ZU|Daily wurde in die Hauptseite in den Newsroom unter https://www.zu.de/newsroom/daily/ integriert. Die neuesten Artikel seit August 2024 werden dort veröffentlicht. Hier finden Sie das vollständige Archiv aller älteren Artikel.
Joachim Behnke ist Inhaber des ZU-Lehrstuhls für Politikwissenschaft. Er hat Theaterwissenschaft, Philosophie, Kommunikationswissenschaften, Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft studiert. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Wahlsystem und Wählerverhalten. Außerhalb der Universität engagiert sich Behnke als Sprecher verschiedener Arbeitskreise in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft und ist als Stiftungsberater tätig.
Wie bei jeder Wahl gab es auch bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg Gewinner und Verlierer. Der strahlende Gewinner ist die Partei der Grünen mit ihrem Spitzenkandidaten Winfried Kretschmann, die Verlierer sind die CDU und vor allem die AfD. Die FDP konnte leicht hinzulegen, allerdings dürfte das kaum an der Anziehungskraft der FDP selbst gelegen haben, sondern daran, dass sie für frustrierte CDU-Anhänger immer das nächst liegende Auffangbecken bildet, wenn man einerseits etwas Dampf ablassen und sich andererseits auch nicht gleich völlig neu orientieren möchte.
Anlässe zum Frust gibt es ja genug für Personen, die unter normalen Umständen der CDU nahestehen: Da ist die Spitzenkandidatin im Land, die gelinde gesagt ein gewisses Vermittlungsproblem hatte, da sind die Affären um Nebentätigkeiten und Provisionen der Bundestagsabgeordneten Amthor, Löbel und Nüßlein, handfeste Korruptionsvorwürfe gegen weitere Abgeordnete wie Strenz, Fischer und Hauptmann und last but not least das alles andere als überzeugende Krisenmanagement des CDU-Gesundheitsministers.
Dass es sich um einen allgemeinen Abwärtstrend für die CDU handelt, dafür spricht auch das Abschneiden in Rheinland-Pfalz, wo die CDU sogar noch mehr verloren hat – und das bei einem Spitzenkandidaten, der keinerlei Kritik auf sich gezogen hat. Diese Entwicklung der CDU nach unten insgesamt ist aber Ausdruck eines relativ normalen Abschleifprozesses der Volksparteien, der nach der SPD nun eben auch die CDU erfasst, was durch die große Popularität der Kanzlerin lediglich lange übertüncht wurde. Wobei nicht vergessen werden sollte, dass auch diese 2005, 2009 und 2017 historisch schlechte Ergebnisse erzielte, die aber ohne sie – zumindest bei der vergangenen Bundestagswahl – vermutlich noch schlechter ausgefallen wären.
Auch Markus Söder hat 2018 in Bayern das schlechteste Ergebnis seit 1950 eingefahren. Wer in ihm den Heilsbringer für die Union sieht, erfreut sich eines ungetrübten Optimismus, denn die Eigenschaften von Söder, die entscheidend für sein schlechtes Abschneiden von 2018 waren, würden schnell in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken, wenn er Kanzlerkandidat wäre. Ob sich seine 15 Minuten des Ruhms als angeblich erfolgreicher Corona-Krisenmanager in die Hochzeit des Wahlkampfs verlängern ließen, ist daher zweifelhaft.
Ein erstmal unauffälliger, aber nicht unwichtiger Aspekt des Wahlergebnisses der Landtagswahl von Baden-Württemberg sollte nicht gänzlich übersehen werden: Die Linke konnte 0,7 Prozent hinzugewinnen und liegt mit 3,6 Prozent nun in einem Bereich, bei dem sich Wähler womöglich in Zukunft weniger aus strategischen Gründen abschrecken lassen, sie zu wählen. In einem Land, in dem Funktionsträger der CDU in der Mehrheit für Friedrich Merz als Parteivorsitzenden gestimmt haben – weil sie dem befremdlichen Missverständnis unterlagen, es sei ein Ausweis für Wirtschaftskompetenz, wenn man durch wirtschaftsnahe Betätigungen selbst reich geworden ist – würde es jedenfalls nicht schaden, wenn im politischen Spektrum auch eine Partei vertreten ist, die Sinn und Wesen von Wirtschaftspolitik auch aus einer etwas breiteren Perspektive wahrnimmt und davon ausgeht, dass Wirtschaftspolitik grundsätzlich die Interessen aller in der Wirtschaft tätigen Personen berücksichtigen muss.
Erfreulich ist der deutliche Verlust bei den antidemokratischen Kräften der AfD. Dies ist sicherlich zum einen auf die gesunkene Wahlbeteiligung zurückzuführen, aber natürlich auch auf die fröhlich-derben Prozesse der Selbstzerfleischung, denen sich die AfD in guter alter Tradition rechter Parteien mit Hingabe widmet.
Die Ergebnisse in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz werden nun insbesondere von der SPD gerne als Beleg gefeiert, dass Mehrheiten ohne die Union möglich sind. Das ist richtig, das ist aber gleichzeitig auch eine ziemliche Banalität. Denn die Verhältnisse sind insgesamt flexibler geworden, weil die Wähler volatiler geworden sind. Kurzfristige Einflussfaktoren wie die Performanz bei aktuellen politischen Herausforderungen, das richtige politische Programmangebot für drängende Zukunftsfragen sowie Spitzenkandidaten haben einen erheblichen Einfluss, der langfristige Faktoren wie psychologische Bindungen an bestimmte Parteien nicht gänzlich auslöscht, aber jederzeit für Variationen gut ist, in denen eine Vielzahl alternativer Mehrheiten realistisch erscheint.
Nur die merkwürdige Fixiertheit der Medien auf aktuelle Umfrageergebnisse, die von diesen oft so dargestellt werden, als seien sie in Stein gemeißelt wie die Zehn Gebote und durch höhere Mächte unverrückbar festgelegt, befördert sachlich unbegründete Behauptungen wie solche, bestimmte Koalitionen seien ja derzeit gar nicht möglich. Allein durch die Unsicherheiten und zufälligen Schwankungen der politischen Umfragen sind schon mehrere verschiedene politische Ergebnisse vorstellbar. Kurzum: Vieles ist und bleibt möglich, die SPD etwa ist nicht dazu verdammt, im 16-Prozent-Tal der Hoffnungslosen zu verkümmern, sie könnte durchaus bei der nächsten Bundestagswahl wieder vor der Union liegen.
Das ist womöglich nicht besonders wahrscheinlich, es ist aber auch nicht so unwahrscheinlich, dass man es als realitätsfremde Träumerei abtun kann, zumindest wenn Saskia Esken und Kevin Kühnert in Zukunft ihre identitätspolitischen Spiegelfechtereien unterlassen und sich stattdessen auf Diskussionen des Programms konzentrieren. Auch die Grünen könnten durchaus ganz vorne liegen, wobei das Ergebnis in Baden-Württemberg natürlich dennoch ein Ausreißer ist, der in keiner Weise verallgemeinert werden darf. Aber mit ihrer sogenannten Issue-Ownership in Sachen Umwelt- und insbesondere Klimapolitik besetzen die Grünen weiterhin das Zukunftsthema schlechthin.
Womit wir beim vielleicht verhängnisvollsten Ergebnis der Landtagswahl in Baden-Württemberg sind: Die Aktivisten der Klimaliste können sich nämlich nun beglückwünschen, dass sie vermutlich eine Koalition von Grünen mit der SPD verhindert haben, die in Sachen Klimapolitik wohl die progressivste Koalition gewesen wäre. Wären alle Stimmen der Klimaliste auf die Grünen gefallen, dann hätten diese zusammen mit der SPD eine knappe Mehrheit an Sitzen erlangt. Schlecht gelaufen für die Klimaaktivisten oder wie man noch treffender und im wörtlichen Sinne sagen sollte: Dumm gelaufen!
Die Klimapolitik ist auch der wichtigste Politikbereich, in dem Kretschmann nun liefern muss und – folgt man seinen Aussagen – ganz offensichtlich auch liefern will. Dementsprechend wird er seine Koalition vor allem nach dem Gesichtspunkt bilden, mit wem eine konstruktive Klimapolitik wahrscheinlicher möglich ist beziehungsweise in welcher Koalition weniger mit Vetopositionen eines Partners zu rechnen ist. Das spricht vermutlich eher für eine Fortsetzung der bisherigen Koalition als für eine Ampel, in der die libertären Positionen der FDP mit dem liberal-ökologischen Programm der Grünen öfter in Konflikt geraten würden. Insofern könnte man sagen: Nichts wirklich Neues im Südwesten. Andererseits bestand ja schon bei Erich Maria Remarque die Doppeldeutigkeit dieses Titels darin, dass die scheinbare Harmlosigkeit der Aussage die Dramatik in der Tiefe konterkarierte.
Und hier noch eine Anekdote für all diejenigen, die in zukünftigen Smalltalk-Partygesprächen, wenn es die denn jemals wieder geben sollte, glänzen wollen: Billy Wilder hat erzählt, dass ihm Remarque, als sie beide in den 1920er-Jahren in Frankfurt als Journalisten arbeiteten, berichtete, dass er gerade an seinem Erlebnisroman über den Krieg arbeiten würde, woraufhin ihm Wilder abgeraten hat, sich mit einer solch unergiebigen Arbeit herumzuschlagen. Seitdem, so Wilder, habe er niemals wieder irgendjemandem einen guten Rat gegeben.
Eine gewisse Demut in diesem Sinn könnte vielleicht auch dem/der einen oder anderen Talkshowmoderator/in gut zu Gesicht stehen, wenn er/sie mal wieder in Versuchung gerät, Politikern wie Armin Laschet mit Herablassung zu begegnen und die angeblichen Fehler, die von diesen gemacht worden seien, besserwisserisch aufzuzählen. Das heißt nun auch wieder nicht, dass wir uns alle viel zu verzeihen hätten und zu verzeihen haben werden. Solche Sätze sagen am liebsten die, die eine gute Ahnung hatten, dass sie selbst diejenigen sein würden, denen man am meisten zu verzeihen haben würde.
Titelbild:
| garageband / Pixabay.com (CC0 Public Domain) | Link
Bilder im Text:
| Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg (Pressebild) | Link
| SPD-Landesverband Rheinland-Pfalz (Pressebild) | Link
Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Joachim Behnke
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm