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Dr. Angelica V. Marte ist ausgebildete systemische Beraterin, Wissenschaftlerin und Führungskräfteentwicklerin. Sie arbeitet seit 1996 mit internationalen Unternehmen und Universitäten als Expertin für die Themen „Global Leadership“, „Networks“ und „Diversity“ und als Executive Coach. Sie publizierte und forschte dazu unter anderem an der Universität Witten/Herdecke, der MIT Sloan School of Management und der Universität Zürich. Aktuell ist sie Unternehmerin sowie Gastwissenschaftlerin und Senior Lecturer am Leadership Excellence Institute Zeppelin | LEIZ an der Zeppelin Universität und an der Steinbeis-Hochschule Berlin. Sie engagiert sich als Beirätin an der Donau-Universität Krems (Department für Interaktive Medien), im Supervisory Board des Schweizer Beratungsunternehmens DOIT- Smart und seit 2013 als zertifzierte Lehrtrainerin für systemisches Coaching am Zentrum für systemische Forschung und Beratung (zfsb) in Heidelberg.
Youri Ragwoundon hält mitten im Schritt inne und hebt die Hand. Wir erstarren augenblicklich. Das Zeichen bedeutet zumeist Gutes: die Nähe von Gorillas, Schimpansen oder anderen Affen. Youri lauscht angestrengt. Die Spannung steigt. Schließlich sind wir hier, um genau diese Regenwaldbewohner für eine 3sat-Doku zu filmen. Aber ohne entsprechende Instruktion ist nicht einmal daran zu denken, die Kamera vorzubereiten. Das mussten wir Youri hoch und heilig versprechen. Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, flüstert Youri, dass uns Waldelefanten entgegenkommen. Das ist hier alles andere als ungewöhnlich, zumal wir deren Wegesystem durch den Regenwald benutzen. Die Waldwege sehen zwar täuschend aus wie menschliche Wanderpfade, sind aber das Werk von Elefanten, Rotbüffeln und Gorillas. Im Laufe der Zeit werden sie zu „Elephant Highways“, wie sie Youri nennt. Einmal geschaffen, verwenden sie alle Vierbeiner und – mangels Alternativen – auch Zweibeiner wie wir. Das erhöht die Chance, überhaupt die Tiere des Waldes zu Gesicht zu bekommen, aber eben auch die Gefahr, ihnen unvermittelt zu begegnen.
Safaris in Gabun haben nur wenig mit ihren Vorbildern in Ost- und Südafrika gemein. Dort müssen sich die Reiseunternehmen anstrengen, trotz größter Sicherheit in offenen Jeeps mit häufig bewaffneten Guides so was wie Abenteuerfeeling aufkommen zu lassen. Im Regenwald von Gabun ist es umgekehrt. Hier freuen sich die Eco-Guides, wenn sie und ihre Kunden wieder einmal einen Fotopirschausflug unbeschadet überstanden haben. Viele unternehmen ziemliche Anstrengungen, um wagemutigen Touristen die ungeliebten „Jungle Walks“ auszureden oder wenigstens auf die unmittelbare Nähe des einzigen Regenwaldcamps von Loango zu beschränken. Youri ist eine Ausnahme. Er gilt als der beste Guide für solche Zwecke. Das hat seinen Grund. Youri entstammt einer Jägerfamilie und lernte von Kindheit an, die vielfältigen Zeichen des Waldes und seiner Bewohner richtig zu deuten. Deshalb kennt er vor ihnen keine Furcht. Mit einer Einschränkung: Waldelefanten.
Wir sind seit einer Woche gemeinsam im Herzen des Loango Nationalparks, wo der Ngové-Fluss in den Eshira-Fluss mündet. Zeit genug, um eine Vielzahl an Elefantengeschichten aus seinem Mund gehört zu haben. Sie enden immer gleich: mit befreiendem Lachen und Kopfschütteln: ... nochmal gut gegangen. Zu seinem Leben gehört die Erfahrung von haarigen Begegnungen mit Wildtieren genauso wie Turbulenzen beim Fliegen. In der Trockenzeit von Juni bis September ziehen die meisten Waldelefanten hierher nach Akaka, um sich in den Sümpfen am frischen Papyrus satt zu fressen. Dabei lassen sie sich gefahrlos vom Boot aus beobachten. Aber eben nicht in jener natürlichen Umgebung, der sie nicht nur ihren Namen, sondern auch ihren Körperbau verdanken: dem Wald. Diesem Lebensraum haben sie sich durch ihre kleinere Statur und die langen, geraden Stoßzähne angepasst. Dadurch sind sie im dichten Regenwald wendiger, aber eben auch kleiner als ihre Verwandten in der Savanne. Aber all das ist jetzt ziemlich nebensächlich, wie nicht nur der Gesichtsausdruck von Youri verrät: „Schnell, sie sind gleich hier. Hinter diesen Baum!“, lautet seine Anweisung.
Dann taucht der Rüssel der Leitkuh aus dem Blätterwerk auf. Sie kann uns nicht sehen, aber mit großer Wahrscheinlichkeit riechen. Wenn die Situation noch nicht für erhöhten Puls gesorgt hat, dann schafft es ihr wütendes Trompeten und empörtes Kopfschütteln endgültig. Einen Augenblick später ist sprichwörtlich die Hölle los. Es hört sich an, als würde ein Lastenzug mitten durch den Regenwald brechen. Zum Glück in die richtige Richtung, aus unserer Sicht. Nämlich in die Flucht. Das zaubert ein erleichtertes Lächeln in Youris Gesicht: „Das waren mindestens sechs bis sieben Elefanten, wahrscheinlich mehrere Kühe mit Jungtieren.“ Gerade junge, noch nicht selbstständige Bullen sind jedoch das Problem. Sie wollen ihrer Herde offenbar beweisen, was sie schon draufhaben und greifen oftmals an.
Normalerweise finden solche „Walking Safaris“ nur in Begleitung von mindestens zwei Eco-Guides statt. Im Falle von Begegnungen mit potenziell gefährlichen Tieren kümmert sich einer der beiden um die Touristen, während dem Leiter der Mini-Expedition die undankbare Aufgabe zukommt, die Aufmerksamkeit der Wildtiere auf sich zu ziehen. Im konkreten Fall wäre das schlicht lebensgefährlich gewesen. Für Youri gehört es offenbar zum Berufsrisiko: „Das ist doch mein Job und glaubt mir, ich liebe nichts mehr als das“, erklärt er überzeugend. Eco-Guides, die in Loango immer unbewaffnet sind, gelten als Seele dieses Nationalparks, der mit Fug und Recht als eines der an Wildleben und Artenvielfalt reichsten Naturschutzgebiete Afrikas bezeichnet wird. Sie arbeiten zwar für die einzige Lodge im Nationalpark. Diese wird aber im Auftrag der Nationalparkbehörde betrieben. Daher kooperieren sie eng mit der Parkverwaltung. Jede verdächtige menschliche Aktivität wird umgehend den Rangern gemeldet. Deshalb kommt Wilderei in Loango kaum vor.
Die Guides gehören allesamt zur lokalen Gemeinschaft und vertreten die Interessen des Naturschutzes. Wie in vielen Teilen Afrikas bedeutet effektiver Tierschutz durch Nationalparks und Wildreservate gravierende Einschränkungen für die Lokalbevölkerung. Jagd ist nunmehr innerhalb der Parkgrenzen generell verboten; Fischfang und die Entnahme natürlicher Ressourcen wurden stark eingeschränkt. Das macht den Tier- und Naturschutz auch in Gabun höchst unpopulär, weil die Kosten überwiegend die ohnehin arme Landbevölkerung trägt, während der Nutzen überwiegend ausländischen Touristen zugutekommt. Noch steckt der Tourismus in dem zentralafrikanischen Staat an der westlichen Atlantikküste in den Kinderschuhen. Daher sind es nur die wenigen Hotelbesitzer, Guides, Lodge- und Nationalpark-Angestellten, die davon unmittelbar profitieren. Wenn es jedoch eine allgemeine Regel für erfolgreichen Arten- und Naturschutz in Afrika gibt, dann diese: Ohne Unterstützung durch die Lokalbevölkerung existieren die schönsten Nationalparks und Wildreservate nur auf dem Papier und sind letztlich zum Scheitern verurteilt.
In Gabun steht dabei mehr auf dem Spiel als „nur“ die Existenz von Waldelefanten und Flachlandgorillas. Die Gesamtfläche des Landes von mehr als 267.000 Quadratkilometern ist zu knapp 80 Prozent von Regenwald bedeckt. Dieser gehört zum äquatorial-afrikanischen Regenwaldgürtel, der hier zwar deutlich geringer schrumpft als in der Amazonasregion, aber immer noch rund 7.000 Quadratkilometer jährlich verliert. Nur Gabun hält im Unterschied zu seinen Nachbarländern Äquatorialguinea, Kamerun, der Republik Kongo und der Demokratischen Republik Kongo seine Gesamtwaldfläche stabil. Das erstaunt, wenn man durch das Land reist. Lkw-Kolonnen mit gefällten Urwaldriesen begegnen einem mehrmals täglich auf den Überlandstraßen. Ebenso wie oft kilometerlange Holztransporte auf der Transgabonais, Gabuns einziger Zugstrecke zwischen Franceville im Osten und der Hauptstadt Libreville im Westen. Nach der Ölindustrie ist die Holzwirtschaft der zweitwichtigste Exportsektor und wichtigste Arbeitgeber (für fast ein Drittel der erwerbstätigen Bevölkerung).
Der scheinbare Widerspruch löst sich folgendermaßen auf: Gabun entnimmt dem Regenwald nur die wirtschaftlich wichtigen Hölzer, ohne ganze Waldgebiete zu entwalden. Das führt jedoch zu einer drastischen Verschlechterung des Waldbestandes. Nur noch 30 Prozent des Waldes sind nach Schätzungen eines hohen Naturschutzbeamten intakter Regenwald. Doch selbst diese Gebiete sind nicht mehr Primärwald – das heißt „Urwald“ im Wortsinn. Die Auswirkungen für die Biodiversität und den Artenschutz sind gravierend, aber kaum erforscht. Wer mit Kleinbauern in den Dörfern spricht, hört jedoch, dass sich das Elefantenproblem durch die Verschlechterung des Waldes deutlich erhöht hat. Werden die großen Fruchtbäume gefällt, sind die Waldelefanten geradezu gezwungen, sich bei den Obstbäumen auf menschlichen Plantagen schadlos zu halten. Gorillas, Schimpansen und andere Affenarten trauen sich hingegen kaum in menschliche Nähe. Sie nehmen still und leise in ihrem Bestand ab.
Laut National Geographic sterben weltweit pro Jahr bis zu 6.000 Regenwald-Arten aus. Damit ist Gabun hinsichtlich des Kampfes gegen den Klimawandel zum einen systemrelevant, zum anderen ein seltenes Positivbeispiel, an dem sich andere Staaten orientieren könnten. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist die Entscheidung für das staatliche Konzept des „Grünen Gabun (Green Gabon)“ nicht nur beim Artenschutz und zukünftigen Tourismus eine absehbare Erfolgsgeschichte, sondern auch in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung. Noch wurden zwar keine verbindlichen Entscheidungen hinsichtlich des weltweiten Emissionshandels getroffen, aber Gabun steht in den Startlöchern. Zukünftige Generationen könnten von den vorausblickenden Umweltschutzmaßnahmen zu Beginn des Jahrtausends auf lange Sicht profitieren. Im Jahr 2002 erklärte der frühere Präsident 13 Naturschutzgebiete mit einer Fläche von rund 11 Prozent des Landes zu Nationalparks und schuf damit die Grundlage für das Entwicklungskonzept von „Green Gabon“ mit seinem Motto: „Gabon, designed by Nature“.
Kaum jemand scheint berufener, die staatlichen Vorgaben zu skizzieren, als Professor Lee White, Gabuns Umweltminister, zu dessen Portfolio auch der Kampf gegen den Klimawandel gehört: „Unter Green Gabon verstehen wir nachhaltige Forstwirtschaft, nachhaltige Fischerei und klimaneutrale Landwirtschaft, zudem die Erhaltung der Nationalparks und der Wildtiere. Gabun hat viele Naturattraktionen, wo wir Ökotourismus entwickeln können, statt Bäume zu fällen. Wo sonst kommen Waldelefanten zu den Meeresstränden und lassen sich an einem einzigen Tag mit Flachlandgorillas, Schimpansen und Buckelwalen beobachten? Wir wollen versuchen, die richtige Balance zu finden.“
Zum Portfolio von Gabuns „unwahrscheinlichem“ Umweltminister – wie ihn die Lokalpresse bezeichnete – gehören auch die Wälder, Meeresgebiete und der Klimaschutz. Das zwingt ihn dazu, gegensätzliche Interessen unter einen Hut zu bekommen. Als zehnter Umweltminister innerhalb von zehn Jahren weiß er über die Schleuderstuhleigenschaften seines Amtes Bescheid. Wer sich mit der Holzindustrie und anderen wirtschaftlich Mächtigen anlegt, biegt unverzüglich in die Verliererstraße ein. Sein politischer Spielraum ist die „Machbarkeit des Möglichen“. Darüber mag man denken, wie man will – für alle mit Naturschutz befassten Personen, mit denen wir auf unseren Gabun-Reisen gesprochen haben, gilt der britisch-gabunische Doppelstaatsbürger als eine Art „Umweltheiliger“, der in führender Funktion die 13 Nationalparks des Landes mitgestaltete.
Lee Whites Biografie hört sich im persönlichen Interview an wie ein Abenteuerroman: Geboren in England, zog er mit seinen Eltern im Alter von drei Jahren nach Uganda, ging mit den Söhnen von Idi Amin zur Schule, betrieb Primatenforschung in Sierra Leone, half Nigerias Nationalparks aufzubauen, und kam vor 30 Jahren für sein Doktorat über Waldelefanten nach Gabun. Danach wurde er zum Repräsentanten bei den UN-Klimakonferenzen bestellt, dann zum Direktor der neu geschaffenen Nationalparkverwaltung und schließlich zum Minister für Wald, Meer, Umwelt und Klimawandel.
Letzteres bereitet ihm die größten Kopfschmerzen, obwohl Gabun noch kaum vom Klimawandel betroffen ist. Die gewaltige Bedrohung besteht in den Auswirkungen des Klimawandels auf die nördlichen Nachbarländer. Wenn sich die Sahelzone immer weiter ausdehnt und der Meeresspiegel steigt, werden die großen Flüchtlingsbewegungen eher nicht gen Norden (nach Europa) gehen, sondern gen Süden in den fruchtbaren Regenwaldgürtel des Kongobeckens: „Unsere Wälder und Wildtiere werden keine Chance haben“, so der vorausblickende Ökologe und Politiker, „die Ankunft Millionen hungriger Menschen zu überleben.“
Der Erhalt des Regenwaldes mit all seiner biologischen Vielfalt ist Grundlage des Klimaschutzes in ganz Afrika. Seine Existenz sorgt für Regen bis in die Sahelzone. Das kaum bekannte Gabun hat damit globale Bedeutung für den Klima- und Artenschutz. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Gabun ist mit 88 Prozent Waldfläche das am zweitstärksten bewaldete Land der Welt (nach Surinam), besitzt damit 12 Prozent des afrikanischen Regenwaldes, in dem rund die Hälfte aller noch existierenden Waldelefanten leben – neben 30.000 Gorillas und 35.000 Schimpansen. Der Wildtierschutz ist hier nicht rein ethisch begründet, sondern eine Notwendigkeit für die Reproduktion der Biomasse. Laut einer im Wissenschaftsmagazin „Nature“ veröffentlichten Studie würde die Ausrottung der Waldelefanten allein die Biomasse der zentralafrikanischen Regenwälder um 7 Prozent verringern. Mit ihren Ausscheidungen von Samen und unverdauten Früchten sorgen sie ebenso wie Gorillas für den Erhalt der Vegetation.
Daran denkt kaum jemand, dem das Privileg zukommt, die faszinierenden Waldtiere in ihrem natürlichen Lebensraum zu beobachten. Dazu sind ihre Verhaltensweisen viel zu emotional berührend. Selbst erfahrenen Gorillaforscherinnen wie Sarah Banet-Eugene aus Paris stehen Tränen der Rührung in den Augen, wenn sie Gorillababys bei ihren beliebten Ringeltänzen erleben. Doch wie so oft in Gabuns Regenwäldern muss man sich dieses Privileg auch hart erkämpfen. Nach einigen Wochen konnten wir den Gesichtsausdruck der Guides und Fährtenleser immer besser lesen. Wenn sich die Sorgenfalten unseres Trackers bei der Walkie-Talkie-Kommunikation mit den Max-Planck-Wissenschaftlern vertiefen, dann bedeutet das immer Ärger. Sarah, der Max-Planck-Forscherin und Betreuerin von Touristen kommt die undankbare Aufgabe der Übermittlung schlechter Nachrichten zu: „Unsere“ Gorillagruppe hat sich offenbar entschlossen, den Sumpf zu überqueren. Dabei tun sich Gorillas wesentlich leichter als Menschen, wie Sarah nur zu gut aus Erfahrung weiß. Ihren Vorschlag, umzukehren und an einem anderen Tag wiederzukommen, schlagen wir leichtfertig aus. Eine halbe Stunde später kennen wir den Unterschied zwischen einer Sumpfüberquerung (von Gorillas) und einer Sumpfdurchquerung (von Menschen) genau.
Aber dann ist es soweit. Zwei Max-Planck-Mitarbeiter erwarten uns schon am anderen Ende. Nach der Entfernung einiger Blutegel und der Verarztung kleinerer Wunden führen sie uns zur Atananga-Gruppe. Die Verhaltensforscher machen sich die durchaus Menschen-ähnlichen Tagesläufe der Gorillas zunutze und folgen ihnen während der üblichen Arbeitszeit (von 9 bis 17 Uhr), wenn sich die Familie auf der Suche nach reifen Früchten und anderem Essbaren durch den Wald „arbeitet“. Seit mehr als zehn Jahren folgt ein gemischtes Team aus lokalen und internationalen Primatenspezialisten täglich einer ausgewählten und an Menschen gewöhnten Gorillafamilie. Jedes, aber auch wirklich jedes Verhalten wird genauestens dokumentiert und später ausgewertet. Derzeit dürfen nur jene Mitarbeiter Kontakt zu den Gorillas halten, die nachweislich nicht mit dem Coronavirus in Kontakt gekommen sein können.
Seit 2016 durften – bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie – auch maximal vier Touristen täglich für eine Stunde die habituierte Gorillafamilie besuchen – gegen gutes Geld (circa 500 Euro pro Person), das sowohl dem Nationalpark als auch der Forschung zugutekommt. Die Gewöhnung an den Menschen beruht auf einer zeitaufwendigen und intensiven Vertrauensarbeit, die mehrere Jahre in Anspruch nimmt. Nicht an Menschen habituierte Gorillas kann man allenfalls hören, aber so gut wie nie zu Gesicht bekommen. Dazu wissen sie den Menschen als wahren Superkiller unter allen Lebewesen nur zu gut einzuschätzen. Schon beim leisesten Anzeichen flieht die gesamte Familie. Wenn das Aufeinandertreffen überraschend erfolgt, ist den menschlichen Besuchern ein in Mark und Bein gehender Scheinangriff des dominierenden Silberrücken so gut wie sicher: King Kong im wirklichen Leben. Gewöhnte Familien lassen hingegen die Menschen beinahe an ihrem Alltag teilhaben. Eines steht fest: Diese Stunde mit den Menschenaffen gehört zu den kürzesten, aber zugleich eindrücklichsten Erlebnissen der allermeisten Besucher – eine „life changing“ Erfahrung auf Lebenszeit. Erst danach versteht man, warum die meisten Menschen einen entrückten Gesichtsausdruck bekommen, wenn sie von ihren jeweils persönlichen Erfahrungen bei der Begegnung mit unseren nahen Verwandten erzählen.
Die Möglichkeit, mit Flachlandgorillas und Waldelefanten auf Tuchfühlung zu gehen, Nilpferden bei Strandspaziergängen zuzusehen und Tage lang mit kleinen Booten durch das verzweigte System der Lagunen auf der Suche nach westafrikanischen Panzerkrokodilen und anderen seltenen Tierarten zu fahren, macht Loango zum Kronjuwel unter Gabuns Nationalparks. Auch wenn andere Parks wie Lopé oder Ivindo einiges zu bieten haben, sticht Loango mit seinen langen Küstenabschnitten und seinem marinen Leben als besonders vielfältig hervor. Gäbe es da nicht die Seuche der globalen Plastikvermüllung des Meeres, wäre Loango ein Naturparadies ohne Wenn und Aber. Diese wird zu einem guten Teil andernorts verursacht und mit den Meeresströmungen des Benguelastroms an die Hunderte Kilometer langen Sandstrände Gabuns gespült. Trotzdem: Dieses Land ist – in Youris Worten – „eine wahre Schatztruhe des Regenwaldes“. Wie bei allen verbliebenen Schätzen gehört ihre akute Bedrohung offenbar leider zur Gegenwart.
Die rasante Ausbreitung des Coronavirus hat dabei noch unabsehbare Konsequenzen. Menschenaffen wie Gorillas und Schimpansen könnten für den Virus empfänglich sein. Im Jahr 1995 starben geschätzte 90 Prozent der Gorillas in den nördlichen Nationalparks am Ebolavirus. Daher ist es verständlich, dass bis auf Widerruf keine Gorillatouren erlaubt sind, auch nicht seitens der Landesbevölkerung. Aber auch die Folgen der Reisebeschränkungen sind dramatisch genug. Große Teile der Lokalgemeinschaften am Rande des Loango Nationalparks leben vom Tourismus. Fallen diese Einnahmen weg, wird die Akzeptanz des Schutzgebietes und der damit verbundenen Einschränkungen für die Bevölkerung bei der Jagd und im Fischfang noch mehr abnehmen. Auch ohne Coronavirus tragen die Menschen in der Nachbarschaft der Wildreservate die größten Kosten des Umweltschutzes. Das weist allgemein darauf hin, wie wichtig die Inklusion von lokalen Gemeinschaften und Nationalparkverwaltungen in die Agenden des Natur-, Arten- und Klimaschutzes wäre. Dieser Aspekt wird in vielen internationalen Bestrebungen und leider auch in Teilen des Tourismussektors sträflich vernachlässigt.
TV-Tipp: Die Dokumentation „Gabun – Der Schatz im Regenwald“ wird am Montag, 17. August, um 21 Uhr auf 3sat ausgestrahlt.
Titelbild:
| Mylon Ollila / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
Bilder im Text:
| Dr. Angelica V. Marte und Werner Zips (Alle Rechte vorbehalten)
Beitrag (redaktionell unverändert): Dr. Angelica V. Marte und Werner Zips
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm