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Seit 2009 leitete Prof. Dr. Marcel Tyrell das Buchanan Institut für Unternehmer- und Finanzwissenschaften an der Zeppelin Universität. Vorher lehrte er unter anderem an der Universität Frankfurt, der University of Pennsylvania und der European Business School. Schwerpunktmäßig forscht er zu Veränderungen von Finanzsystemstrukturen, mikro- und makroökonomischen Auswirkungen von Finanzkrisen und der Verschuldungsdynamik von Volkswirtschaften. 2017 übernahm er den Lehrstuhl Banking and Finance an der Universität Witten/Herdecke und blieb der Zeppelin Universität als Gastprofessor für Economics of Financial Institutions erhalten.
Mit der Vergabe des Wirtschaftsnobelpreises an Milgrom und Wilson wird zugleich eine Forschungsrichtung ausgezeichnet, die in ihren verschiedenen Facetten schon mehrfach vom Nobelpreiskomitee berücksichtigt wurde: Das Design von Marktmechanismen und Marktplätzen in modernen Volkswirtschaften vor dem Hintergrund von vielfältigen Marktversagen, welches unter Umständen auch eine fehlende Funktionsfähigkeit von Preisen als Allokationsmechanismus einschließt.
Der Hintergrund ist folgender: Auktionen als eine spezielle Form eines Tauschmechanismus spielen seit Langem eine wichtige Rolle im wirtschaftlichen Leben. Wie auch das Nobelpreiskomitee in seiner Würdigung erwähnte, wurden schon im antiken Rom vom säumigen Schuldner konfiszierte Vermögensgegenstände im Rahmen von Auktionen seitens der Kreditgeber versteigert. Zudem hatten sich danach im Laufe der Zeit eine Vielzahl von unterschiedlichen Auktionstypen herausgebildet, die sich in ihren Auktionsregeln grundsätzlich unterscheiden. Die sogenannte englische Auktion bezeichnet zum Beispiel ein Regelwerk, in der der Auktionator mit einem niedrigen Preisaufruf für das Objekt beginnt und die Interessenten sich dann auf der Basis von öffentlich abgegebenen Angeboten gegenseitig überbieten, während in der holländischen Auktion der Auktionator hingegen mit einem sehr hohen Preis startet, um ihn daraufhin zu senken, bis ein Interessent zuschlägt. Auktionen können weiterhin danach unterschieden werden, ob der Gewinner den höchsten oder zweithöchsten Preis zahlt, es gibt Auktionstypen, in denen die Angebote der Konkurrenten nicht gegenseitig einsehbar sind. Öffentliche Aufträge werden oft nach dem Besten-Preis-Prinzip in Form von versiegelten Geboten seitens der Konkurrenten vergeben. Gegeben die Vielzahl an Auktionstypen war in den Wirtschaftswissenschaften sehr lange unklar, welches Auktionsformat das „beste“ ist, was auch damit zu tun hat, dass der Gütemaßstab nicht eindeutig feststeht.
Hier hat sich jedoch mit der nicht-kooperativen Spieltheorie ein Analyseinstrument herauskristallisiert, welches nicht nur seit den 1950er-Jahren immer mehr Eingang in die Wirtschaftswissenschaften gefunden hat, sondern welches sich gerade auch zur systematischen Analyse von Auktionen im Sinne von Regelwerken zur Allokation von bestimmten Objekten und Dienstleistungen anbot. Somit steht der diesjährige Nobelpreis in der Tradition der Preisträger von 1994, John Harsanyi, John F. Nash Jr. und Reinhard Selten, die für die Grundlagenentwicklung der nicht-kooperativen Spieltheorie ausgezeichnet wurden, und des Nobelpreisträgers von 1996, William Vickrey, der die Auktionstheorie als festen Bestandteil der Wirtschaftswissenschaften in den 1960er-Jahren etablierte.
Die Auktionstheorie beschäftigt sich grundsätzlich mit der Frage, wie das Ergebnis einer Auktion erstens von seinem Regelwerk, zweitens den Eigenschaften des zu auktionierenden Objektes und drittens der damit verbundenen Informationsverteilung über den Wert, den verschiedene Interessenten dem Objekt beimessen, abhängt. Zu diesen Fragestellungen haben Milgrom und Wilson fundamentale Erkenntnisse beigesteuert, die heutzutage in einer Vielzahl von Auktionssystemen Anwendung finden. So haben sie in gemeinsamen Arbeiten spieltheoretisch analysiert, welchen Einfluss der „Fluch des Gewinners“ (winner’s curse) auf das Ergebnis einer Auktion hat und wie man durch die Auktionsregeln dessen Bedeutung einschränken kann. Der Fluch des Gewinners beschreibt das Phänomen, dass in einer Wettbewerbsauktion der Gewinner einer Auktion oft den Wert des gesteigerten Objektes im Vergleich zu seinen Mietbietern überschätzt und im Nachhinein einen Verlust aus dieser Überschätzung zu tragen hat. Die Gefahr des winner’s curse, der sich Bieter bewusst sind, führt ex-ante zu vorsichtigerem Verhalten von potenziellen Interessenten im Bietprozess und kann somit im Extremfall den Gesamterfolg der Auktion gefährden. Milgrom und Wilson konnten – jeweils abhängig von unterschiedlichen Konstellationen der Auktionsteilnehmer hinsichtlich der Informationsverteilung und Wertzuschreibung in Bezug auf das zu versteigernde Objekt – aufzeigen, wie das Mikrodesign einer Auktion die Erlöse aus den zu versteigernden Objekten beeinflussen kann. Sie haben also wie Ingenieure neue Auktionsformate zielgerichtet entwickelt.
Das bekannteste Beispiel ist die Versteigerung von Mobilfunknetzen durch den Staat. In früheren Zeiten wurden privatwirtschaftlich wertvolle Funkfrequenzen, die als öffentliches Gut der Gemeinschaft gehören, seitens der jeweiligen staatlichen Institutionen typischerweise über Lizenzvereinbarungen freihändig gegen Gebühren auf Zeit an Telekommunikationsunternehmen vergeben. Dies führte oftmals zu wohlfahrtsreduzierendem Lobbyismus und Korruption sowie – gemessen am Wert der Frequenzen – sehr niedrigen Preisen. Zudem waren die Wettbewerbswirkungen auf den Telekommunikationsmarkt aus Sicht der Konsumenten häufig äußerst fragwürdig, so dass in der Folge Telekommunikationsunternehmer, die häufig auch wegen enger Nähe zu staatlichen Institutionen und Entscheidungsträgern die Zuteilung von Lizenzen bekamen, nahezu unermesslichen Reichtum anhäufen konnten. Als ein Beispiel unter mehreren sei der mexikanische Unternehmer Carlos Slim genannt, der mit der Zuteilung von mexikanischen Telekommunikationslizenzen zu einem erstaunlich niedrigen Preis den Grundstein dafür legte, dass er 2007 als reichster Mann der Welt galt und dessen Vermögen sich 2019 noch immer auf mehr als 60 Milliarden Dollar belief.
Einem solchen, unter Umständen abgekarteten Spiel haben Milgrom und Wilson mit dem für die amerikanische Telekommunikationsaufsichtsbehörde im Jahre 1993 entwickelten Design einer spezifischen Auktion für die Versteigerung von Mobilfunkfrequenzen, welches den komplexen Produkt- und den Wettbewerbsbedingungen in diesem Markt Rechnung trägt, ein Ende gesetzt. Mit diesem Auktionsformat hat der amerikanische Staat dann allein im Zeitraum von 1994 bis 2014 Erlöse in Höhe von 120 Milliarden Dollar erwirtschaftet, die letztlich dem Steuerzahler zugutekommen. Weltweit wurden sogar mehr als 200 Milliarden Dollar an Einnahmen generiert.
Allgemein ausgedrückt haben Milgrom und Wilson mit vielschichtigen mathematischen Modellen auf Basis spieltheoretischer Erkenntnisse spezielle Auktionsformate entwickelt, die gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen für die Verteilung spezifischer Güter und Dienstleistungen ernst nehmen und darauf konditioniert bestmögliche Resultate erbringen. Dies ist Grundlagenforschung im besten Sinne, die zudem eine hochgradige Praxisrelevanz in einer Fülle von Anwendungsfeldern aufweist. Immer dann, wenn die Verteilung komplexer Produkte und Dienstleistungen in einem herausfordernden Marktumfeld organisiert werden soll oder wenn ein einfacher Preismechanismus zu Marktversagen führt beziehungsweise Preise aufgrund von gesellschaftlichen Moral- und Wertvorstellungen nicht die Allokation bestimmen sollten, finden die Erkenntnisse von Milgrom und Wilson Eingang in die Analyse und Gestaltung von Allokationsmechanismen. Milgrom und Wilson stehen damit auch in der Tradition der Nobelpreisvergabe aus den Jahren 2007 und 2012, in denen die Grundlagenforschung im Bereich der Mechanismus-Design-Theorie (Leonid Hurwicz, Eric Maskin, Roger Myerson (2007)) beziehungsweise deren Anwendung auf die Gestaltung von Marktplätzen zur Behebung von Marktversagen (Alvin Roth, Lloyd Shapley (2012)) ausgezeichnet wurde. So ist zum Beispiel Alvin Roth federführend in der Analyse der Gestaltung von Allokationsmechanismen für Spendernieren, also ein „Marktdesign“, in dem aus wohlverstandenen Gründen der Preismechanismus keine Rolle spielen sollte.
Robert Wilson ist so etwas wie der Gründungsvater des Fachgebietes „Design Economics“. Er war der Doktorvater und Mentor sowohl von Paul Milgrom als auch von Alvin Roth. Zudem betreute er Bengt Holmström, der zusammen mit Oliver Hart für seine Beiträge zur optimalen Gestaltung von Verträgen im Jahre 2016 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, hier wurde durch ihn eine Schule gegründet.
Der Ökonom als Ingenieur, der Allokationsmechanismen mit klar definierten gesellschaftlichen Zielsetzungen entwirft und gestaltet, wird heute dringender denn je gebraucht. In der Corona-Krise kommt es beispielsweise bei der Verteilung wichtiger medizinischer Güter gerade nicht auf maximalen Wettbewerb oder den höchsten Preis an, sondern hier spielen Moral- und Gerechtigkeitsüberlegungen eine dominante Rolle, ganz gleich ob es sich um Beatmungsgeräte, Medikamente oder Impfstoffe handelt. Es ist deshalb keine Überraschung, dass aktuell die Nobelpreisträger Milgrom und Wilson sowie ihre Schüler mit Hochdruck an Allokationsmechanismen zur Verteilung dieser Güter auf nationaler und weltweiter Ebene arbeiten und ihre Vorschläge in die Diskussion einbringen. Die Politik zeigt sich an den Erkenntnissen hochinteressiert, und man kann nur hoffen, dass auf den Ratschlag dieser Ökonomen auch gehört wird.
Eines hat jedoch dieses Jahr in Bezug auf das Design der Preisbekanntgabe des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaft nicht geklappt. Wie weithin bekannt, werden die Preisträger immer am Morgen vor der offiziellen Bekanntgabe, die um 11:00 Uhr europäischer Zeit erfolgt, per Telefon vom Nobelpreiskomitee aus Stockholm über die Verleihung informiert. Verzweifelt versuchte das Komitee Paul Milgrom in Stanford, wo er lebt, telefonisch zu erreichen. Dieser hatte jedoch für die Nacht sein Telefon ausgeschaltet, um in Ruhe schlafen zu können. Der nur ungefähr hundert Schritte entfernt in direkter Nachbarschaft wohnende und schon über die eigene Preisnominierung in Kenntnis gesetzte Robert Wilson wurde daraufhin eingeschaltet. Er eilte quasi im Schlafanzug zu Fuß zum Haus von Paul Milgrom und klingelte dort Sturm, bis er diesen geweckt hatte und ihn darüber informieren konnte, dass er den Nobelpreis verliehen bekommen hat. Wie besagt doch das bekannte deutsche Sprichwort: Dem Ingenieur ist nichts zu schwer.
Titelbild:
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Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Marcel Tyrell
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm