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Dr. Angelica V. Marte:
Dr. Angelica V. Marte ist ausgebildete systemische Beraterin, Wissenschaftlerin und Führungskräfteentwicklerin. Sie arbeitet seit 1996 mit internationalen Unternehmen und Universitäten als Expertin für die Themen „Global Leadership“, „Networks“ und „Diversity“ und als Executive Coach. Sie publizierte und forschte dazu unter anderem an der Universität Witten/Herdecke, der MIT Sloan School of Management und der Universität Zürich. Aktuell ist sie Unternehmerin sowie Gastwissenschaftlerin und Senior Lecturer am Leadership Excellence Institute Zeppelin | LEIZ an der Zeppelin Universität und an der Steinbeis-Hochschule Berlin. Sie engagiert sich als Beirätin an der Donau-Universität Krems (Department für Interaktive Medien), im Supervisory Board des Schweizer Beratungsunternehmens DOIT- Smart und seit 2013 als zertifzierte Lehrtrainerin für systemisches Coaching am Zentrum für systemische Forschung und Beratung (zfsb) in Heidelberg.
Lena Lotte Dams:
Nach ihrem Bachelor der Medienwissenschaften studierte Lena Lotte Dams bis Anfang 2021 im Master „Pioneering in Arts, Media & the Creative Industries“ und im Minor „Corporate Management & Economics“ an der Zeppelin Universität. Dabei interessierte sie sich neben der Strategischen Kommunikation besonders für Soziologie, Organisationstheorie, Diversität und deren Schnittpunkte. In ihrer Masterarbeit hat sie die (Nicht-)Wirkung der Frauenquote im Hinblick auf organisationale Barrieren untersucht und Möglichkeiten erarbeitet, wie diese verbessert werden können. Sie gründete 2019 an der Zeppelin Universität die intersektional feministische Initiative „DAS LAUT KOLLEKTIV“ mit, die sich für mehr Sichtbarkeit von feministischen Themen und Gleichstellung einsetzt.
Die aktuell durchgeführte Studie „Ein organisationaler Blick auf Frauen in Führungspositionen. Das Instrument der Frauenquote unter der Lupe“ von Lena Lotte Dams versucht, dieses schärfste Messer differenziert zu betrachten beziehungsweise werden Maßnahmen nachvollziehbar vorgeschlagen, wie die Frauenquote an sich und deren organisationale Wirkung verbessert werden können. Die Analyse fokussiert aus verschiedenen Perspektiven auf Mechanismen und Problembereiche, die eine Frauenquote beeinflussen. Warum hat die Frauenquote bis dato so wenig verändert und was muss dagegen unternommen werden? Oder anders formuliert: Kann die Quote trotzdem oder gerade deswegen ein geeignetes Instrument darstellen, um Gleichstellung und gleichberechtigter Teilhabe an Führungspositionen herzustellen?
Ausgangspunkt der Arbeit von Dams waren folgende Beobachtungen: Die Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen ist seit vielen Jahren deutlich und trotz in Kraft tretender gesetzlicher Frauenquote (FüPoG) am 1. Mai 2015 nahezu unverändert. Gleichzeitig ist Gleichstellung eine nicht nur im deutschen Grundgesetz verankerte Aufgabe des Staates, sondern Diversität führt vielfach belegt auch zu besseren Ergebnissen und ökonomischem Mehrwert. Es gibt viele, hoch qualifizierte Frauen, trotzdem bleiben Aufsichtsräte und Vorstände männerdominiert. Beobachtbar ist jedoch auch: Nur dort, wo klarer gesetzlicher Zwang besteht – etwa die Pflicht zu 30 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Unternehmen –, steigt der Frauenanteil überhaupt spürbar. Bisher eingeräumte Freiwilligkeit hingegen führt vorwiegend dazu, diese zur Nicht-Veränderung auszunutzen.
Um die geringe Wirkung der Frauenquote zu erforschen, beschäftigt sich Dams in ihrer Arbeit unter anderem mit den Folgen der zweigeschlechtlich konstruierten Gesellschaft. In Wahrnehmungsprozessen wird immer auch das Geschlecht wahrgenommen (auch wenn dieses nicht immer kommuniziert wird), wodurch komplementäre Geschlechterstereotypen aktiviert werden. Infolgedessen werden Frauen und Männer bei gleichen Eigenschaften unterschiedlich bewertet. Die Geschlechterdifferenz ist neben der Gegensätzlichkeit zudem durch ein Machtgefälle charakterisiert. Denn es besteht, so beschreibt es zum Beispiel der Soziologe Pierre Bourdieu, eine historisch gewachsene männliche Ordnung, die sich unter anderem in Stereotypen und Unconscious Bias, unserer Sprache, verschiedensten Klassifikationen und Phänomenen wie den Old-Boys-Netzwerken, der Anwesenheitskultur oder fehlender Familienfreundlichkeit manifestiert hat. Diese männliche Ordnung in Organisationen wird – und darin liegt ihre Macht – als neutral statt spezifisch männlich wahrgenommen und alles nicht-männliche als Abweichung des neutralen Standards gelesen (Fun Fact: male und fe-male). Dies führt dazu, dass Frauen sich oft männlich konnotierte Eigenschaften aneignen müssen, um für die Organisation als „passend“ – ergo beförderungswürdig – wahrgenommen zu werden. Männer erscheinen per se schon passend(er).
„Die Macht der männlichen Ordnung zeigt sich“, so Dams, „zugespitzt in den als rational, unpersönlich und geschlechterneutral wahrgenommenen Arbeitsorganisationen.“ Dieses Bild resultierte aus der im Zuge der Industrialisierung angestrebten De-Sexualisierung der Organisation. Infolgedessen gelten heute noch organisationale Prozesse wie Leadership (auch hier ist Female Leadership die Abweichung des Standards), Leistungsbewertung, Formulierung von Stellenprofilen, Auswahl bei Stellenbesetzungen fälschlicherweise als geschlechterneutral. Diese Illusion wird zudem dadurch unterstützt, dass Organisationen sich angeeignet haben, das Merkmal des Geschlechtes nicht mehr zu benennen oder formal daran anzuknüpfen.
„Das Bild der geschlechterneutralen Organisation ist jedoch eine folgenreiche Fiktion, denn auch, wenn das Geschlecht nicht mehr benannt wird, ist es weiterhin bedeutender Teil der Wahrnehmung und hat dementsprechend Auswirkungen, beispielsweise bei der Auswahl, Beförderung oder Führungskompetenz“, bemerkt Dams. „Bei uns geht es nicht um Gender, sondern um Leistung“ ist, so Dr. Angelica V. Marte, der größte Genderkiller. Und führt paradoxerweise zu Dynamiken wie den 35 Prozent börsennotierten deutschen Unternehmen, die 2020 eine freiwillige Zielgröße eines Frauenanteils in Chefetagen von 0 Prozent angegeben haben. Das heißt von 160 Unternehmen, welche die Allbright Stiftung 2020 untersucht hat, gaben 56 das Ziel an, keine Frauen in ihr oberstes Führungsgremium holen zu wollen.
Gegen die Macht der als neutral gesehenen männlichen Ordnung und ihrer Reproduktionsmechanismen können freiwillige Veränderungsabsichten kaum etwas ausrichten. „Im Kern geht es nicht um Quote, es geht um Macht, das Teilen der Macht“, sagt Marte. „Macht ist der mächtigste Hebel für Veränderung. Diese darf nicht spalten, diese muss zusammenführen.“ Dafür müssen jene, die aktuell Macht haben, diese dazu einsetzen, in Zukunft Machtpositionen inklusiver und vielfältiger zu besetzen und auch die Führungskultur zu transformieren. Dieser Wille, stellt Dams fest, besteht zu selten, denn homogene Führungsteams haben lange zwar nicht so erfolgreich wie möglich, aber solide funktioniert. Deshalb ist der Einsatz einer starken Frauenquote ohne Schlupflöcher unumgänglich, um die Macht heterogener zu verteilen und ein Um- und daher inklusives Neudenken und eine Neudefinition von Führung, Rollenbildern, Leistungskriterien und anderen Reproduktionsmechanismen anzustoßen.
Das Fazit von Dams: „Die Wirkung der Frauenquote ist bisher begrenzt, denn das Gesetz hat Schwachstellen, an denen die beschriebenen, ausgewählten Mechanismen die Wirkung abschwächen, gleichzeitig beweist dies gerade damit die Notwendigkeit einer Quotenregelung. Freiwilligkeit hat in den vergangenen Jahrzehnten kaum etwas bewirkt und solange die Illusion der Geschlechterneutralität besteht, braucht es die Quote als Game Changer.“ Dass muss – entgegen der weitläufigen Meinung – weder als Krampf noch als (Geschlechter-)Kampf, sondern als Weg des Miteinanders geschehen. Dieser Weg ist nicht im buddhistischen, sondern im legistischen Sinne ein anerkanntes Ziel.
Titelbild:
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Bilder im Text:
| Philip Nürnberger / WELT, Axel Springer (alle Rechte vorbehalten) | Link
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Beitrag (redaktionell unverändert): Dr. Angelica V. Marte und Lena Lotte Dams
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm