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Professor Dr. Jarko Fidrmuc ist gebürtiger Slowake und absolvierte zunächst ein Studium der Wirtschaftswissenschaften in seiner Heimatstadt Bratislava, bevor er 2000 an der Universität Wien promoviert wurde. In seiner Doktorarbeit befasste er sich mit der Integration Osteuropas in die Europäische Union. Im Jahr 2005 wurde er als Professor für Politische Ökonomie mit Schwerpunkt Osteuropa an die Volkswirtschaftliche Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München berufen. 2013 hat Fidrmuc an der Zeppelin Universität seine Arbeit als neuer Inhaber des ZEPPELIN-Lehrstuhls für Internationale Wirtschaftstheorie und -politik aufgenommen.
Unsere bisherigen Forschungsergebnisse zeigen einen positiven und signifikanten Zusammenhang zwischen Wohnkosten und dem Aufkommen von Home-Sharing-Plattformen wie Airbnb. Auch Ride-Sharing-Plattformen wie Blabla-Car, Uber, Bolt oder Lyft lösen neben Begeisterung oft auch heftige Kritik bei den Nutzern aus. Dabei wird diesen Sharing-Angeboten die Entwicklung eines neuen Billiglohnsektors und die Unterminierung der heimischen Taxiwirtschaft sowie des ÖPNV vorgeworfen. Entsprechend werden immer häufiger gesetzliche Initiativen bis hin zu Verboten gegen die Sharing Economy angestoßen. Bei aller Kritik darf allerdings nicht vergessen werden, dass neue nachhaltige Formen des Konsums gefunden werden müssen. Gleichzeitig können ein genereller Verzicht und damit gewissermaßen ein Rückschritt im Lebensstandard nicht die letztgültige und vor allem durchführbare Antwort auf unsere Herausforderungen sein. Hat die Sharing Economy also doch eine Daseinsberechtigung?
Zurzeit erleben wir eine der größten ökonomischen und sozialen Krisen der modernen Menschheit, und es stellen sich zwangsläufig Fragen nach einem neuen Lebensstil während der Corona-Pandemie. Nahezu alle Wirtschaftszweige sind massiven Beeinträchtigungen unterworfen, das soziale Leben ist zum Erliegen gekommen. Insbesondere auch die Sharing Economy wird aufgrund ihres impliziten sozialen Charakters hart getroffen. Diesbezüglich stellen sich daher Fragen wie: Wie wird die Corona-Pandemie die Sharing Economy beeinflussen? Wird die Sharing Economy diese Krise ohne Hilfemaßnahmen überstehen? Oder kann die Sharing Economy sogar einen Beitrag zur Überwindung der Krise leisten? Diese Fragen möchten wir am Beispiel dreier Sharing-Economy-Aspekte – Home-Sharing, Ride-Sharing und Food-Sharing – in diesem Artikel näher beleuchten.
Die Ausgangslage für die Sharing Economy scheint zunächst einmal denkbar ungünstig. Handelt es sich bei den Plattformanbietern in der Regel um internationale Unternehmen, so sind doch die letztlichen Dienstleistungsanbieter oft einzelne Personen, die durch ihre Sharing-Angebote einen Zusatzverdienst erwirtschaften. Wie der Name schon impliziert, ist die Sharing Economy als soziales Konstrukt – als Dienstleistung von Menschen für andere Menschen – definiert. In Zeiten des Social Distancing ist das natürlich kein vorteilhaftes Konstruktionsmerkmal. Dementsprechend verwundert es nicht, dass das Interesse an Sharing-Economy-Angeboten im Frühjahr – während der Hochphase der ersten Welle – massiv eingebrochen ist. Das folgende Diagramm stellt das Suchvolumen auf Google nach den entsprechenden Angeboten anhand einer relativen Skala dar. Diese Grafik zeigt auf den ersten Blick etwas Überraschendes: Es scheint, als hätte sich die Nachfrage nach Sharing-Economy-Angeboten binnen kurzer Zeit fast vollständig erholt.
Und tatsächlich: Schaut man sich die Situation der Sharing-Economy-Angebote im Detail an, so zeigen sich Chancen und Wettbewerbsvorteile, welche die Sharing Economy gegebenenfalls robuster gegen die Corona-Krise machen als traditionelle Unternehmen in den gleichen Sektoren. Betrachten wir zunächst das Home-Sharing. Reisebeschränkungen, Social Distancing und generelle Hygienevorschriften haben den Tourismus weitgehend zum Erliegen gebracht. Speziell für die Anbieter einzelner Ferienwohnung in der Bodenseeregion war dieser Einbruch eine finanzielle Katastrophe. So ist der Umsatz von Airbnb im März um nahezu zwei Drittel eingebrochen. Nichtsdestotrotz kommt grade diese Kleinteiligkeit den Anbietern aktuell zugute. Während große Hotels einen enormen Aufwand betreiben müssen, um die entsprechenden, sich regelmäßig ändernden Auflagen zu erfüllen, können kleine Anbieter und Privatpersonen viel agiler auf die sich stellenden Herausforderungen reagieren. Zudem haben große Ferienkomplexe mit hohen Fixkosten – bei gleichzeitig geringerer Auslastung aufgrund ausbleibender Touristen oder genereller Besucherbegrenzungen – und weiteren Auflagen zu kämpfen.
Für das Food-Sharing dagegen ist die soziale Komponente, die zunächst den Einbruch mitbefeuert hat, jetzt ein rettender Anker. Gerade das Social Distancing hat vielen Menschen wieder vor Augen geführt, wie wichtig soziale Kontakte sind. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit hohen Kurzarbeiter- und steigenden Arbeitslosenzahlen nimmt der gesellschaftliche Zusammenhalt zu und es wird der Unterstützung Bedürftiger mehr Raum gegeben. Da Food-Sharing noch weit weniger wirtschaftlich formalisiert ist als die beiden anderen untersuchten Teilbereiche der Sharing Economy, verwundert es auch nicht, dass der Einbruch deutlich schwächer ausgefallen ist als im Car- oder Home-Sharing. Das Food-Sharing, das zumindest in der Wahrnehmung auch eine starke ökologische Komponente beinhaltet, befördert die Erholung dieses Sharing-Economy-Bereiches noch zusätzlich.
Und das Ride-Sharing? Dienste wie etwa MOIA in Hamburg mussten den Betrieb kurzzeitig komplett einstellen und kämpfen immer noch mit veritablen Auflagen und Beschränkungen. Auch in der Region Bodensee-Oberschwaben gibt es ein vitales Ride-Sharing-Angebot, das von den geltenden Auflagen hart getroffen wird. Allerdings ist auch in diesem Bereich die Hoffnung noch nicht gestorben. Nach dem Ökonom Joseph Schumpeter befördern gerade ökonomische Krisen und der damit verbundene Niedergang alter Geschäftsmodelle die schöpferische Zerstörung. Die Automobilindustrie ist von der aktuellen Krise besonders schwer in Mitleidenschaft gezogen worden und wird gezwungen, neue Lösungen zu generieren. Die ZF Friedrichshafen AG testet und entwickelt bereits erste Ansätze einer autonomen Flottenlösung und ist damit in Deutschland ein Vorreiter. Auch der Staat fördert ökologische Alternativen zum Personeneinzelverkehr, wovon letztlich auch das Car-Sharing profitieren kann.
Natürlich ist die aktuelle Krise nicht nur mit Chancen verbunden, sondern beinhaltet auch Risiken, mit denen sich die Sharing Economy auseinandersetzen muss. Da wären beispielsweise die bereits häufiger erwähnten Hygienevorschriften und sonstigen Auflagen. Sollte es zu einer großen zweiten Welle kommen oder die Auflagen zur Verhinderung ebendieser langfristig verschärft werden, so können die kleinen Anbieter finanziell mutmaßlich kürzer durchhalten als größere Unternehmen.
Überhaupt stellt der finanzielle Aspekt für die Sharing Economy das vermutlich größte Risiko dar. Die großen Plattformbetreiber sind zwar internationale Firmen, diese sind aber wiederum auf die lokalen Anbieter vor Ort angewiesen. Diese lokalen Anbieter sind aller Kritik zum Trotz oftmals einzelne Personen, die ihr Sharing-Angebot nutzen um ihr Einkommen aufzubessern, wobei sie mit diesem keine Reichtümer verdienen. Sie sind aktuell bereits oft mit anderen grundlegenden Existenzproblemen etwa in ihrem Hauptberuf konfrontiert. Demzufolge besteht das Risiko, dass eine lange Rezession viele Anbieter der Sharing Economy dazu zwingen könnte, dieses Zusatzgeschäft aufzugeben – mit entsprechenden großen persönlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen.
Nicht zuletzt führt die aktuelle Krise auch zu einem Umdenken in den Köpfen der Menschen. Was für das Food-Sharing noch eine Chance darstellt wird für viele, bereits stärker institutionalisierte Bereiche der Sharing Economy schnell zu einem Boomerang. In der Krise – mit den entsprechenden finanziellen Einbußen und freiheitlichen Einschränkungen – werden die persönlichen Wahrnehmungen verschoben: Grundbedürfnisse, wie die Sicherung des Lebensunterhalts, rücken in den Vordergrund; Luxusbedürfnisse, wie ein schöner Urlaub oder uneingeschränkte Mobilität, werden hintangestellt; auch ökologische Aspekte, man bedenke beispielsweise den Umfang der Berichterstattung zu Themen wie Fridays for Future, geraten ins Hintertreffen. Und wo die einen soziale Aktionen und Aspekte für sich in den Vordergrund heben, gibt es immer auch Menschen, die sich in erster Linie – und ebenso verständlich – um ihre eigene Zukunft sorgen.
Die Sharing Economy wird von der aktuellen Corona-Krise hart getroffen. Dabei gibt es sowohl Chancen, die Grund zur Hoffnung bieten, als auch Risiken, die bedrohlich über der Sharing Economy schweben. Um die Eingangsfrage, ob die Sharing Economy eine Daseinsberechtigung hat und gegebenenfalls sogar Teil der Lösung dieser Krise sein kann, wieder aufzugreifen, sei Folgendes gesagt. Gerade im süddeutschen Raum sind Tourismus und technische Innovationen wichtige Säulen der regionalen Wirtschaft. Beide Aspekte bieten Chancen für die Sharing Economy und umgekehrt bietet auch die Sharing Economy Chancen für unsere Region. Natürlich gibt es insbesondere im Hinblick auf große Plattformen wie Airbnb auch soziale und moralische Aspekte zu beachten. Leerstehende Wohnung in dichtbesiedelten und gefragten Ballungszentren und damit einhergehende stark ansteigende Mieten sind genauso wenig akzeptabel wie die Entstehung eines halbillegalen Billiglohnsektors. Allerdings sollten diese Schattenseiten nicht zu einer grundsätzlichen Ablehnung führen.
Vielmehr ist es die Aufgabe der Politik, die Sharing Economy im Auge zu behalten, die positiven Aspekte zu fördern und die negativen Aspekte mit den geeigneten Mitteln zu minimieren, ohne die Sharing Economy in ihrer Gesamtheit zu diskreditieren. Hinsichtlich der Risiken, denen die Sharing Economy gegenübersteht und die insbesondere mit Blick auf die Region Bodensee-Oberschwaben mit ihrer Automobilzulieferer-Industrie und dem Tourismus eine starke wirtschaftliche Wirkung entfalten können, ist daher Maß und Mitte geboten.
Mitarbeit:
Titelbild:
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Bild im Text:
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Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Jarko Fidrmuc
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm