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Felix Krell promoviert aktuell am Lehrstuhl für Allgemeine Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Zeppelin Universität zu Social Virtual Reality. Gegenstand seiner Forschung sind die Lebenswelten und Alltagspraktiken von Menschen, die neuartige soziale Plattformen wie etwa VRChat mit VR-Headsets betreten. In diesem Zusammenhang forscht er qualitativ und digital-ethnografisch. Er verwaltet außerdem das Medienlabor der Zeppelin Universität und hat dort ein VR-Space für die Universität eingerichtet. Hier finden in Zukunft VR-Seminare und VR-Forschungsprojekte statt.
Seit Jahren wird die Netztechnologie Blockchain heiß diskutiert – meist in einem Atemzug mit der stark schwankenden Kryptowährung Bitcoin und der Angst, die große Chance auf Reichtum zu verpassen oder sein Vermögen zu verzocken. Jetzt ist die Szene um einen neuen Star reicher: sogenannte NFTs. Den Hype dahinter und seine Folgen beleuchten die ZU-Wissenschaftler Florian Horky und Felix Krell.
Aus dem Blickwinkel von Künstlerinnen und Künstlern – besonders im Bereich Digital Art – wirkt Krypto-Kunst äußerst attraktiv. Zum ersten Mal in dessen kurzer Geschichte hat ein digitales Kunstwerk das Potenzial, dieselbe Exklusivität und denselben Stellenwert wie ein Ölgemälde oder eine Installation zugeschrieben zu bekommen. Trotz der inflationären Preise, die für NFTs gerade aufgrund ihres Neuheitsfaktors gezahlt werden, ist absehbar, dass deren Exklusivität für digitale Kunst eine Wert- und Wertschätzungssteigerung bedeutet. Crowdfunding, fragwürdige Auftragsarbeiten auf halbseidenen Imageboards und abschätzige Blicke seitens physisch „handfest“ arbeitender Künstler könnten in geraumer Zeit der Vergangenheit angehören. Eine ganze Reihe weiterer Berufsgruppen und Medienorganisationen, die bisher mit der Piraterie ihrer Kulturprodukte im Internet konfrontiert waren, werden in der nahen Zukunft einen Rückweg in traditionelle berechenbarere Marktverhältnisse eintreten können, falls Krypto-Güter wie NFTs den Weg in den Mainstream finden.
Das Empowerment der Hersteller von digitalen Gütern hat jedoch Schattenseiten. Demokratisierungspotenziale, die sich Menschen aus unterprivilegierten Verhältnissen aufgrund von digitalem Filesharing anboten, werden durch NFTs drastisch geschmälert. Kostengünstige Zugänge zu digitaler Bildung oder Kunst eröffnen weltweit Mobilitäten in Lebensbereichen, die vor Zeiten des Internets allzu oft ein Spielfeld der Distinktion waren. Grenzen brechen auf, da codebasierte Daten von ihrer Natur her unbegrenzt kopier-, editier- und teilbar sind. In anderen Worten: Bisher sind digitale (Kultur-)Güter ein marktwirtschaftlicher Albtraum, nicht selten jedoch ein humanitärer Segen. Diesen Umstand verändern NFTs: Internetmedieninhalte verlieren ihre potenziell unbegrenzte Replizier- und Teilbarkeit. Damit wird künstliche Knappheit erzeugt und Kulturgüter werden wieder zu Waren, die innerhalb privilegierter Kreise kursieren.
Soziale Ungleichheit in der Online-Welt ist nichts Neues – in vieler Hinsicht lassen sich Online-Teilöffentlichkeiten bereits als hochkommerzialisiert bezeichnen. Was mit der Popularisierung von NFTs jedoch deutlich wird, ist, dass wir erst am Beginn eines Prozesses stehen, der sich in Zukunft zuspitzen wird. Bisher war meist der Zugang zu einer Netzverbindung oder das Eigentum von Hardware ein digitales Privileg. Gerade als die weltweite Netzabdeckung an Fahrt aufnimmt und globale Angleichungsprozesse spürbar werden, entsteht mit NFTs nun ein neues Werkzeug der Distinktion.
Die vernetzte digitale Welt in ihrem ursprünglichen, gar „archaischen“ Zustand hatte das Potenzial für genuinen sozialen Wandel. Wie dieses Potenzial dann blitzschnell spätkapitalistischen Kommerzialisierungszwängen verfiel, ist heute allerseits erkennbar. Die Blockchain „materialisiert“ und objektiviert in digitalen Umgebungen nicht-fungible Güter aus reinen Informationen. Überall wo das Internet bisher Loopholes aus der stets fortschreitenden Monetarisierung aller gesellschaftlichen Lebensbereiche anbot, ließen sich in Zukunft NFTs integrieren: 250 Euro Limited Edition Nike Sneaker für den Social-Media-Avatar Ihres Kindes. Eine lizensierte 200-Euro-Ausgabe eines Jura-E-Books als akademische Pflichtlektüre. Eintrittskarten für YouTube-TED-Talks. The List goes on…
Ein absehbarer Effekt der Verbreitung digital-materieller Güter wäre die exponentielle Ausweitung des Digital Divide. Die meisten Käufer von NFTs gehören der Gruppe von Early-Krypto-Adoptern an, die bereits Etherium besitzen. Allein der Übertrag von traditionellen Geldwerten zu Krypto-Währungen überschreitet die Digitalkompetenzen vieler Nutzer mit geringer Technikaffinität. Aktuell werden zwar nur ein paar harmlose Katzensticker und Sporttradingcards gehandelt – in Zukunft aber vielleicht lebenswichtige Dokumente. Als Endstatus des Digital Divide sehe ich an dieser Stelle eine Kluft zwischen „Adoptern“ und „Aussteigern“: die eine Gruppe mit virtuellem Geld und virtuellen Gütern, die andere Gruppe mit physischem Geld und physischen Gütern. Identitäts-, Rollenbilder sowie Gruppenzugehörigkeiten und Wertvorstellungen könnten davon abhängig werden, in welche Welt man finanziell und symbolisch investiert. Virtuell-materielle Güter sind aufgrund ihrer dezentralen Krypto-Objektivität genau so viel, wenn nicht sogar mehr wert als physische Güter.
Mit solchen Vergleichen öffnet man natürlich eine erkenntnistheoretische Büchse der Pandora. Wir haben es mit einem Status zu tun, der zuvor noch keinem digitalen Inhalt zugeschrieben wurde: einen einzigartigen und objektiven Materialstatus. Ein Spätkapitalismus, der in immateriell-digitalen Umgebungen verwertbares, tauschbares und unteilbares Eigentum erzeugen kann, hat eine neue evolutionäre Stufe erreicht. In Referenz zu Jean Baudrillards „Hyperrealität“ (1994 [1970]) träfe vielleicht sogar die Superlative eines „Hyperkapitalismus“ nun endgültig zu: Die Manifestation des Irrealen verbindet sich mit Kommerzialisierungslogiken. Zeichenhafte Darstellungen von Etwas haben nun das Potenzial, den Status des Realen für sich zu beanspruchen. Digitale Dinge, die uns im Kern noch immer wie Simulationen und unecht vorkommen, erhalten einen Grad an Objektivität, der in kommenden Jahren noch unzählige Fragen aufwerfen wird. Aus einer „hyperkapitalistischen“ Perspektive betrachtet werden die Kinderkrankheiten des Internets, wie die natürliche Teil- und Replizierbarkeit von Medieninhalten und damit deren Demokratisierungspotenziale, mit der Verbreitung von nicht-fungiblen Digitalobjekten behoben.
Wie bereits erwähnt könnte sich die Natur des Internets durch NFTs weiter verändern. Wir erleben aktuell in Echtzeit und im Schnelldurchlauf, was Rousseau 1755 als Abkehr von einem natürlichen, archaischen Idealzustand in der materiellen Welt festmachte. Dieser Zustand war vor allem eins: frei von Eigentum. Betrachtet man das Internet in seiner Grundarchitektur, so war es bei seiner Entstehung ebenso frei. Die Implementation von tatsächlichem digitalem Eigentum weckt Erinnerungen:
Titelbild:
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Bild im Text:
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Beitrag (redaktionell unverändert): Felix Krell
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm