Wenn ich mich mit ihnen über das Thema unterhielt, kam es mir so vor, als würden wir über zwei verschiedene Sachverhalte diskutieren. Die westlichen Medien, die ich nutzte, schienen komplett anders zu berichten als die myanmarischen Medien, zu denen ich zwar Zugriff hatte, die ich jedoch nicht verstehen konnte, weil in Landessprache berichtet wurde. Die einzigen lokalen Texte, die ich über den Konflikt lesen konnte, waren von der Regierung erstellte Texte – eben wie jene aus dem M-ISIS.
Das Thema, womit ich mich schon vor meiner Anreise in Myanmar befasst habe und von dem ich mir erhofft hatte, dass es in den Kursen behandelt würde, ist und war augenscheinlich ein Tabuthema. Meine myanmarischen Kommilitonen sind die engagiertesten Menschen, die ich kenne. Viele meiner Freunde sind in verschiedenen politischen und gesellschaftlichen NGOs aktiv – Organisationen, die für mehr Demokratie, Pressefreiheit, Geschlechtergerechtigkeit und Co. stehen. Dass das Thema in meinem Umfeld einfach ignoriert wurde, wunderte mich zunächst. Jedoch konnte ich dadurch später folgern, dass es sich bei dem Konflikt nicht nur um ein politisches Problem handelt, sondern vielmehr um einen tief verwurzelten, kulturellen und sozialen Konflikt, den wir mit einer westlichen Herangehensweise auf keinen Fall lösen werden.
Titelbild:
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Bild im Text:
| Carlota Memba Aguado / Zeppelin Universität (alle Rechte vorbehalten)
Beitrag (redaktionell korrigiert): Carlota Memba Aguado
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm