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Christian Mahler studiert seit 2015 Sociology, Politics and Economics | SPE an der Zeppelin Universität am Bodenseeufer. Bei einem Praktikum bei der Code White GmbH in Ulm schnupperte Mahler bisher Praxisluft. Ehrenamtlich unterstützt er den Club of International Politics an der ZU und den Mercedes Veteranen Club in Stuttgart.
Auch Tilman Knop studiert seit 2015 SPE an der Zeppelin Universität Friedrichshafen. Zudem arbeitet er am Zentrum für Verbraucher, Markt und Politik | CCMP als studentische Hilfskraft. Berufserfahrung sammelte er unter anderem bei der Initiative Kreatives Unternehmertum, dem ZEIT-Verlag und der App Line-Up. Ehrenamtlich engagiert er sich bei den Workshop- und Karrieretagen ZUtaten und der Stiftunglife Celle.
Wie seid Ihr auf das Thema Eurer Arbeit gekommen?
Tilman Knop und Christian Mahler: Mit den Vorbereitungen der Arbeit begannen wir im Herbst 2015 zu einem Zeitpunkt, an dem Migration von Geflüchteten gesellschaftlich vielfach diskutiert wurde. Natürlich fand diese Diskussion auch in der Universität und im Rahmen verschiedener Vorlesungen statt. Wir hatten dabei das Gefühl, dass auch im universitären Kontext die Meinungen von persönlichen und gefühlten Wahrheiten beeinflusst sind. Daher haben wir uns das Ziel gesetzt, uns der Frage so neutral wie möglich selbst nähern zu wollen.
Wer wurde für die Arbeit befragt und wie wurden diejenigen ausgewählt?
Knop und Mahler: Es wurden verschiedene Experten aus der Wissenschaft und aus der praktischen Migrationsarbeit befragt. Alle fünf Interviewpartner konnten einen wichtigen Teilbereich abdecken und Antworten zur Thematik aus dem jeweiligen Blickwinkel bieten. Mit dabei waren Mitarbeiter der drei renommierten Forschungseinrichtungen „ifo Institut“, „Empirica Institut“ und „IZA Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit“. Einen praktischen Bezug brachten ein Mitarbeiter des „Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Migration und Integration“ sowie eine Mitarbeiterin der „Bundesagentur für Arbeit“ ein.
Welche kurzfristigen und welche langfristigen Kosten entstehen für den deutschen Staat im Zuge der Flüchtlingsaufnahme und -integration?
Knop und Mahler: Die kurzfristig entstehenden Kosten bestehen zu einem großen Teil aus Aufwendungen für die Unterbringung und den alltäglichen Bedarf der Geflüchteten. Dazu zählen Unterkünfte, die eigens für die Unterbringung der Menschen erbaut oder verändert werden müssen, aber auch Finanz- und Sachleistungen, welche im Alltag benötigt werden: Beispiele sind Lebensmittel, Kleidung und ein „Taschengeld“ zur freien Verfügung. Medizinische Versorgung, die Finanzierung von Sprachkursen und Bildungsmaßnahmen sind weitere Positionen, welche kurzfristig finanziert werden müssen.
Wesentlich komplexer und dadurch auch schwerer kalkulierbar sind die Kosten, die der deutsche Staat langfristig zu tragen haben wird. Diese bestehen zum großen Teil aus notwendigen Transferleistungen. Da Flüchtlinge und andere Migranten im Durschnitt über ein niedriges Einkommen verfügen, hemmt dies potentielle Nachfrageeffekte. Auch eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosenquote trägt dazu bei, dass erforderliche Sozialleistungen höher ausfallen, als dies bei anderen Bevölkerungsgruppen der Fall ist. Eine Kalkulation der langfristigen Kosten ist deshalb mit großer Unsicherheit verbunden und muss immer wieder an neue Erkenntnisse und Veränderungen angepasst werden.
Einheimische befürchten, dass infolge der Flüchtlinge die Löhne sinken und Arbeitsplätze verloren gehen: Wie berechtigt sind diese Ängste und was zeigen uns Flüchtlingsbewegungen in anderen Ländern?
Knop und Mahler: Nach empirischen Befunden werden weder Einheimische aus ihren Beschäftigungen verdrängt noch die Löhne verringert. Es ist eher wahrscheinlich, dass sowohl die positiven als auch die negativen Auswirkungen im Vorfeld überschätzt werden. Diese zunächst ungewöhnliche Analyse kann am Beispiel des sogenannten „Marial Boatlift“ erläutert werden: Dabei handelte es sich um eine Flüchtlingsbewegung von rund 125.000 Kubanern in die USA, durch die das Arbeitsmarktpotential der Stadt Miami um rund 7 Prozent angehoben wurde und trotz ungünstiger Voraussetzungen äußerst geringe Auswirkungen zeigte. Das Ergebnis dieses bekannten Beispiels aus der Forschung zeigt, dass zum einen die Chance besteht, auch eine große Zahl von Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren und zum anderen, dass dies keine negativen Auswirkungen für die arbeitende Bevölkerung haben muss.
Vor welchen gegenwärtigen wie zukünftigen Herausforderungen steht der deutsche Arbeitsmarkt?
Knop und Mahler: Der demografische Wandel und eine Veränderung der Ausbildungsstruktur stellen den deutschen Arbeitsmarkt vor grundlegende Herausforderungen. Die Generation der Babyboomer wird zu einem großen Teil bis zum Jahr 2030 in den Ruhestand gehen, wodurch sich die Anzahl der Berufstätigen um fünf Millionen Menschen reduziert. Gleichzeitig führt eine Veränderung der Ausbildungsstruktur zum sogenannten Fachkräftemangel: Immer mehr Menschen streben eine hochqualifizierende Ausbildung an, während die Zahl der ungelernten Arbeitnehmer steigt an. So entsteht jedoch ein deutlicher Mangel im Bereich der Ausbildungsberufe, für welche sich immer weniger Menschen qualifizieren. Dieser Effekt trifft auf anhaltend gute Konjunkturaussichten, weshalb davon ausgegangen wird, dass der Bedarf von Arbeitskräften in Zukunft nicht vollständig gedeckt werden kann.
Können Flüchtlinge die bestehenden Problematiken lindern?
Knop und Mahler: Zu dieser Frage gibt die Wissenschaft verschiedene Antworten. Einerseits ist davon auszugehen, dass allein die Anzahl der Geflüchteten nicht ausreicht, um das bestehende Defizit abdecken zu können. Demzufolge könnten die Folgen des demografischen Wandels nur geringfügig gelindert werden. Aufgrund des jungen Alters der Geflüchteten – rund 50 Prozent sind unter 25 Jahre alt – könnten diese die Problematik des demografischen Wandels entzerren. Voraussetzung dafür sind entsprechende Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen.
Welche Chancen und Probleme ergeben sich sowohl im ländlichen als auch im urbanen Raum?
Knop und Mahler: Die Chancen auf eine freie Stelle sind auf dem Land besser, da sich aktuell eine große Abwanderung in die Metropolen vollzieht. Durch bestehende freie Unterkünfte wird zudem vermutet, dass Unterbringung auf dem Land kostensparender und effizienter geschieht. Durch kleinere dörfliche Strukturen besteht zudem die Hoffnung, dass vor allem die Kinder der Familien schnell integriert werden können, was von enormer Bedeutung ist, um die langfristigen Kosten gering zu halten.
Probleme ergeben sich durch die vorhandenen Strukturschwächen auf dem Land. Zum einen besteht teilweise das Problem eines Fachkräftemangels, in anderen Regionen wiederrum eine fehlende Arbeitsmarktnachfrage. In Städten besteht dieses Problem weniger, jedoch kann die Unterbringung in urbanen Gebieten zu ethnischen Enklaven führen. Diese werden in der öffentlichen Wahrnehmung negativ diskutiert, können durch den Abbau von Sprachbarrieren aber zu einer besseren Arbeitsmarkt- und Wachstumsdynamik führen. Diese Komplexität der verschiedenen Argumente zeigt, dass eine einfache, pauschale Lösung nicht möglich ist. Ein Mittelweg muss gefunden werden, um die Vorteile von städtischen und ländlichen Regionen optimal einzusetzen.
In Eurer Arbeit beschäftigt Ihr Euch eingehend mit dem Begriff Humankapital: Was ist darunter zu verstehen?
Knop und Mahler: Im Allgemeinen bezeichnet Humankapital das von Personen durch Erziehung und Ausbildung erworbene Leistungspotenzial. Dieses bezieht sich nicht nur auf die vorhandene Berufsausbildung und ausbildungsgebundene Fähigkeiten und Verhaltensweisen, die eine Person im Laufe ihres Lebens erworben hat. Insgesamt werden alle Faktoren einbezogen, die wirtschaftlich nutzbare Fähigkeiten darstellen.
Was ist in Hinblick auf den Flüchtlingszustrom bei der Implementierung von Humankapital in den deutschen Arbeitsmarkt zu beachten?
Knop und Mahler: Es ist besonders wichtig, den Bestand an Humankapital der einzelnen Personen zu kennen, um deren Möglichkeiten am deutschen Arbeitsmarkt feststellen zu können. Es müssen die Kompetenzen und Fähigkeiten jeder einzelnen Person identifiziert werden. Eine wesentliche Hürde für die Implementierung des Humankapitals, also für die Integration der Geflüchteten in den deutschen Arbeitsmarkt, stellt dieser erste Schritt dar.
Zum heutigen Zeitpunkt wird die Feststellung der Fähigkeiten eines Einzelnen durch beobachtete Arbeit in dafür freiwillig zur Verfügung stehenden Betrieben durchgeführt. Dies ist in den einzelnen Fällen häufig erfolgreich und führte bereits zu ersten Vermittlungen in Betriebe – dieses Konzept auf über eine Million Menschen anzuwenden, würde jedoch enorm viel Zeit in Anspruch nehmen. Was also noch gefunden werden muss, ist eine Methode zur Feststellung der nutzbaren Fähigkeiten eines Einzelnen, welche auf sehr viele Menschen in kurzer Zeit anwendbar ist.
Dass die Berufsausbildung allein nicht über eine mögliche Implementierung des Humankapitals einer Einzelperson entscheidet, zeigt ein einfaches Beispiel: Ein geflüchteter Jurist mag zwar formal eine wesentlich bessere Ausbildung genossen haben als ein KFZ-Mechaniker, der Jurist kennt jedoch die deutsche Judikative nicht. Der KFZ-Mechaniker hingegen wird nach Absolvierung einiger Weiterbildungen recht schnell in Deutschland arbeiten können, da sich sein Tätigkeitsfeld nur gering unterscheidet und das Wissen geografisch unabhängig anwenden lässt.
Wie lautet also Euer Fazit?
Knop und Mahler: Wir haben im Rahmen unserer Arbeit sechs qualitative und quantitative Faktoren herausgestellt, die für die Beurteilung der ökonomischen Konsequenzen von Geflüchteten in Deutschland relevant sind: Kurz- und langfristige Kosten, Entwicklungen am deutschen Arbeitsmarkt und die Dauer der Arbeitsmarktintegration. Davon abhängig sind weiterhin entstehende Effekte auf Angebot und Nachfrage in der deutschen Wirtschaft, die geografische Verteilung und die Anzahl von ankommenden und bleibenden Geflüchteten.
Wie die einzelnen Faktoren zu gewichten sind, ist zurzeit noch unklar und schwer zu beurteilen. Generell gilt es, langfristige Kosten gering zu halten, wofür eine schnelle und erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt entscheidend ist.
Titelbild:
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Bilder im Text:
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