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Julia Felfeli studierte im Bachelor Psychologie in Tübingen mit Schwerpunkten auf Wissens-, Kommunikations- und Medienpsychologie sowie klinischer Psychologie. Auch ihren Master absolvierte sie in Tübingen mit Schwerpunkten auf allgemeiner Psychologie und Medienpsychologie. Seit Dezember 2016 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialpsychologie der Zeppelin Universität. Im Juni 2020 schloss sie ihre Promotion im Rahmen des DFG-Projekts „Psychoeconomics“ ab. Seit März 2019 arbeitet sie im durch die VolkswagenStiftung geförderten Projekt „Deciding about, by and together with algorithmic decision making systems“.
Menschen begegnen in ihrem alltäglichen Leben zwei Problemen, die zu negativen Konsequenzen führen können. Zum einen tendieren Menschen dazu, sich selbst zu überschätzen – was im englischsprachigen Raum als Overconfidence bezeichnet wird. So überschätzen Studierende ihre Leistungen in Klausuren oder Investmentbanker ihre Fähigkeiten bei Investitionen. Overconfidence ist jedoch nicht bei allen gleich ausgeprägt: Wissenschaftliche Studien haben mehrfach belegt, dass Männer zu Overconfidence tendieren, während Frauen eher zu Underconfidence neigen.
Das zweite Problem ist die Abweichung von rationalen Entscheidungen hin zu einfachen Entscheidungsregeln, die zu suboptimalen Ergebnissen führen können. Aus der Perspektive der Ökonomie sollten Entscheidungsträger ihr bereits vorhandenes Wissen mit neu hinzukommenden Informationen integrieren, um zu einer optimalen Lösung zu kommen. Jedoch ist dies in der Realität oft nicht der Fall. Menschen bedienen sich in vielen Situationen einfachen und kognitiv weniger anstrengenden „Daumenregeln“ – auch Heuristiken genannt. Eine besonders häufig auftretende Heuristik ist die Reinforcement Heuristik: Dabei werden Erfolg bringende Entscheidungen wiederholt und Entscheidungen, die zu Misserfolgen führen, vermieden. Meine Dissertation am Lehrstuhl für Sozial- und Wirtschaftspsychologie (von Professorin Dr. Anja Achtziger) beschäftigt sich mit diesen beiden Problemen, genauer gesagt damit, welche kognitiven Prozesse ihnen unterliegen und welche Interventionsmaßnahmen wirksam sind.
In drei experimentellen Studien wurde untersucht, welche Prozesse Overconfidence unterliegen, wie sich diese Prozesse zwischen Männern und Frauen unterscheiden und wie monetäre Anreize auf Overconfidence wirken. Studierende beantworteten dabei allgemeine Wissensfragen und bewerteten für jede Frage, wie sicher sie sich bezüglich der Korrektheit ihrer jeweiligen Antwort sind. Anhand der Reaktionszeiten wurden Rückschlüsse auf die unterliegenden Prozesse gezogen: Kurze Reaktionszeiten sprechen für automatische und längere Reaktionszeiten für kontrollierte Verarbeitungsprozesse.
| In einer ersten Studie zeigt sich, dass Männer, die ihre Einschätzung zügig abgaben, eher zu Overconfidence tendieren als Männer, die sich mehr Zeit für ihre Einschätzung nahmen. Für Frauen allerdings lässt sich nicht dieselbe Tendenz feststellen.
| In einer zweiten Studie erhielten die Hälfte der Studierenden einen monetären Anreiz für eine gute Leistung im Wissenstest. Die Ergebnisse belegen jedoch, dass der monetäre Anreiz, der nur auf der Leistung und nicht auf der akkuraten Einschätzung basiert, Overconfidence nicht reduziert. Männer präsentierten sich overconfident, während Frauen underconfident waren. Die Studie beweist auch, dass Männer, die mehr Zeit in ihre Einschätzung investierten, ihre Leistung realistischer einschätzten. Frauen dagegen zeigten mehr Underconfidence, je länger sie für die Einschätzung ihrer Leistung brauchten. Dies ist ein klarer Indikator dafür, dass Overconfidence bei Männern einem automatischen Verarbeitungsprozess unterliegt, während Underconfidence bei Frauen auf einem kontrollierten Verarbeitungsprozess basiert.
| In einer dritten Studie war der monetäre Anreiz nicht an die Leistung, sondern an die Akkuratheit der Einschätzung gebunden. Überraschenderweise waren sowohl Männer als auch Frauen overconfident, wenn ein monetärer Bonus von ihrer Einschätzung abhing. Die Ergebnisse zeigen, dass der monetäre Anreiz nur bei mittelschweren Fragen zu einer Reduktion der Overconfidence führt.
Zusammenfassend demonstrieren die Ergebnisse, dass sich die unterliegenden kognitiven Prozesse zwischen Männern und Frauen unterscheiden, was weitreichende Implikationen für Interventionsmaßnahmen hat.
Zur Erforschung des zweiten Problems, der Abweichung von rationalen Entscheidungen, wurden zwei Interventionsmaßnahmen untersucht. Dabei bearbeiteten Studierende eine Entscheidungsaufgabe. Zuvor stellten sie sich entweder eine Intention zur Zielverfolgung oder eine Intention zur Planverfolgung. Es wurde angenommen, dass diese beiden Intentionen rationale Entscheidungen fördern. Zusätzlich wurde die Hirnaktivität der Studierenden durch Elektroenzephalographie gemessen, um die neuronalen Prozesse des Reinforcement Learning zu untersuchen. Die Ergebnisse lassen erkennen, dass die Intentionen zwar keinen Einfluss auf die Anzahl der Fehler durch die Reinforcement Heuristik haben. Auf neuronaler Ebene zeigt sich aber, dass die Intentionen – im Gegensatz zu den Erwartungen – das Belohnungslernen und somit die Reinforcement Heuristik fördern. Dies war sehr überraschend, da ein gegenteiliger Effekt erwartet wurde. Aus den vorliegenden Ergebnissen lässt sich schließen, dass bei dem Einsatz von Intentionen zur Förderung rationaler Entscheidungen Vorsicht geboten ist, da diese falsch interpretiert werden und somit einen gegenteiligen Effekt erzielen können.
Zusammenfassend hat die Dissertationsschrift die Diskussion um potenzielle Interventionsmaßnahmen zur Reduktion von Selbstüberschätzung und zur Förderung rationaler Entscheidungen vorangetrieben. Die unterliegenden kognitiven Prozesse sind entscheidend sowohl bei der Untersuchung dieser Phänomene als auch bei der Entwicklung von Interventionsmaßnahmen.
Titelbild:
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Bild im Text:
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Beitrag (redaktionell unverändert): Dr. des. Julia Felfeli
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm